In der Ukraine sollten turnusmäßig im Frühjahr Präsidentschaftswahlen stattfinden. Die wurden jedoch wegen des russischen Angriffskrieges und des verhängten Kriegsrechts in der Ukraine abgesagt.

Der ehemalige Präsident und Verlierer der vergangenen Wahlen 2019, Petro Poroschenko, bringt sich trotzdem in Stellung für „eine Zeit nach dem Krieg“, wie er sagt.

„Wenn Sie mich fragen, ob ich an den nächsten Wahlen teilnehmen möchte – ja, ich werde an den nächsten Präsidentschaftswahlen teilnehmen“, sagte Poroschenko in einem Interview mit dem TV-Sender Al-Jazeera. Der 58-Jährige geht noch weiter: „Außerdem plane ich für das Europaparlament bei Europawahlen zu kandidieren“, so Poroschenko. Das sei laut Poroschenko der ultimative Beweis dafür, dass die Ukraine in die EU gehöre.

Der Ukraine wurde zwar im Sommer 2022 der Status eines EU-Bewerbermitglieds anerkannt – im Dezember 2023 haben außerdem die EU-Führungsspitzen beschlossen, Beitrittsverhandlungen mit Kiew aufzunehmen –, allerdings gehen Experten davon aus, dass die Ukraine erst im nächsten Jahrzehnt realistische Chancen auf die Mitgliedschaft hat. Ratspräsident Charles Michel hat in Aussicht gestellt, dass die EU ab 2030 für die Aufnahme der Ukraine bereit sein könnte. Poroschenko würde demnach erst bei den Europawahlen 2034 antreten können – sollte die Ukraine nicht früher in das europäische Wertebündnis eintreten.

Petro Poroschenko war von 2014 bis 2019 der fünfte Präsident der Ukraine. Bei den bis dato letzten Wahlen führten er und Wolodymyr Selenskyj einen erbitterten Wahlkampf. In der Stichwahl, der zweiten Runde, gewann der Polit-Neuling Selenskyj für viele überraschend deutlich mit über 75 Prozent der Wählerstimmen. Poroschenko, der aus der Region um Odessa kommt, erhielt nur etwas mehr als 24 Prozent.

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Insbesondere im Westen der Ukraine, in den Oblasten Lwiw und Ternopil, sowie an den weltweiten Auslandsvertretungen der Ukraine wählte man ihn damals. Heute ist er Führer der Oppositionspartei Europäische Solidarität, die sich zuvor Block Petro Poroschenko nannte und im August 2014 aus der 2001 von ihm gegründeten Partei Solidarnist hervorgegangen war.

Die nächsten ukrainischen Präsidentschaftswahlen waren für das Frühjahr 2024 geplant. Die erste Runde sollte am 31. März stattfinden, eine Stichwahl (falls nötig) am 21. April. Allerdings sprach sich Präsident Selenskyj schon im vergangenen Herbst gegen die Wahlen aus – als Grund diente das verhängte Kriegsrecht in dem osteuropäischen Land. „Das ist nicht der Moment für Wahlen“, sagte Selenskyj während einer Videoansprache im November.

Umfragen des renommierten Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) zufolge lehnt eine Mehrheit der ukrainischen Gesellschaft Wahlen unter derzeitigen Kriegsbedingungen ab. Ranghohe Mitglieder der politischen Elite in der Ukraine haben sich ähnlich wie Präsident Selenskyj geäußert: Oleksij Danilow, der ehemalige Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, sagte, dass Wahlen erst in Betracht gezogen werden, wenn der Krieg im Land ende: „Es ist ziemlich schwierig, während eines Krieges Wahlen abzuhalten. Der Staat muss sicherstellen, dass ausnahmslos alle Bürger, die das Wahlrecht haben, wählen können. Und während eines Krieges ist das extrem schwierig.“

Allerdings haben andere, im Westen weitaus unbekanntere Oppositionspolitiker schon eher die direkte Konfrontation mit Selenskyj gesucht. Unter anderem Oleksij Arestowitsch, der sich für Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau ausspricht und mit dem die Berliner Zeitung ein Exklusiv-Interview führte, kündigte seine Kandidatur für die kommenden Wahlen an. Er ist ein ehemaliger Berater Selenskyjs und kritisierte das ukrainische Staatsoberhaupt überaus scharf für seine Politik.

