„Tür zu, Tür auf! Nach knapp über fünf Jahren endet meine Zeit als Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag“, schreibt Henrietta Dörries auf dem Jobportal Linkedin. „Dem Abschiedsschmerz steht die Vorfreude auf meine neue Aufgabe gegenüber: Seit dem 1. März darf ich das Team der Hauptstadtvertretung von Rheinmetall unterstützen.“

Dörries engagiert sich in der FDP. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Berliner Bezirksverbands Friedrichshain-Kreuzberg. Vor ihrem Engagement bei Rheinmetall arbeitete sie als Büroleiterin des FDP-Bundestagsabgeordneten Jens Teutrine. Nun freue sie sich, an ihre alte Leidenschaft für Außen- und Sicherheitspolitik anzuknüpfen, viel Neues zu lernen und Erfahrungen in einer Branche zu sammeln, die aktuell im Fokus der Öffentlichkeit stehe wie kaum eine andere, schreibt sie auf Linkedin.

Rheinmetall ist nicht irgendein Arbeitgeber. Der Konzern profitiert wie kaum ein anderer von den Rüstungsaufträgen, die die Bundesregierung in Auftrag gibt. Seit der russischen Invasion in der Ukraine boomt das Geschäft. Der Wert pro Aktie ist seit März 2022 von knapp unter 100 Euro auf mittlerweile über 500 Euro gestiegen. Die US-Bank JP Morgan geht in ihrer jüngsten Prognose davon aus, dass die Aktie demnächst das Kursziel von 600 Euro erreichen könnte. Rheinmetall scheine angesichts seines Produktportfolios und seiner starken Kundenbeziehungen in Mittel- und Osteuropa derzeit der am besten positionierte Rüstungskonzern in der Welt zu sein, heißt es.

Neue Rheinmetall-Werke entstehen. Zuletzt hatten Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius öffentlichkeitswirksam eine Fabrik für Artilleriemunition im niedersächsischen Unterlüß eingeweiht. Auch in der Ukraine sollen Rüstungsfabriken von Rheinmetall gebaut werden. Vorstandschef Armin Papperger hat bereits ein nächstes Milliardenprojekt im Auge. Er spricht sich dafür aus, einen europäischen Raketenschild zu errichten, nach dem Vorbild des „Iron Dome“ in Israel. Der Rheinmetall-Chef geht davon aus, dass sich der Umsatz des Konzerns innerhalb der nächsten sieben Jahre verdoppeln könne.

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Die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ setzt sich für einen Abrüstungskurs der Bundesregierung ein. Michael Schulze von Glaßer, einer der Sprecher der Kampagne, hat der Wechsel von Dörries zu Rheinmetall nicht überrascht. „Es gab schon immer enge Verbindungen zwischen der Rüstungsindustrie und Politikerinnen und Politikern militärnaher Parteien“, sagt er der Berliner Zeitung. Mit der „Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik“ (DWT) sei die Rüstungslobby sogar direkt im Bundestag vertreten. Amtierende Vizepräsidentin der DWT ist die CDU-Bundestagsabgeordnete Kerstin Vieregge. Auch Bundestagsabgeordnete von SPD und FDP sitzen dort im Vorstand.

Die Rüstungsindustrie werbe Politiker wegen ihrer eigenen politischen Entscheidungsbefugnisse oder ihrem Zugang zu Entscheidungsträgern an, sagt von Glaßer. „So versuchen sie Einfluss zu nehmen – am Ende stehen Rüstungsaufträge und höhere Profite für die Konzerne.“ Dabei stecke die Rüstungsindustrie viel Geld in Lobbyismus, was zu einem Ungleichgewicht führe: „Zivile Akteure wie etwa meine Organisation haben kaum Mittel und Möglichkeiten, um verantwortliche Politikerinnen und Politikern unsere Standpunkte zu zeigen“, sagt von Glaßer.

Ein Wechsel aus der Politik in die Rüstungswirtschaft. „Tür zu, Tür auf!“ Man nennt es Drehtüreffekt – von den Kontakten aus der Politik profitieren, um dann in der Wirtschaft Karriere zu machen. Rheinmetall greift für gute Kontakte auch gerne auf hochrangige Politiker zurück. „Der ehemalige Verteidigungsminister Franz-Josef Jung hat sich 2017 noch während seiner aktiven Zeit als Bundestagsabgeordneter in den Aufsichtsrat von Rheinmetall wählen lassen“, hebt von Glaßer hervor.

