Was soll diese Überschrift? Kann man für Krieg sein? Gibt es einen gerechten Krieg? Deutsche Politiker und Publizisten sagen, dass Israel nach dem Massaker vom 7. Oktober einem legitimen Recht auf Selbstverteidigung folge. Bis heute sind dabei mindestens 30.000 Menschen getötet und 1,7 Millionen Menschen vertrieben worden, Hunderttausende sind von Hunger und Krankheit bedroht. Manche behaupten, dass daran nicht die israelische Regierung, sondern die Hamas schuld sei. Diese Behauptungen klammern nicht nur den historischen und politischen Kontext des Konfliktes (warum gibt es die Hamas überhaupt?) sowie seine Asymmetrie aus – die Hamas besitzt weder Staatlichkeit, Armee, Flugzeuge, Bomben, Panzer und Atomwaffen noch hat sie die Unterstützung der größten Militärmacht des Planeten –, sondern widersprechen auch eindeutig dem internationalen Recht. In den einfachen Worten des Juristen Thomas Fischer im Spiegel:

„Ein Kriegsverbrechen ist nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Gegner ebenfalls ein Kriegsverbrechen begangen hat. (…) Die Hamas benutzt, wie offenkundig ist, die hilflosen palästinensischen Zivilisten als ‚Schutzschild‘ und kalkuliert ihren Tod als Propagandamaterial ein. Das ist seinerseits ein Kriegsverbrechen. Wenn sich Verbrecher hinter einer Gruppe von Geiseln verstecken, ergibt sich hieraus aber kein Recht der ‚Guten‘, die unschuldigen Geiseln zu erschießen, um die Bösen zu erwischen.“

Um zu verstehen, was in Gaza passiert, muss man sich mit den Mitgliedern der israelischen Regierung befassen. Hierfür ist Bezalel Smotrich eine Schlüsselfigur. Smotrich ist amtierender Finanzminister sowie mit Sonderbefugnissen ausgestatteter und de facto „Gouverneur des Westjordanlands“. Er ist orthodoxer Jude, verheiratet, hat sieben Kinder und lebt in einer israelischen Siedlung im Westjordanland. Er ist, wie die taz schrieb, „einer der radikalsten Siedler Israels“ und erklärte, dass es mit ihm keinen Stopp beim Siedlungsbau im Westjordanland geben werde, „nicht einmal für einen Tag“. Smotrich ist „stolzer Homophober“, bezeichnete LGBT-Personen als abnormal, erklärte 2019, dass er das Rechtssystem der Torah wiederherstellen wolle und Israel wie „zur Zeit von König David“ regiert werden solle und sagt, dass es kein palästinensisches Volk gebe und daher kein Grund bestehe, einen palästinensischen Staat zu errichten.

•gestern

03.03.2024

•gestern

•gestern

02.03.2024

Die Blaupause seiner politischen Ziele veröffentlichte er im Mai 2017 als den „entscheidenden Plan“ und die entscheidende „eine Hoffnung“ für Israel. Nach zwanzig Jahren gescheiterter Versuche der von der Linken angeblich propagierten Zweistaatenlösung sei es an der Zeit, einen Plan auszuprobieren, der auf einem „rechtsgerichteten, zionistischen und glaubensbasierten Ansatz“ beruhe. Erkannt werden müsse, dass man es mit zwei nationalen Bestrebungen zu tun habe, „die nicht nebeneinander existieren können, und dass die eigentliche Existenzberechtigung des palästinensischen „Volkes“ darin besteht, das Existenzrecht des Staates Israel zu bestreiten“.

Um „Frieden und Koexistenz zu erreichen“, könne „ein arabisches Kollektiv mit nationalen Ambitionen nicht im Land Israel belassen“ werden, „unabhängig von seinen Definitionen und Grenzen“. Ziel müsse es sein, „jegliche nationale Hoffnung der Palästinenser auszulöschen“. Israel solle das Westjordanland komplett annektieren, die Palästinenser, die im Westjordanland bleiben wollen, würden volle Bürgerrechte erhalten, allerdings (zunächst) vom Wahlrecht für die Knesset ausgeschlossen sein. Zugleich wolle er finanzielle Anreize schaffen, alle Palästinenser, die nicht bereit sind, im jüdischen Staat Israel zu leben, zum Auswandern zu bewegen. Die Palästinenser hätten also drei Wahlmöglichkeiten: das Land zu verlassen; unter dem Status eines Ausländers weiter im Land zu leben oder Widerstand zu leisten, wobei dann die israelische Armee zum Einsatz käme.

