Für 29 Euro im Monat mit Bahn und Bus durch Berlin: Das wird vom 1. Juli an wieder möglich sein. Am kommenden Dienstag beginnt der Vorverkauf für das Berlin-Abo, den Nachfolger des 29-Euro-Tickets. Doch was viele Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs in der Hauptstadt freut, macht anderen schlechte Laune. Auch im Nachbarbundesland Brandenburg zeigt man sich verschnupft. In Berlin warnt die Polizeigewerkschaft, und die Opposition fragt, wo der Senat nun sparen muss – ohne eine Antwort zu erhalten.

Im Land Brandenburg, wo der Nahverkehr vom Land traditionell kurz gehalten wird, kommt die Berliner Spendierlaune besonders schlecht an. „Das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung verbindet mit der geplanten Einführung eines 29-Euro-Tickets in Berlin die Erwartung, dass damit keine Einschränkungen der Mobilität in anderen Bereichen verbunden sind“, sagt Katharina Burkardt, Sprecherin von Minister Rainer Genilke (CDU). Die Prioritäten liegen beim Ausbau der Infrastruktur.

Frank Wruck, Geschäftsführer der Barnimer Busgesellschaft, wird deutlicher, wenn es um das Berlin-Abo geht. „Ich kann nichts Gutes an dem Angebot finden“, so Wruck zur Berliner Zeitung. Das Unternehmen mit Sitz in Eberswalde betreibt Busse und O-Busse nordöstlich von Berlin. „Ich sehe den Bedarf nicht“, so Wruck. Für Menschen mit wenig Geld gebe es das Berlin-Ticket S für neun Euro im Monat. „Normalverdienende“ seien durchaus bereit zu zahlen, wie die Nachfrage nach dem bundesweit gültigen Deutschlandticket für 49 Euro zeigt. Ihre Zahlungsbereitschaft werde nicht abgeschöpft.

„Wenn es wirklich eine Personengruppe zwischen dem Berlin Ticket S und dem Deutschlandticket gibt: Wäre ihr mit einer direkten Unterstützung zum Beispiel mit einem 20-Euro-Zuschuss pro Monat zum Deutschlandticket nicht genauso geholfen, zu deutlich geringeren Kosten für die Steuerzahler?“, fragt der Unternehmenschef. „Am Ende wird das Geld für den Ausbau und die Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs fehlen“, schätzt Wruck ein.

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Neben der Finanzierungsproblematik gebe es noch ein Thema. Das lokale Berliner Angebot zerstöre die Systematik der Tarife im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), gibt der Brandenburger zu bedenken. „Es zerstört auch die Grundlagen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der Gesellschafter des VBB.“ Schon im vergangenen Jahr hatte man in Brandenburg gewarnt, dass das 29-Euro-Ticket ein „Spiel mit dem Feuer“ und als Affront aus Berlin zu werten sei. Denn das Lockangebot trage dazu bei, dass Verkehrsbetrieben im Umland lukrative Stammkunden verloren gingen. Zudem schaffe es auch in Brandenburg Begehrlichkeiten - die das Land nicht erfüllen könne.

Das 29-Euro-Ticket schaffe einen Anreiz, mit dem Auto nach Berlin zu fahren und erst dort auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen, bekräftigt Wruck. Das neue Berlin-Abo löse nicht die Probleme, die durch den Pendlerverkehr zwischen Berlin und Brandenburg entstehen – es verstärke sie sogar noch, kritisiert er.

Das Brandenburger Infrastrukturministerium erinnert daran, dass mit dem Deutschlandticket bereits ein gutes Angebot bestehe. Mit dem 49-Euro-Ticket hätten „Bund und Länder gemeinsam ein hoch rabattiertes Ticket an den Start gebracht, mit dem die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, den ÖPNV im gesamten Bundesgebiet kostengünstig zu nutzen“, erinnert Katharina Burkardt.

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In Potsdam weist man auch darauf hin, dass ein Flächenland wie Brandenburg bei der Mobilitätswende vor anderen Herausforderungen stehe als Berlin. Es gehe um ganz Brandenburg und nicht nur um die Berlin-nahen Regionen, betont die Sprecherin des Infrastrukturministers. Um die Attraktivität des Deutschlandtickets gerade für den ländlichen Raum zu steigern, müsse der Ausbau der Infrastruktur Vorrang haben. Aber auch Berlin profitiere, wenn im Rahmen des Investitionsprogramms i2030 neue Strecken entstehen und Park- sowie Bike-and-Ride-Angebote erweitert werden, so Burkardt.

Dass der Vorverkauf für das neue Berlin-Abo am 23. April beginnt, gab Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) zu einem unpassenden Zeitpunkt bekannt. In der nun endenden Woche ist die Debatte über die künftige Finanzierung des Deutschlandtickets erneut aufgeflammt. Bereits absehbar ist, dass der Preis ab 2025 steigen könnte. Bund und Länder sind weiterhin um eine Gesamtlösung bemüht. Beide Seiten geben zu bedenken, dass das Geld knapp sei. In dieser Situation kam der Vorstoß aus Berlin, freiwillig ein kostenträchtiges Konkurrenzticket zu finanzieren, schlecht an.

Klar ist, dass sich die Hauptstadt ein luxuriöses Angebot leistet. Das Land Berlin muss nicht nur weiterhin zur Finanzierung des Deutschlandtickets beitragen, wofür derzeit 135,7 Millionen Euro pro Jahr einzuplanen sind. Ab Juli muss es auch noch die Kosten für das Berlin-Abo schultern. Im Landeshaushalt sind für den Nachfolger des 29-Euro-Tickets jährlich 300 Millionen Euro vorgesehen. Doch Finanzsenator Stefan Evers (CDU) sprach am Dienstag bereits von Kosten in Höhe von 350 Millionen Euro pro Jahr. Wenn das Deutschlandticket teurer werde, sei es wahrscheinlich, dass mehr Berliner als erwartet zum Berlin-Abo wechseln werden – was den Zuschussbedarf erhöht.

