Atemnot, Herzstolpern bis hin zur Ohnmacht – das kann die Quittung sein, wenn man seine Gesundheit nicht ernst genug nimmt. Wir alle kennen den Anfang: eine scheinbar harmlose Erkältung. Ein bisschen Husten, ein bisschen Schnupfen, ein bisschen Halsweh, alles halb so wild. So denken zumindest viele. Ich will ehrlich sein, auch ich bin jahrelang mit diesen Symptomen noch zum Sport gegangen. Ich hatte Glück, Ralf nicht.

Ralf ist diesmal kein Patient, zumindest keiner, den ich persönlich betreut habe. Ich lernte ihn 2020 über Facebook kennen, wo ich meinen ersten Beitrag über die Missstände im Gesundheitssystem schrieb und mich über das Klatschen auf den Balkonen während der Corona-Pandemie ärgerte. Am Telefon erzählte er mir von seinen dreieinhalb Herzen. Im November letzten Jahres lernte ich ihn im Rahmen meines eigenen Podcasts „True Care – intensive Fälle“ persönlich kennen und erkannte mich sofort wieder.

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Er selbst hatte 2006 eine Lungenentzündung und ignorierte den Rat seiner Ärztin, sich zu Hause auszukurieren. Viel zu früh kehrte er an seinen Arbeitsplatz zurück. Ein fataler Fehler, wie er heute weiß, der ihn viele Jahre seines Lebens gekostet hat – und beinahe auch sein Leben selbst. Er erkrankte an einer lebensbedrohlichen Herzmuskelentzündung.

Ich habe schon einige Leute kennengelernt, die eine Infektion nicht richtig auskuriert und sich dadurch ebenfalls eine Herzmuskelentzündung zugezogen haben. Darunter sind auch zwei Kollegen, die genau wie ich die Gefahr eigentlich kennen, aber schließlich unterschätzt haben. Einer der beiden arbeitet inzwischen wieder auf Station, aber die Angst sitzt ihm nach einem Jahr Krankheit immer noch im Nacken.

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Wer jetzt denkt, krass, ein Jahr ist aber eine extrem lange Zeit, der sollte sich mal die Geschichte von Ralf anhören. Sein Herz wurde so schwer geschädigt, dass er immer wieder für längere Zeit im Krankenhaus liegt. Nach einem missglückten Therapieversuch mit einem Cardioband ging es ihm so schlecht, dass er fast drei Monate im künstlichen Koma lag. Wer jetzt an die Filme denkt, in denen Menschen teilweise jahrelang im Koma liegen, aufwachen und dann mir nichts, dir nichts die Welt retten, dem sei eines versichert: Das hat nichts mit der Realität zu tun.

Eine Tatsache, die Ralf seinerzeit am eigenen Leib erfährt: Er wird zum Pflegefall, trägt Windeln. Essen und Trinken, Aufsetzen oder gar Stehen – nichts geht mehr von allein. Ich erlebe es immer wieder auf der Intensivstation, dass dies eine extrem schwere Zeit für die Betroffenen ist. Eine Zeit voller Scham und Hilflosigkeit. Menschen, die heute noch mit beiden Beinen im Leben stehen und morgen nicht einmal mehr ihre Notdurft selbstständig verrichten können. Für viele eine harte Bewährungsprobe.

Für Ralf geht es weiter bergab. Sein Zustand verschlechtert sich so sehr, dass die Ärzte die Hoffnung aufgeben und ihn abschreiben. Seine Schwester, die zu diesem Zeitpunkt sein gesetzlicher Vormund ist, will sich damit nicht abfinden und setzt alle Hebel in Bewegung. Sie trifft eine lebensrettende Entscheidung: Ralf wird nach Nordrhein-Westfalen in das Herzzentrum Bad Oeynhausen verlegt.

Dort bekommt er ein Herzunterstützungssystem, ein „Kunstherz“, wie es umgangssprachlich gerne genannt wird, und als er sich eine Infektion zuzieht, wird er auf die „High Urgency“-Liste für ein Spenderherz gesetzt.

Bei der Organspende liegt Deutschland im europäischen Vergleich übrigens auf den hinteren Plätzen. Im Jahr 2023 gab es insgesamt 965 Organspender. Das sind immerhin elf Prozent mehr als im Jahr 2022, aber trotz des leichten Anstiegs immer noch zu wenig. Spitzenreiter ist Spanien, was meiner Meinung nach unter anderem an der Widerspruchslösung liegt, die auch in Deutschland immer wieder heiß diskutiert, aber bisher immer abgelehnt wurde.

Sie sieht vor, dass jeder automatisch Organspender wird, wenn er nicht zu Lebzeiten aktiv widerspricht. Ganz ehrlich: Ich finde diese Regelung inzwischen sehr gut, weil sie uns persönlich in die Pflicht nimmt. Es geht nicht darum, andere zur Organspende zu zwingen, sondern einen Anstoß zu geben, zumindest einmal über dieses Thema nachzudenken und eine Entscheidung zu treffen, ohne diese im Zweifelsfall auf die Angehörigen abzuwälzen. Das passiert leider sehr oft – als Intensivpfleger erlebe ich fast täglich, welche zusätzliche Belastung und Bürde das für unsere Liebsten sein kann.

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Am besten wäre es natürlich, wenn wir gar nicht erst in die Situation kämen, dass wir so hart darum kämpfen müssen, gesund zu werden, uneingeschränkt zu leben, am Leben zu bleiben. Wir sind eine Leistungsgesellschaft – und es ist gut und wichtig, Ziele zu haben und für den Erfolg zu arbeiten, sei es im Beruf oder im Sport. Aber wir müssen auch begreifen, dass unser Körper nicht nur ein Vehikel ist, das wir ständig auf „höher, schneller, weiter“ trimmen können.

Heute lebt Ralf mit einem Spenderherz und blickt auf mehr als 15 Jahre Krankheitsgeschichte zurück. Sein Rat: Geh niemals krank zur Arbeit!

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17.02.2024

Atemnot, Herzstolpern bis hin zur Ohnmacht – das kann die Quittung sein, wenn man seine Gesundheit nicht ernst genug nimmt. Wir alle kennen den Anfang: eine scheinbar harmlose Erkältung. Ein bisschen Husten, ein bisschen Schnupfen, ein bisschen Halsweh, alles halb so wild. So denken zumindest viele. Ich will ehrlich sein, auch ich bin jahrelang mit diesen Symptomen noch zum Sport gegangen. Ich hatte Glück, Ralf nicht.

Ralf ist diesmal kein Patient, zumindest keiner, den ich persönlich betreut habe. Ich lernte ihn 2020 über Facebook kennen, wo ich meinen ersten Beitrag über die Missstände im Gesundheitssystem schrieb und mich über das Klatschen auf den Balkonen während der Corona-Pandemie ärgerte. Am Telefon erzählte er mir von seinen dreieinhalb Herzen. Im November letzten Jahres lernte ich ihn im Rahmen meines eigenen Podcasts „True Care – intensive Fälle“ persönlich kennen und erkannte mich sofort wieder.

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