„Top Gun-Feeling pur. Maverick kann einpacken!“ – mit diesen Worten leitet Frau Strack-Zimmermann einen vor rund acht Monaten verfassten Beitrag ein, in dem sie auf LinkedIn von einem der „aufregendsten Tage“ ihres Lebens berichtet. Sie durfte in einem Eurofighter der Bundeswehr mitfliegen, um sich so authentisch und glaubwürdig für die Belange der Soldaten einsetzen zu können. „Und ja“, schreibt sie, „ein bisschen Spaß hat es natürlich auch gemacht“. Vor kurzem erst sorgte sie mit ihrem T-Shirt für Aufregung, auf dem ein Bulle – ein Taurus – hervorstach, unterstrichen mit dem Slogan: „Taurus für die Ukraine – Gemeinsam bis zum Sieg“

Die Medien ziehen mit. Im Februar wurde auf dem Instagram-Profil von ZDF „logo!“ – einem Format für Kinder – ein Video hochgeladen, in dem sich Waffensysteme, echte Raketen, mit animierten Gesichtern verniedlichend dargestellt, über die Debatte um die Taurus-Lieferungen unterhielten. Der Beitrag stieß auf massive Kritik und wurde wenig später gelöscht.

Es hat den Anschein, als habe der Krieg alle Bereiche des Lebens fest im Griff. Angesichts des Nahostkonflikts und der Situation in der Ukraine ist das kein Wunder. Während alle Augen auf Putin gerichtet sind, der laut einiger Experten an die Tore Europas zu klopfen scheint, sollten wir unser Gesundheitssystem nicht aus den Augen verlieren. Egal, was passiert, es ist unser Fundament. Wenn hier nichts mehr läuft, bricht auch alles andere zusammen.

Ich selbst habe meinen Wehrdienst bei der Bundeswehr in Rendsburg geleistet. Dort wurde ich an den verschiedensten Waffen ausgebildet und auf den Ernstfall vorbereitet. Ehrlich gesagt hat es mir damals als junger Mann auch viel Spaß gemacht, im Tarnanzug und mit Kriegsbemalung im Gesicht durch den Wald zu robben, mit Pistole und Maschinengewehr auf Zielscheiben zu schießen oder Granaten und Panzerfäuste abzufeuern. Heute, mehr als zwanzig Jahre später, sehe ich das etwas differenzierter.

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Im Laufe der Jahre habe ich den einen oder anderen Kriegsverletzten aus dem Ausland auf der Intensivstation betreut. An einige kann ich mich noch sehr gut erinnern: Der Soldat, der im Gefecht von einer Kugel in den Rücken getroffen wurde und nun für immer ein Pflegefall bleiben wird. Er ist vom Hals abwärts gelähmt. Trotz der Sprachbarriere – er kam aus Afghanistan, soweit ich mich erinnere – haben wir uns sehr gut verstanden.

Dann der Patient, der bei einem Autobombenanschlag lebensgefährlich am Kopf verletzt wurde. Durch die Wucht der Explosion hat sich ein Schrapnell-Splitter komplett durch seinen Schädel gebohrt. Er wurde zur Behandlung nach Deutschland gebracht und uns blieb nichts anderes übrig, als die herausquellende Hirnmasse mit einem Verband abzudecken. Er starb wenig später in unserer Klinik. Die Schwere dieser Verletzung habe ich bis heute nicht vergessen.

Wann immer wir über Krieg, über Waffenlieferungen oder über die Begeisterung beim Fliegen eines Kampfjets sprechen, müssen wir uns eines bewusst machen und dürfen den Bezug zu unserer Menschlichkeit nicht aus den Augen verlieren: Jede Kugel tötet Menschen, jede Bombe zerstört Häuser und lässt zerfetzte Körper und abgerissene Gliedmaßen zurück.

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Nun soll der Krieg auch in deutsche Schulen Einzug halten und Teil des Unterrichts werden – zumindest wenn es nach dem Willen von Bildungsministerin Stark-Watzinger von der FDP geht. Ziel soll es sein, Zivilschutzübungen durchzuführen und ein „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ zu entwickeln. Ist Frau Stark-Watzinger bekannt, dass nicht einmal der reguläre Unterrichtsstoff vermittelt werden kann, da immer wieder Unterricht ausfällt, weil nicht genügend Lehrer zur Verfügung stehen?

Sollten dennoch Kapazitäten vorhanden sein, hätte ich einen Gegenvorschlag: Wie wäre es stattdessen mit einem Fach Gesundheit? Denn ohne die ist alles andere nichts.

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass viele Zivilisationskrankheiten durch frühzeitige Prävention verhindert werden können. Ich bin davon überzeugt, dass die Zahl der Menschen, die an Adipositas leiden, die Zahl derer, die an Typ-2-Diabetes erkranken, und die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich reduziert werden könnten, wenn schon Kindern das Wissen vermittelt werden würde, wie sie sich im Alltag gesund ernähren können und wie wichtig Bewegung für unsere Gesundheit ist.

Jährlich könnten rund 10.000 Menschenleben zusätzlich gerettet werden, wenn sich mehr Ersthelfer zutrauen würden, eine Herzdruckmassage durchzuführen. Unser Nachbarland Dänemark macht es vor. Dort wurde der Wiederbelebungsunterricht an Schulen bereits 2005 gesetzlich verankert. Das Ergebnis ist eindeutig: Von damals bis heute konnte die Laienreanimationsquote von zwanzig auf sechzig Prozent gesteigert und die Überlebensrate der Betroffenen verdreifacht werden!