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Der Bund kritisiert auch einen anderen Aspekt. „Das Deutschlandticket bietet die Chance, Tarifsysteme zu vereinfachen und Strukturen zu verschlanken“, twittert Michael Theurer, der Beauftragte der Bundesregierung für den Schienenverkehr. „Konkurrenzprodukte wie das Berliner 29-Euro-Ticket konterkarieren das“, so der FDP-Politiker. „Dabei könnte das Deutschlandticket auch als Sozialticket vergünstigt abgegeben werden.“ Hamburg hat eine solche Lösung gewählt.

Doch auch in Berlin wird weiter darüber diskutiert, ob die Stadt ein neues 29-Euro-Ticket braucht – und ob sie es sich leisten kann. Als Grüne, Linke und AfD am Mittwoch im Mobilitätsausschuss des Abgeordnetenhauses fragten, wo und wie viel die Verwaltung nun sparen muss, konnte Staatssekretärin Britta Behrendt keine Auskunft geben. „Die konkrete Aufschlüsselung wird unter Hochdruck betrieben“, bedauerte die CDU-Politikerin. Oppositionspolitiker befürchten, dass beim Nahverkehr 130 Millionen Euro gespart werden müssen. „Die BVG muss wissen, in welche Richtung die Reise geht“, sagte der Grünen-Abgeordnete und frühere Finanzsenator Daniel Wesener.

Polizei und Feuerwehr stünden vor großen Herausforderungen, ruft Stephan Weh, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), am Freitag in Erinnerung. Er forderte Finanzsenator Evers dazu auf, nicht mit dem Rasenmäher zu sparen, sondern Prioritäten richtig zu setzen.

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„Polizei und Feuerwehr unterliegen einem gesetzlichen Rahmen, den man nicht ignorieren kann und der durch globale Konflikte und Katastrophenlagen weitere Aufgaben mit sich bringt“, so der Gewerkschafter. „Wir müssen aufgrund des russischen Angriffskrieges und der Lage in Nahost noch mehr und intensiver Objekte und Personen schützen. Wir müssen den Anforderungen des Versammlungsfreiheitsgesetzes nachkommen, wir müssen einen RTW herausschicken, wenn Menschen in Not geraten. Wir müssen aber nicht weitere 20 Euro Ermäßigung auf die ÖPNV-Nutzung finanzieren, von der ohnehin nur die profitieren, die im Innenstadtbereich wohnen.“ Polizei und Feuerwehr müssen auch in Berlin einem gesetzlichen Auftrag nachkommen, bekräftigt Stephan Weh. „Auf das 29-Euro-Ticket trifft das nicht zu.“

QOSHE - Kritik am 29-Euro-Ticket: Warum das neue Berlin-Abo zerstörerisch wirkt - Peter Neumann
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Kritik am 29-Euro-Ticket: Warum das neue Berlin-Abo zerstörerisch wirkt

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19.04.2024

Für 29 Euro im Monat mit Bahn und Bus durch Berlin: Das wird vom 1. Juli an wieder möglich sein. Am kommenden Dienstag beginnt der Vorverkauf für das Berlin-Abo, den Nachfolger des 29-Euro-Tickets. Doch was viele Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs in der Hauptstadt freut, macht anderen schlechte Laune. Auch im Nachbarbundesland Brandenburg zeigt man sich verschnupft. In Berlin warnt die Polizeigewerkschaft, und die Opposition fragt, wo der Senat nun sparen muss – ohne eine Antwort zu erhalten.

Im Land Brandenburg, wo der Nahverkehr vom Land traditionell kurz gehalten wird, kommt die Berliner Spendierlaune besonders schlecht an. „Das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung verbindet mit der geplanten Einführung eines 29-Euro-Tickets in Berlin die Erwartung, dass damit keine Einschränkungen der Mobilität in anderen Bereichen verbunden sind“, sagt Katharina Burkardt, Sprecherin von Minister Rainer Genilke (CDU). Die Prioritäten liegen beim Ausbau der Infrastruktur.

Frank Wruck, Geschäftsführer der Barnimer Busgesellschaft, wird deutlicher, wenn es um das Berlin-Abo geht. „Ich kann nichts Gutes an dem Angebot finden“, so Wruck zur Berliner Zeitung. Das Unternehmen mit Sitz in Eberswalde betreibt Busse und O-Busse nordöstlich von Berlin. „Ich sehe den Bedarf nicht“, so Wruck. Für Menschen mit wenig Geld gebe es das Berlin-Ticket S für neun Euro im Monat. „Normalverdienende“ seien durchaus bereit zu zahlen, wie die Nachfrage nach dem bundesweit gültigen Deutschlandticket für 49 Euro zeigt. Ihre Zahlungsbereitschaft werde nicht abgeschöpft.

„Wenn es wirklich eine Personengruppe zwischen dem Berlin Ticket S und dem Deutschlandticket gibt: Wäre ihr mit einer direkten Unterstützung zum Beispiel mit einem 20-Euro-Zuschuss pro Monat zum Deutschlandticket nicht genauso geholfen, zu deutlich geringeren Kosten für die Steuerzahler?“, fragt der Unternehmenschef. „Am Ende wird das Geld für den Ausbau und die Steigerung der Attraktivität des öffentlichen........

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