Bislang hat der Abhörskandal bei der Bundeswehr keine Konsequenzen für die Bundesregierung. Am Freitag hatte der russische Sender RT einen Tonmitschnitt veröffentlicht, in dem führende deutsche Offiziere die Wirkung eines Angriffs auf die Krim-Brücke durch Taurus-Marschflugkörper abschätzten.

Die Reaktion der größten Oppositionspartei fiel am Wochenende verhalten aus. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte dem Spiegel: „Bei dieser Sachlage kann ein Untersuchungsausschuss nicht ausgeschlossen werden.“ Die Berichte seien in doppelter Hinsicht befremdlich, „zum einen, dass sicherheitsrelevante Gespräche offensichtlich von den Russen mitgehört werden, zum anderen, dass der Bundeskanzler seine Ablehnung von Taurus-Lieferungen möglicherweise mit einer Falschdarstellung begründet“. Der Bundeskanzler müsse sich vor dem Bundestag erklären.

Janine Wissler, Kovorsitzende der Partei Die Linke, sagte der Berliner Zeitung, dass es die höchste Führungsebene der Bundeswehr nicht mal schaffe, eine abhörsichere Videokonferenz abzuhalten, sei absurd und brandgefährlich zugleich. „Und das, obwohl das Verteidigungsbudget seit Jahren wächst und zudem noch ein Sondervermögen in dreistelliger Milliardenhöhe bereitgestellt wurde. Pistorius muss für Aufklärung sorgen“, forderte Wissler. „Die Tonmitschnitte sind besorgniserregend und machen nochmal deutlich, welche Gefahr mit der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern verbunden sind“, so Wissler. „Statt Raketen zu liefern, die bis nach Moskau fliegen können, sollte Deutschland Verantwortung übernehmen und eine diplomatische Offensive zur Beendigung dieses Krieges starten.“

Das abgehörte Telefonat richte einen immensen Schaden für die Sicherheit Deutschlands an, kritisierte der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen. „Das Gespräch zeugt von erschreckender Distanzlosigkeit zur möglichen Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges um die Ukraine“, schrieb Lucassen auf der Plattform X. „Die Teilnehmer suchen nach Möglichkeiten der Verschleierung der direkten Unterstützung deutscher Soldaten beim Einsatz des Taurus.“

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28.02.2024

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Bündnis Sahra Wagenknecht) sagte der Berliner Zeitung, die Angriffsplanungen führender Bundeswehroffiziere mit den deutschen Marschflugkörpern Taurus auch auf russisches Territorium seien weder mit dem Grundgesetz noch mit dem Völkerrecht vereinbar. „Dieser Wahnsinn muss sofort gestoppt werden!“, so Dagdelen.

In dem geleakten Gespräch, das aus dem Februar dieses Jahres stammen soll, gehen die Bundeswehr-Offiziere nicht davon aus, dass für die Bedienung von Taurus-Marschflugkörpern unbedingt deutsche Soldaten in die Ukraine entsandt werden müssten. Genau das aber hatte Scholz zuletzt als Grund für sein Nein für eine Taurus-Lieferung genannt. Die Offiziere schlagen laut dem Bericht auch Wege vor, wie die Ukraine Taurus auch ohne konkrete Zieldatenübermittlung durch die Bundeswehr einsetzen kann – Scholz hatte nahegelegt, durch Zielsteuerung würde Deutschland zur Kriegspartei. „Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden“, hatte Scholz erklärt.

Brisanter Audio-Mitschnitt: Taurus-Raketen für Angriff auf Krim-Brücke?

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Neue Rüstungsstrategie: So will die EU Milliarden für die Ukraine mobilisieren

29.02.2024

Mit seinen Äußerungen hatte Scholz Frankreich und Großbritannien brüskiert, da der Bundeskanzler den Eindruck erweckte, für die Bedienung der von London und Paris gelieferten Marschflugkörper „Storm Shadow“ und „Scalp“ seien bereits Nato-Soldaten in der Ukraine im Einsatz. Ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak dementierte das umgehend: „Der Einsatz des Langstreckenraketensystems Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswahl sind Sache der ukrainischen Streitkräfte.“

Befürworter von weitreichenden Waffenlieferungen an die Ukraine nutzten den Abhör-Skandal, um ihre Forderungen zu unterstreichen. Der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (CDU) sagte zu ZDF heute: „Man muss davon ausgehen, dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde in einer bestimmten Absicht. Diese kann nur darin liegen, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden.“ Kiesewetter hatte kürzlich gefordert, den „Krieg nach Russland zu tragen“. Die Ukraine müsse in die Lage versetzt werden, Stellungen und Ministerien in Russland zu attackieren, um eine Kriegswende herbeizuführen.

