Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat am Freitag die Handelsblockade gegen Israel verteidigt. Man habe sich angesichts des Vorgehens Israels im Gazastreifen „nicht weiter gedulden“ können. Am Donnerstagabend hatte das türkische Handelsministerium bekanntgegeben, dass alle Importe und Exporte mit Israel ausgesetzt seien. Die israelische Regierung wiederum reichte am Freitag bei der Industriestaatenorganisation OECD eine Beschwerde gegen Ankara ein.

Erdogan hatte den israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen wiederholt scharf kritisiert und Israel „Völkermord“ an den Palästinensern vorgeworfen. Die Entscheidung der Wirtschaftsblockade ist auch vor dem Hintergrund politischer Auseinandersetzungen innerhalb der Türkei zu sehen. Verschiedene Oppositionsparteien kritisieren die regierende AKP seit Monaten dafür, weiter Handel mit Israel zu betreiben. Beobachter gehen davon aus, dass Erdogans Partei auch darum erstmals in ihrer Geschichte als nur zweitstärkste Kraft aus den Kommunalwahlen Ende März hervorgegangen ist.

Erdogan inszeniert sich schon lange als Kritiker der israelischen Regierung. Bereits 2009 attackierte er den damaligen israelischen Präsidenten Shimon Peres auf offener Bühne während des Weltwirtschaftsforums in Davos für die Unterdrückung der Palästinenser. Doch seinen Worten ließ Erdogan bislang kaum Taten folgen.

Das ist nun anders. Ein wirtschaftlicher Boykott Israels hat Gewicht, denn die beiden Staaten unterhielten bislang trotz der gravierenden politischen Auseinandersetzungen eine enge Handelsbeziehung. „Die Türkei ist ein bedeutender Warenlieferant für Israel“, sagt Wladimir Struminski, Israel-Experte von Germany Trade & Invest (GTAI), der Berliner Zeitung. Im vergangenen Jahr machten die türkischen Einfuhren 5,0 Prozent der gesamten israelischen Warenimporte aus. Eine besonders große Rolle hätten dabei Metalle und Metallwaren gespielt, die zu mehr als einem Viertel aller israelischen Importe aus der Türkei beigetragen hätten. Weitere bedeutende Lieferpositionen seien Kunststoffe und Kunststoffprodukte, Baustoffe sowie Kfz.

30.04.2024

•vor 1 Std.

•vor 30 Min.

„Ein totaler Handelsausfall würde vor allem das israelische Baugewerbe treffen“, sagt GTAI-Experte Struminski. Allerdings könne Israel alternative Lieferquellen finden. Israelischen Medienberichten zufolge hätten israelische Unternehmen bereits mit der Suche nach neuen Lieferanten begonnen. „Selbst wenn die Importpreise dabei etwas steigen würden, ist langfristig keine starke Beeinträchtigung der Versorgung des israelischen Marktes zu erwarten“, sagt Struminski.

Die israelischen Ausfuhren in die Türkei hätten 2023 hingegen nur 1,7 Prozent der israelischen Warenexporte ausgemacht. „Sie konzentrierten sich hauptsächlich auf Produkte der Chemieindustrie“, sagt Struminski. „Eine schwere Beeinträchtigung der israelischen Exportwirtschaft würde auch bei einem vollen Handelsstopp ausbleiben.“

Wird auch die deutsche Wirtschaft beeinträchtigt? Schließlich könnten Lieferketten gestört werden, oder Vorprodukte für die Endmontage in Deutschland ausfallen. Israel-Experte Struminski sagt: „Durch den Handelsstopp zwischen der Türkei und Israel wären deutsche Importe nur dann betroffen, wenn israelische oder türkische Exporteure Waren, die Vorprodukte aus dem jeweils anderen Land beziehen, nicht mehr liefern könnten.“ Indessen sei das jedoch keine bedeutende Warenmenge. Er ist zuversichtlich: „Überdies würden die betroffenen Exporteure jeweils Zulieferer aus anderen Ländern finden. Daher ist kein negativer Einfluss auf die deutsche Wirtschaft zu befürchten.“

Bericht: Türkei stellt Handel mit Israel wegen Gaza-Krieg ein

•gestern

Netanjahu empört: Washington will IDF-Bataillon mit Sanktionen belegen

21.04.2024

Die Türkei hat wohl in ökonomischer Hinsicht nur wenig zu verlieren. Katrin Pasvantis, die Türkei-Expertin von GTAI, erläuterte gegenüber der Berliner Zeitung: „Israel ist zwar ein wichtiger Exportmarkt für die Türkei, der Anteil Israels an den Gesamtexporten der Türkei ist jedoch im Vergleich zu anderen Hauptabnehmern wie Deutschland geringer.“ Daher sei zu erwarten, dass mögliche Verluste im Handel mit Israel zwar spürbar, aber nicht entscheidend für die Gesamtwirtschaft der Türkei sein werden. Die Importe aus Israel seien für die türkische Wirtschaft „in noch geringerem Maße relevant“, so Pasvantis.

Insgesamt hat die Türkei 2023 Waren im Wert von 5,2 Milliarden US-Dollar nach Israel exportiert. Zum Vergleich: Nach Deutschland, dem mit Abstand wichtigsten Exportland der Türkei, wurden Waren im Wert von fast 19 Milliarden US-Dollar geliefert. Aus Israel importierte die Türkei Waren im Wert von 1,6 Milliarden US-Dollar.

QOSHE - Erdogan macht Ernst: Türkei verhängt Handelsstopp gegen Israel – trifft es auch die deutsche Wirtschaft? - Simon Zeise
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Erdogan macht Ernst: Türkei verhängt Handelsstopp gegen Israel – trifft es auch die deutsche Wirtschaft?

21 0
03.05.2024

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat am Freitag die Handelsblockade gegen Israel verteidigt. Man habe sich angesichts des Vorgehens Israels im Gazastreifen „nicht weiter gedulden“ können. Am Donnerstagabend hatte das türkische Handelsministerium bekanntgegeben, dass alle Importe und Exporte mit Israel ausgesetzt seien. Die israelische Regierung wiederum reichte am Freitag bei der Industriestaatenorganisation OECD eine Beschwerde gegen Ankara ein.

Erdogan hatte den israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen wiederholt scharf kritisiert und Israel „Völkermord“ an den Palästinensern vorgeworfen. Die Entscheidung der Wirtschaftsblockade ist auch vor dem Hintergrund politischer Auseinandersetzungen innerhalb der Türkei zu sehen. Verschiedene Oppositionsparteien kritisieren die regierende AKP seit Monaten dafür, weiter Handel mit Israel zu betreiben. Beobachter gehen davon aus, dass Erdogans Partei auch darum erstmals in ihrer Geschichte als nur zweitstärkste Kraft aus den Kommunalwahlen Ende März hervorgegangen ist.

Erdogan inszeniert sich schon lange als Kritiker der israelischen Regierung. Bereits 2009 attackierte er den damaligen........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play