Verfallene Bahnhöfe, rostende Schienen – und zwischen alten Schwellen sprießen Bäume. Aus vielen Teilen Brandenburgs hat sich die Bahn zurückgezogen. Doch auf den Strecken, die weiter betrieben werden, sind die Regionalzüge voll. So lässt sich die Situation des Bahnverkehrs in Berlins Nachbar-Bundesland beschreiben. Jetzt liefert eine Landtags-Drucksache detaillierte Zahlen: Das Schienennetz ist allein seit 1995 um mehr als ein Viertel geschrumpft, die Zahl der Fahrgäste hat sich vervielfacht.

Die Linke-Fraktion hatte Ende März eine große Anfrage zur Entwicklung des Eisenbahnverkehrs im Land Brandenburg gestellt. Die Antwort des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung, das von Minister Rainer Genilke (CDU) geleitet wird, liegt jetzt vor. Sie umfasst mehr als 70 Seiten – eine Fundgrube für Interessierte.

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Das sind die ersten Zahlen: 1995, kurz nach der Bahnreform, betrieb die Deutsche Bahn (DB) 3264 Kilometer Bahnstrecke in Brandenburg. 2022, so der jüngste Wert, waren es nur noch 2360 Kilometer. Sicher, in der Zwischenzeit gab das Bundesunternehmen Abschnitte an andere Infrastrukturbetreiber ab – etwa an die Regio Infra Nordost. Doch unterm Strich ist das betriebene Streckennetz um fast 770 Kilometer geschrumpft.

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Auch die Zahl der Bahnstationen ist deutlich zurückgegangen. Gab es 1990 noch rund 500 aktive Personenbahnhöfe im Land Brandenburg, werden in diesem Jahr 340 Stationen im Nahverkehr bedient – von Regionalzügen oder S-Bahnen oder beiden Zuggattungen, so das Ministerium. Seit langem wird beklagt, dass sich viele Bahnhofsbauten in schlechtem Zustand befinden. Von den 248 Empfangsgebäuden gehören nur noch 30 der DB, 157 sind privat. 50 seien derzeit ungenutzt, hieß es.

Trotz lokaler Proteste räumte die Bahn vielerorts das Feld. Auf wenig genutzten Strecken bestellte das Land, vertreten durch den Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, alle Regionalzüge ab. Leidtragende waren vor allem ländliche Regionen, darunter auch Städte wie Lychen, Luckau und Putlitz. Bahnknoten wie Templin und Beeskow verloren Streckenäste. Nicht immer wurden die Züge durch Busse adäquat ersetzt. Selbst auf noch betriebenen Strecken gab es Einsparungen, Weichen und Bahnsteige wurden vom Netz abgeklemmt. Im Güterverkehr schrumpfte die Infrastruktur ebenfalls: Die Zahl der Gleisanschlüsse von Firmenstandorten sank von 306 im Jahr 2005 auf 164 im Jahr 2020.

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Auf Strecken, auf denen die Planer Potenzial sahen, wurde der Personenverkehr jedoch verbessert. So begann die DB Mitte der 1990er-Jahre damit, Regionalexpresslinien einzuführen, die Brandenburg und Berlin im Stundentakt verbinden. Der Fahrzeugpark wurde modernisiert. Die Inbetriebnahme des Nord-Süd-Tunnels 2006 gab einen weiteren Schub. 2022 wurde nach langer Stagnation das Angebot wieder erweitert. Zugleich macht sich bemerkbar, dass die Bevölkerung im Umland wächst. Zwar herrscht im Pendlerverkehr weiterhin das Auto vor. Doch der Positivtrend bei der Bahn bleibt.

Die Zahlen, die das Ministerium in seiner am 12. April veröffentlichten Antwort zusammenstellte, zeigen jedenfalls eine beachtliche Entwicklung. Danach wurden die Regionalzüge in Berlin und Brandenburg 1993 für 22 Millionen Fahrten genutzt. 1995 waren es 29 Millionen, 2015 sogar 77 Millionen. 2020, im ersten Jahr der Corona-Pandemie, bekam der Trend wie fast überall eine Delle: Nur noch 62 Millionen Fahrten wurden gezählt. Doch 2022 waren es dann schon 93 Millionen – ein neuer Rekord.

Auch die Fahrgastzahlen der S-Bahn, die seit ihren Anfängen vor mittlerweile fast hundert Jahren Berlin und Brandenburg verbindet, haben sich beeindruckend entwickelt. 1993 wurden die bordeauxrot-ockergelben Züge für 232 Millionen Fahrten genutzt, 2015 bereits für 417 Millionen. Auch das DB-Tochterunternehmen erlebte 2020 eine Corona-Delle: nur noch 334 Millionen Fahrgäste. Doch 2022 war sie schon fast wieder verschwunden: 410 Millionen Fahrgäste. Tendenz auch dort: weiter steigend.

Die steigenden Nutzerzahlen bedeuten aber nicht, dass alle Kunden zufrieden sind. Wurden 2019 noch 93 Prozent aller Regionalzugfahrten in Berlin und Brandenburg als pünktlich gewertet, waren es im vergangenen Jahr 87,3 Prozent. Die Zuverlässigkeit, ein weiteres wichtiges Qualitätsmerkmal, hat ebenfalls gelitten. Der Anteil der Fahrten, die tatsächlich stattfanden und nicht ausfielen, ging von 99 auf 97,1 Prozent zurück.

Immerhin: Der Anteil der Strecken, die in Brandenburg entweder mit Oberleitung oder mit Stromschiene elektrifiziert wurden, ist von 1995 bis 2022 gestiegen – von 48,8 auf 71,5 Prozent. Es gibt auch mehr zweigleisige Trassen. Deren Anteil sei von 38,7 auf 57,1 Prozent gewachsen, teilte das Ministerium mit. Es erinnerte an das Investitionsprogramm i2030, das Fahrgästen auf acht Streckenkorridoren Verbesserungen bringen soll.

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Allerdings gehen manche Infrastrukturprojekte trotz großer Anstrengungen langsamer voran als erwartet. Hieß es anfangs, dass die Stammstrecke der Heidekrautbahn nordöstlich von Berlin ab Ende 2024 ausgebaut werden soll, heißt es nun in der Landtags-Drucksache, dass der Baustart vom laufenden Planrechtsverfahren abhängt. Intern hält man einen Baustart 2026 für wahrscheinlich. Die Trasse zwischen Berlin-Wilhelmsruh und Basdorf, die nach 1961 etappenweise den Personenverkehr verlor, wird reaktiviert.

Von den fünf Grenzübergangsstellen zwischen Brandenburg und Polen sind die beiden wichtigsten Verbindungen für den Regionalverkehr weiterhin unterbrochen. Die Stettiner Bahn zwischen Angermünde und Stettin (Szczecin), die ausgebaut und elektrifiziert wird, soll erst 2026 wieder ans Netz gehen. Für die Fahrgäste auf der Regionalbahnlinie RB26, die auf dem grenzüberschreitenden Abschnitt seit 2021 auf Kleinbusse umsteigen müssen, ist dagegen Erleichterung in Sicht. Für die Inbetriebnahme der Oderbrücke zwischen Küstrin-Kietz und Küstrin (Kostrzyn) hat die Bahn ein Datum genannt: 29. Juli 2024.

QOSHE - Stark geschrumpft: Warum die Bahn in Brandenburg trotzdem eine Erfolgsgeschichte ist - Peter Neumann
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Stark geschrumpft: Warum die Bahn in Brandenburg trotzdem eine Erfolgsgeschichte ist

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26.04.2024

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© Berliner Zeitung


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