„Man kann nur hoffen, dass die politische Führung eine gute Risiko- und Beurteilungskompetenz hat – und man fragt sich: Was, wenn das anders wäre, etwa bei einem CDU-Verteidigungsminister oder Kanzler?“, schrieb der Militärexperte Johannes Varwick auf der Plattform X. „Inhaltlich ist nachvollziehbar, dass die militärische Leitung sich auf alle Eventualitäten vorbereitet, um dem Minister fundierte Ratschläge geben zu können. Das alleine ist kein Skandal“, ordnete Varwick die Geschehnisse ein. Es gebe bei dem Treffen zudem keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Primat der Politik infrage gestellt worden sei. Vielmehr schienen die beteiligten Offiziere ein klares Bewusstsein für die Problemlage zu haben. „Dass aber Details der militärischen Planung eines Einsatzes eines deutschen Waffensystems detailliert diskutiert werden, zeigt zugleich, wie weit Deutschland (und, auch das wurde in vielen interessanten Details deutlich, in noch stärkerem Ausmaß UK und USA) bereits Kriegspartei geworden ist, ob man das nun so nennt oder nicht.“

Die Bundesregierung setzte am Wochenende auf Schadensbegrenzung. Nach Scholz knappen Statement vom Samstag am Rande seines Besuchs im Vatikan, der Skandal werde „sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt“, gingen die verantwortlichen Minister am Wochenende weitestgehend auf Tauchstation. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius äußerte sich nicht.

Mögliche politische Auswirkungen wurden nicht kommentiert, nur Antworten zu technischen Fragen, wie die Abhörsicherheit sicherheitsrelevanter Gespräche künftig gewährleistet werden könne. „Es gibt Anhaltspunkte, dass mit Blick auf die offensichtlich besprochenen Inhalte ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet wurde“, sagte eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums der Bild am Sonntag.

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01.03.2024

Sicherheitskreisen zufolge, sei bei dem Gespräch keine geschützte Leitung genutzt worden. Das über den Anbieter Webex eingerichtete Meeting sei über eine Büro-Festnetzleitung der Bundeswehr auf die Mobiltelefone der Soldaten abgesetzt worden. Geprüft werde, welcher Sicherheitsstufe die in der Besprechung genannten Details unterlegen hätten. Zu klären sei auch, ob die verwendete Webex-Variante zumindest für den Austausch von Informationen der niedrigsten Geheimhaltungsstufe „Verschlusssachen – nur für den Dienstgebrauch“ zugelassen sei.

Die russische Regierung fordert unterdessen Aufklärung darüber, ob Deutschland Kriegsziele in Russland verfolgt: „Versuche, um Antworten herumzukommen, werden als Schuldeingeständnis gewertet“, schrieb Moskaus Außenamtssprecherin Maria Sacharowa auf ihrem Telegram-Kanal.

QOSHE - Bundeswehr-Leaks: Linke fordert Diplomatie statt Waffenlieferungen - Simon Zeise
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Bundeswehr-Leaks: Linke fordert Diplomatie statt Waffenlieferungen

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03.03.2024

Bislang hat der Abhörskandal bei der Bundeswehr keine Konsequenzen für die Bundesregierung. Am Freitag hatte der russische Sender RT einen Tonmitschnitt veröffentlicht, in dem führende deutsche Offiziere die Wirkung eines Angriffs auf die Krim-Brücke durch Taurus-Marschflugkörper abschätzten.

Die Reaktion der größten Oppositionspartei fiel am Wochenende verhalten aus. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte dem Spiegel: „Bei dieser Sachlage kann ein Untersuchungsausschuss nicht ausgeschlossen werden.“ Die Berichte seien in doppelter Hinsicht befremdlich, „zum einen, dass sicherheitsrelevante Gespräche offensichtlich von den Russen mitgehört werden, zum anderen, dass der Bundeskanzler seine Ablehnung von Taurus-Lieferungen möglicherweise mit einer Falschdarstellung begründet“. Der Bundeskanzler müsse sich vor dem Bundestag erklären.

Janine Wissler, Kovorsitzende der Partei Die Linke, sagte der Berliner Zeitung, dass es die höchste Führungsebene der Bundeswehr nicht mal schaffe, eine abhörsichere Videokonferenz abzuhalten, sei absurd und brandgefährlich zugleich. „Und das, obwohl das Verteidigungsbudget seit Jahren wächst und zudem noch ein Sondervermögen in dreistelliger Milliardenhöhe bereitgestellt wurde. Pistorius muss für Aufklärung sorgen“, forderte Wissler. „Die Tonmitschnitte sind besorgniserregend und machen nochmal deutlich, welche Gefahr mit der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern verbunden sind“, so Wissler. „Statt Raketen zu liefern, die bis nach Moskau fliegen können, sollte Deutschland Verantwortung übernehmen und eine diplomatische Offensive zur Beendigung dieses Krieges starten.“

Das abgehörte Telefonat richte einen immensen Schaden für die Sicherheit Deutschlands an, kritisierte der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion,........

© Berliner Zeitung


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