Einer der renommiertesten israelischen Journalisten, Ron Ben-Yishai, kommentierte, dass der Plan die Palästinenser vor die Wahl zwischen ethnischer Säuberung, Apartheid oder Völkermord stelle. In der Jerusalem Post vom 30. Mai 2023 nannte der ehemalige Generaloberst der israelischen Armee, Yaakov (Mendy) Or, dies einen „beängstigenden, selbstmörderischen“ Plan. Mit seiner neuen Regierung führe Netanjahu Israel „bewusst und in vollem Bewusstsein (…) in den Abgrund“. Smotrichs „Annexions-Apartheid-Programm“ sei Ausdruck seiner „extremistischen, messianischen Vision“, würde „Israels Sicherheit, Wirtschaft und Außenbeziehungen in der Region und darüber hinaus gefährden“ und „das Ende Israels als demokratische Gesellschaft bedeuten“.

Als ich dies im November letzten Jahres für einen Artikel recherchiert hatte, schien mir klar, dass die israelische Regierung das Massaker vom 7. Oktober benutzen würde, um diesen Plan in die Tat umzusetzen. Damit zurück zur Frage, warum ich gegen diesen Krieg bin. Warum treibt mich dieser Schrecken so um, warum kann ich nicht mehr ruhig schlafen?

Im Kontext des „Berlinale-Skandals“ erhielt ich eine Nachricht, dass es ebenso brutale Kriege und Völkermorde im Sudan, Jemen und anderswo gäbe, dagegen jedoch keine Künstler aufstünden, weshalb der Antisemitismusverdacht berechtigt sei.

Dem möchte ich zum einen entgegnen: Der Nahostkonflikt und die Unterdrückung der Palästinenser dauert bereits mindestens 75 Jahre und ist aus vielerlei Gründen im Fokus der Weltöffentlichkeit. Damit ist nicht gesagt, dass andere Kriege, Vertreibungen und Völkermorde nicht ebenso viel Aufmerksamkeit verdienten und nicht ebenso schrecklich sind.

Zum anderen möchte ich hier noch eine persönliche Antwort anfügen. Natürlich sind Deutsche auf besondere Weise mit dem Nahostkonflikt verbunden. Meine beiden Großeltern haben am Schrecken der Nazi-Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg gelitten. Meine eine Großmutter floh mit einem Koffer in der einen und meiner vierjährigen Tante an der anderen Hand vor der heranrückenden Roten Armee und verlor ihre Heimat Oberschlesien für immer. In Gesprächen mit ihr wurde mir deutlich, dass sie diesen Verlust und die Tatsache, dass der Ort, an dem sie aufgewachsen war, nun zu einem anderen Land gehört, nie verwunden hatte. Meine andere Großmutter war, in der schrecklichen Terminologie der Nazis gesprochen, Halbjüdin.

Auch sie, ihre (jüdische) Mutter, Schwester und Vater mussten sich verstecken. Teile ihrer Familie kamen in KZs ums Leben. Traumata vererben sich über mehrere Generationen. Auch ich trage das Trauma von Diktatur, Flucht und Holocaust in mir. Was folgt daraus? Deborah Feldman hat dazu im November 2023 in einer Talkshow in einem Satz alles gesagt: Die „einzige legitime Lehre des Holocausts“ sei „die absolute, bedingungslose Verteidigung der Menschenrechte für alle“.

Nicht trotz, sondern auch wegen des Holocausts kann – oder muss – man deshalb die Kriegspolitik der israelischen Regierung verurteilen. Wem an der Sicherheit Israels gelegen ist und wer sich gegen Antisemitismus einsetzen möchte, ist dazu verpflichtet, das Handeln der israelischen Regierung zu kritisieren und sich für eine Beendigung des Krieges, ein Ende des Apartheid-Regimes und für Versöhnung auszusprechen. Nicht jene, die eine solche Kritik äußern und sich für Frieden einsetzen, sondern all jene, die eine solche Kritik nicht äußern oder unter pauschalen Antisemitismusverdacht stellen, sind diejenigen, die – wenn auch unbeabsichtigt – Antisemitismus befördern, den Antisemitismusbegriff entwerten und die Sicherheit Israels gefährden. Die einfache, wie komplizierte Wahrheit ist: Ohne ein Ende des Apartheid-Regimes und einen Aussöhnungsprozess wird es keine Sicherheit für Israel geben.

