Nimm den Zug, Ricardo, haben sie gesagt. Das ist viel entspannter und besser für die Umwelt, haben sie gesagt. Was sie mir nicht gesagt haben, ist, dass ich an diesem Abend fast nicht nach Hause kommen werde und mit der Bundespolizei aneinander gerate.

Aber der Reihe nach: Für ein neues Projekt im medizinischen Bereich war ich auf dem Weg nach Aachen. Erst mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof, dann mit dem ICE weiter nach Köln. Die Fahrt dauerte knapp fünf Stunden und ich war positiv überrascht – vielleicht könnte ich mir doch vorstellen, in Zukunft mein Auto mal stehen zu lassen. Das waren meine Gedanken – noch.

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Den Termin erfolgreich hinter mich gebracht, machte ich mich auf den Weg nach Hause und freute mich schon auf den entspannten Heimweg. Was jedoch folgte, glich einem regelrechten Spießrutenlauf.

Die Durchsage: „Die Weiterfahrt verzögert sich um 45 Minuten“ riss mich schon bald aus dem Halbschlaf. Irgendeine Oberleitungsstörung, mehr habe ich nicht mitbekommen. Wir waren in Hamm. Ziemlich genau eine Stunde später wurden wir aufgefordert, in den ICE auf dem gegenüberliegenden Gleis umzusteigen – nur um diesen wiederum eine halbe Stunde später verlassen zu müssen, weil kein Zug mehr nach Berlin fahren würde.

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28.11.2023

gestern

Mittlerweile völlig genervt, stieg ich wieder aus und wandte mich – wie viele andere auch – hilfesuchend an das Bahnpersonal mit der Frage, wie ich denn nun nach Hause käme. Die gute Nachricht war, dass Busse bestellt waren, die uns nach Berlin bringen sollten. Die schlechte: Das Servicepersonal in der Haupthalle, an das wir verwiesen wurden, wusste davon leider nichts. Sie schickten uns mit der Regionalbahn nach Bielefeld, mit der Aussicht auf einen Gutschein für eine Hotelübernachtung oder ein Taxi.

Also Kommando zurück. Gepäck die Treppe hochschleppen und eine weitere Stunde Zugfahrt – wohlgemerkt ohne eine einzige funktionierende Toilette an Bord. Mit voller Blase in Bielefeld angekommen, mussten mehrere Fahrgäste – darunter ich – feststellen, dass auch die Bahnhofstoilette gesperrt war. Immerhin wurde uns der Tipp gegeben, dass wir ja im Hotel gegenüber fragen könnten, ob wir dort pinkeln dürfen.

Die Auskunft des Servicepersonals im Bahnhof: „Laut Anweisung des Chefs“ sei man hier falsch, es gebe kein Hotel- oder Taxigutscheine. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Alle diplomatischen Versuche meiner Mitstreiter, der Sache eine positive Wendung zu geben, hatten nicht zum Erfolg geführt. Wir waren in Bielefeld gestrandet. Niemand wollte uns helfen. Ich fühlte mich verarscht und klopfte an die Tür des Servicehäuschens, hinter der die Mitarbeiter einfach verschwunden waren. Ein junger Mann öffnete und wollte mich des Platzes verweisen, ich wiederum forderte ihn mehrfach auf, seinen Chef anzurufen und mir den Hörer zu geben, mit dem Argument, so gehe man nicht mit Menschen um. Was dann folgte, kann man sich nicht ausdenken.

Statt den Chef an die Strippe bekam ich die Order von der Bundespolizei, die plötzlich vor mir auftauchte, heranzutreten. Ich sollte mich aus dem Sicherheitsbereich entfernen und es unterlassen, an die Tür zu klopfen. Sie waren vom besagten Servicepersonal gerufen worden, weil sie angeblich von einem glatzköpfigen Bodybuilder bedroht wurden. Wahrscheinlich hat niemand an meinem Gesichtsausdruck gemerkt, wie verblüfft ich in dem Moment über diese Aussage war, aber wer mich kennt, weiß, dass es eines bei mir nicht gibt: mich abwimmeln zu lassen.

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Es war inzwischen Nacht und saukalt, viele hatten Hunger und Durst oder mussten immer noch auf die Toilette. Unter uns waren auch einige ältere Leute, denen man die Strapazen bereits deutlich ansah. Also habe ich auch der Polizei zu verstehen gegeben, dass ich hier nicht weggehen würde, bis wir eine Lösung für uns alle gefunden hätten und dass es jetzt nur noch zwei Möglichkeiten gebe: Entweder sie nehmen mich mit oder sie helfen uns aus dieser Notlage. Ein Wort gab das andere, bis sich schließlich einer der Polizisten einen Ruck gab, ins Servicehäuschen ging und mit einer tollen Nachricht wieder herauskam: Taxigutscheine für alle!

Eine ältere Dame scherzte noch: „Hätten sie dich mitgenommen, hätte wenigstens einer von uns ein warmes Dach über dem Kopf gehabt.“ Am Ende verabschiedete ich mich mit einem freundlichen Handschlag von den Polizisten. Sie bestätigten mir auch im Gespräch, dass über die Überwachungskamera im Vorfeld keine Bedrohung durch mich erkennbar war.

An dieser Stelle noch einmal ein fettes Dankeschön an die Blaulichtkollegen in Bielefeld, dass sie letztendlich so cool reagiert und uns den Abend gerettet haben.

Wir waren froh, nach einer Odyssee endlich, nach Hause zu kommen. Sechs Stunden länger als geplant hat die Tour von Köln nach Berlin gedauert. Das Taxi kostete die Deutsche Bahn knapp 1100 Euro.

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Mein Horrortrip mit dem ICE: Wie ich wegen der Deutschen Bahn Stress mit der Bundespolizei bekam

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01.12.2023

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