Ein weiteres Beispiel für die intensiver werdenden innenpolitischen Debatten in der Ukraine sind die Äußerungen Roman Kostenkos, eines Abgeordneten der Kleinpartei Golos und einflussreichen Militärs. „Ich glaube, dass Selenskyj jetzt selbst begreifen muss, dass er nie wieder Präsident sein wird, dass dies nur eine Amtszeit ist, die er jetzt hat“, sagte er Mitte Januar gegenüber dem Radiosender NV. Für Kostenko war Selenskyj damals „politisch bereits tot“.

Andere Figuren im politischen Kiew haben sich ebenfalls kritisch dazu geäußert, dass Selenskyj keine näheren Anhaltspunkte gab, wann denn die ukrainische Bevölkerung zur Wahl aufgerufen wird. Dmytro Rasumkow, der ehemalige Präsident der Werchowna Rada, des ukrainischen Parlaments, sagte im Fernsehen, dass Selenskyj spätestens mit Ende der regulären Legislaturperiode seine Befugnisse an den derzeitigen Parlamentspräsidenten abtreten müsse. Sonst drohe ihm ein Legitimitätsverlust – insbesondere bei den für die Ukraine überlebenswichtigen Partnern im Westen.

Der amerikanische Senator Lindsey Graham äußerte sich schon im vergangenen Sommer und vertrat die Position, dass die Ukraine auch mitten im Krieg ihre Präsidentschaftswahlen durchführen solle. Für ihn sei das „der beste Beweis für den Wandel im Land“.

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Selenskyj selbst warnte bei einem Fraktionstreffen seiner Partei Diener des Volkes, das ukrainische Parlament und im Besonderen seine Person stünden im Mittelpunkt einer Kampagne, die darauf abziele, seine Legitimität zu untergraben. Im Wesentlichen seien solche Desinformationsversuche aus Russland gesteuert, so der Tenor. Andererseits würde die fristlose Verschiebung der Wahlen ohne einen realistisch absehbaren Nachholtermin erst recht russische Narrative füttern und Selenskyjs Führung delegitimieren, so der Ton in der ukrainischen Presse.

QOSHE - Eine Alternative zu Selenskyj? Poroschenko will zu Präsidentschaftswahlen antreten - Nicolas Butylin
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Eine Alternative zu Selenskyj? Poroschenko will zu Präsidentschaftswahlen antreten

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04.04.2024

In der Ukraine sollten turnusmäßig im Frühjahr Präsidentschaftswahlen stattfinden. Die wurden jedoch wegen des russischen Angriffskrieges und des verhängten Kriegsrechts in der Ukraine abgesagt.

Der ehemalige Präsident und Verlierer der vergangenen Wahlen 2019, Petro Poroschenko, bringt sich trotzdem in Stellung für „eine Zeit nach dem Krieg“, wie er sagt.

„Wenn Sie mich fragen, ob ich an den nächsten Wahlen teilnehmen möchte – ja, ich werde an den nächsten Präsidentschaftswahlen teilnehmen“, sagte Poroschenko in einem Interview mit dem TV-Sender Al-Jazeera. Der 58-Jährige geht noch weiter: „Außerdem plane ich für das Europaparlament bei Europawahlen zu kandidieren“, so Poroschenko. Das sei laut Poroschenko der ultimative Beweis dafür, dass die Ukraine in die EU gehöre.

Der Ukraine wurde zwar im Sommer 2022 der Status eines EU-Bewerbermitglieds anerkannt – im Dezember 2023 haben außerdem die EU-Führungsspitzen beschlossen, Beitrittsverhandlungen mit Kiew aufzunehmen –, allerdings gehen Experten davon aus, dass die Ukraine erst im nächsten Jahrzehnt realistische Chancen auf die Mitgliedschaft hat. Ratspräsident Charles Michel hat in Aussicht gestellt, dass die EU ab 2030 für die Aufnahme der Ukraine bereit sein könnte. Poroschenko würde demnach erst bei den Europawahlen 2034 antreten können – sollte die Ukraine nicht früher in das europäische Wertebündnis eintreten.

Petro Poroschenko war von 2014 bis 2019 der fünfte Präsident der Ukraine. Bei den bis........

© Berliner Zeitung


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