Doch dafür ist es nun womöglich zu spät. Eine Zweistaatenlösung war schon vor den Geschehnissen der letzten Monate seit langem nicht mehr realistisch. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, schrieb am 1. März auf X: „Israel fordert die Zivilisten zum Verlassen des Operationsgebietes auf. Das verdient internationale Unterstützung: Ägypten sollte eine geordnete Evakuierung der Zivilbevölkerung nach Sinai durch UN ermöglichen mit Rückkehr nach Kriegsende. UNHCR richtet Lager ein.“

Israel fordert, die Zivilisten zum Verlassen des Operationsgebietes auf. Das verdient internationale Unterstütztung:

Ägypten sollte eine geordnete Evakuierung der Zivilbevölkerung nach Sinai durch UN ermöglichen mit Rückkehr nach Kriegsende. UNHCR richtet Lager ein.

Auf die Rückfrage eines Users, wie es in der Vergangenheit mit der Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge gelaufen sei, antwortete er: „Welche Rückkehr? Die wird es nicht geben.“

Welche Rückkehr? Die wird es nicht geben.

Damit hat er preisgegeben, worum es den Faschisten in der israelischen Regierung geht, warum eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof anhängig ist und wofür mittlerweile auch Deutschland aufgrund seiner Unterstützung Israels angeklagt ist. Dass es hierzu kommen konnte, ist ein gigantisches intellektuelles, politisches und moralisches Versagen.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de

Gaza-Krieg: UN-Bericht zu Massenvergewaltigungen löst weitere Spannungen mit Israel aus

•vor 6 Std.

Nahostkonflikt: Warum Israelis kein Interesse daran haben, den Krieg zu beenden

gestern

QOSHE - Warum ich gegen den Krieg in Gaza bin - Philipp Von Becker
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Warum ich gegen den Krieg in Gaza bin

7 14
05.03.2024

Was soll diese Überschrift? Kann man für Krieg sein? Gibt es einen gerechten Krieg? Deutsche Politiker und Publizisten sagen, dass Israel nach dem Massaker vom 7. Oktober einem legitimen Recht auf Selbstverteidigung folge. Bis heute sind dabei mindestens 30.000 Menschen getötet und 1,7 Millionen Menschen vertrieben worden, Hunderttausende sind von Hunger und Krankheit bedroht. Manche behaupten, dass daran nicht die israelische Regierung, sondern die Hamas schuld sei. Diese Behauptungen klammern nicht nur den historischen und politischen Kontext des Konfliktes (warum gibt es die Hamas überhaupt?) sowie seine Asymmetrie aus – die Hamas besitzt weder Staatlichkeit, Armee, Flugzeuge, Bomben, Panzer und Atomwaffen noch hat sie die Unterstützung der größten Militärmacht des Planeten –, sondern widersprechen auch eindeutig dem internationalen Recht. In den einfachen Worten des Juristen Thomas Fischer im Spiegel:

„Ein Kriegsverbrechen ist nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Gegner ebenfalls ein Kriegsverbrechen begangen hat. (…) Die Hamas benutzt, wie offenkundig ist, die hilflosen palästinensischen Zivilisten als ‚Schutzschild‘ und kalkuliert ihren Tod als Propagandamaterial ein. Das ist seinerseits ein Kriegsverbrechen. Wenn sich Verbrecher hinter einer Gruppe von Geiseln verstecken, ergibt sich hieraus aber kein Recht der ‚Guten‘, die unschuldigen Geiseln zu erschießen, um die Bösen zu erwischen.“

Um zu verstehen, was in Gaza passiert, muss man sich mit den Mitgliedern der israelischen Regierung befassen. Hierfür ist Bezalel Smotrich eine Schlüsselfigur. Smotrich ist amtierender Finanzminister sowie mit Sonderbefugnissen ausgestatteter und de facto „Gouverneur des Westjordanlands“. Er ist orthodoxer Jude, verheiratet, hat sieben Kinder und lebt in einer israelischen Siedlung im Westjordanland. Er ist, wie die taz schrieb, „einer der radikalsten Siedler Israels“ und erklärte, dass es mit ihm keinen Stopp beim Siedlungsbau im Westjordanland geben werde, „nicht einmal für einen Tag“. Smotrich ist „stolzer Homophober“, bezeichnete LGBT-Personen als abnormal, erklärte 2019, dass er das Rechtssystem der Torah wiederherstellen wolle und Israel wie „zur Zeit von König David“ regiert werden solle und sagt, dass es kein palästinensisches Volk gebe und daher kein Grund bestehe, einen........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play