Auch Karl Lauterbach will das Gesundheitswesen für Kriege rüsten, wie die Schlagzeilen der letzten Wochen verlauten ließen. Bei allem Respekt: Wer für Kriege und andere Krisen vorbereitet und gewappnet sein will, muss zunächst einmal für den normalen Alltag gut und ausreichend gerüstet sein. Und wenn ich es überspitzt sagen darf: Wir sind nicht einmal für eine Heuschnupfenwelle angemessen aufgestellt!

In den letzten Jahren während der Pandemie wurde immer wieder betont, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems unbedingt vermieden werden muss. Zu spät hat man erkannt, oder besser: wahrhaben wollen, dass dieses System und vor allem seine Mitarbeiter längst am Ende sind. So traf das Corona-Virus auf ein angeschlagenes und völlig ausgelaugtes Gesundheitssystem und machte noch einmal deutlich: „So kann und darf es nicht weitergehen!“

Diese Erkenntnis ist verflogen. Heute gibt es immer noch zu wenig Ärzte und Pflegekräfte. Natürlich kann man diese Lücke nicht in so kurzer Zeit schließen. Aber die Frage ist: Wann fangen wir endlich damit an? Wann begreifen wir endlich, dass es keinen Sinn macht, nur darüber nachzudenken, wie wir beispielsweise neue Pflegekräfte aus dem Ausland anwerben können? Wenn wir es nicht schaffen, die, die seit Jahren ihren Job machen zu halten, dann ist alles andere für die Katz.

Ganz abgesehen davon, dass Deutschland für ausländische Pflegekräfte längst nicht mehr so attraktiv ist, wie uns manche Politiker glauben machen wollen. So hatte die FDP erst kürzlich wieder einen Totalausfall. Die Idee: Steuervorteile für ausländische Fachkräfte. Auch wenn das „nur“ für drei Jahre gedacht ist, ist das ein Schlag ins Gesicht für alle Fachkräfte, die bereits hier arbeiten.

Ricardo Lange: Ketamin bis Viagra – über Medikamentendiebstahl im Krankenhaus

10.03.2024

Man kann es in etwa mit Stromanbietern und Handyverträgen vergleichen. Neue Kunden werden mit tollen Konditionen gelockt, die alten bleiben auf der Strecke. Der Vorschlag von Christian Lindner, Überstunden steuerlich besser zu stellen, ist da eher ein Schritt in die richtige Richtung. In einer meiner letzten Kolumnen habe ich bereits vorgeschlagen, Überstunden komplett von der Steuer zu befreien.

Zum Schluss möchte ich noch einmal betonen, dass die Landesverteidigung grundsätzlich immer oberste Priorität haben sollte. Dabei geht es aber nicht nur um die rein militärische Schlagkraft, sondern auch um unsere eigene physische Widerstandskraft und Resilienz. Um es ganz plakativ zu sagen: Krieg und Lazarett gehören stets zusammen. Was nützen uns die größten Panzer, die stärksten Gewehrkugeln oder die schnellsten Eurofighter, wenn wir nicht einmal in der Lage sind, unsere eigene Bevölkerung adäquat und angemessen medizinisch zu versorgen.

Jeder Kriegsverletzte, jeder traumatisierte Soldat oder Flüchtling trifft auf ein ausgebranntes Gesundheitssystem und markiert wie schon Corona nur die Spitze auf einem gigantischen Eisberg – die Titanic lässt grüßen!

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Ricardo Lange: Krieg als Lehrstoff an Schulen? Stattdessen Gesundheit als Fach!

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13.04.2024

„Top Gun-Feeling pur. Maverick kann einpacken!“ – mit diesen Worten leitet Frau Strack-Zimmermann einen vor rund acht Monaten verfassten Beitrag ein, in dem sie auf LinkedIn von einem der „aufregendsten Tage“ ihres Lebens berichtet. Sie durfte in einem Eurofighter der Bundeswehr mitfliegen, um sich so authentisch und glaubwürdig für die Belange der Soldaten einsetzen zu können. „Und ja“, schreibt sie, „ein bisschen Spaß hat es natürlich auch gemacht“. Vor kurzem erst sorgte sie mit ihrem T-Shirt für Aufregung, auf dem ein Bulle – ein Taurus – hervorstach, unterstrichen mit dem Slogan: „Taurus für die Ukraine – Gemeinsam bis zum Sieg“

Die Medien ziehen mit. Im Februar wurde auf dem Instagram-Profil von ZDF „logo!“ – einem Format für Kinder – ein Video hochgeladen, in dem sich Waffensysteme, echte Raketen, mit animierten Gesichtern verniedlichend dargestellt, über die Debatte um die Taurus-Lieferungen unterhielten. Der Beitrag stieß auf massive Kritik und wurde wenig später gelöscht.

Es hat den Anschein, als habe der Krieg alle Bereiche des Lebens fest im Griff. Angesichts des Nahostkonflikts und der Situation in der Ukraine ist das kein Wunder. Während alle Augen auf Putin gerichtet sind, der laut einiger Experten an die Tore Europas zu klopfen scheint, sollten wir unser Gesundheitssystem nicht aus den Augen verlieren. Egal, was passiert, es ist unser Fundament. Wenn hier nichts mehr läuft, bricht auch alles andere zusammen.

Ich selbst habe meinen Wehrdienst bei der Bundeswehr in Rendsburg geleistet. Dort wurde ich an den verschiedensten Waffen ausgebildet und auf den Ernstfall vorbereitet. Ehrlich gesagt hat es mir damals als junger Mann auch viel Spaß gemacht, im Tarnanzug und mit Kriegsbemalung im Gesicht durch den Wald zu robben, mit Pistole und Maschinengewehr auf Zielscheiben zu schießen oder Granaten und Panzerfäuste abzufeuern. Heute, mehr als zwanzig Jahre später, sehe ich das etwas differenzierter.

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© Berliner Zeitung


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