Dörries ist nicht die erste aus der FDP, die die Seiten wechselt. Auch der frühere Entwicklungsminister Dirk Niebel heuerte als Lobbyist beim Rüstungsriesen an. Doch anders als Niebel ist Dörries kein politisches Schwergewicht. „Frau Dörries war als angestellte Mitarbeiterin im Büro des Abgeordneten Jens Teutrine tätig“, erklärt der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Torsten Herbst, auf Nachfrage der Berliner Zeitung.

Als normale Arbeitnehmerin ohne ein Mandat im Bundestag oder Funktionsamt in der Bundesregierung sei ein Jobwechsel eine rein private und zu respektierende Entscheidung. „Einen Interessenkonflikt sehe ich hier nicht“, sagt Herbst. Das gelte insbesondere vor dem Hintergrund, da sich die Arbeit im Büro des Abgeordneten Jens Teutrine fachlich auf die Ausschüsse für Arbeit und Soziales sowie Gesundheit konzentriert habe.

Auch ein Sprecher von Rheinmetall kann an der Personalie nichts Anrüchiges finden: „Ein Interessenskonflikt ist für uns aufgrund der unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche nicht erkennbar“, teilt der Rüstungskonzern auf Anfrage mit.

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Also, alles halb so wild? Anders sieht das Aurel Eschmann vom Verein Lobbycontrol: „Seitenwechsel, auch von der Arbeitsebene, sind prinzipiell ein Problem, denn sie geben kapitalstarken Lobbyakteuren einen Vorteil gegenüber finanziell weniger gut ausgestatteten Interessengruppen“, sagt er im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Seitenwechsler bringen ihr Insiderwissen und ihre Kontakte mit, die für die Beeinflussung von politischen Prozessen sehr wertvoll sind.“ Mitarbeiter von Abgeordneten und auch Abgeordnete könnten eine Lücke nutzen, denn für sie gelten keine Karenzzeiten.

Stellt sich die Frage, warum Rheinmetall auf die Expertise einer Büroleiterin im Bundestag setzt, die für einen Abgeordneten tätig war, der für Pflegepolitik zuständig ist. Kann Dörries mit den Kontakten in einer Bundestagspartei punkten, die die Vorsitzende im Verteidigungsausschuss stellt? Wie nützlich der Flurfunk im Bundestag ist, hätte die Berliner Zeitung gerne von Dörries erfahren, eine Anfrage blieb jedoch unbeantwortet.

Lobbycontrol fordert strengere Maßnahmen, um die Einflussnahme von Konzernen auf die Politik zu begrenzen. Eine Karenzzeit von mindestens drei Jahren sei nötig, um sicherzustellen, dass die Kontakte aus der Politik von einem Wechsel in die Wirtschaft wirklich abgekühlt sind. Doch derzeit beträgt sie für Minister und Staatssekretäre maximal 18 Monate und es gibt viele Posten, in denen schwächere oder eben gar keine Karenzzeiten gelten, erläutert Eschmann.

Im Bereich Rüstungspolitik seien Seitenwechsel besonders problematisch. „Die Rüstungsindustrie hat fast ausschließlich staatliche Abnehmer und ist auf Exportgenehmigungen angewiesen, die Regierung muss die Bundeswehr ausstatten und ist dafür auf die Rüstungsindustrie angewiesen“, erklärt Eschmann. „Diese Konstellation führt dazu, dass der Rüstungssektor besonders privilegierte Zugänge in die Politik genießt und es meistens um sehr viel Geld geht.“

QOSHE - Mitarbeiterin von FDP-Abgeordnetem heuert bei Rheinmetall an: Wie groß sind die Interessenskonflikte? - Simon Zeise
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Mitarbeiterin von FDP-Abgeordnetem heuert bei Rheinmetall an: Wie groß sind die Interessenskonflikte?

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23.03.2024

„Tür zu, Tür auf! Nach knapp über fünf Jahren endet meine Zeit als Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag“, schreibt Henrietta Dörries auf dem Jobportal Linkedin. „Dem Abschiedsschmerz steht die Vorfreude auf meine neue Aufgabe gegenüber: Seit dem 1. März darf ich das Team der Hauptstadtvertretung von Rheinmetall unterstützen.“

Dörries engagiert sich in der FDP. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Berliner Bezirksverbands Friedrichshain-Kreuzberg. Vor ihrem Engagement bei Rheinmetall arbeitete sie als Büroleiterin des FDP-Bundestagsabgeordneten Jens Teutrine. Nun freue sie sich, an ihre alte Leidenschaft für Außen- und Sicherheitspolitik anzuknüpfen, viel Neues zu lernen und Erfahrungen in einer Branche zu sammeln, die aktuell im Fokus der Öffentlichkeit stehe wie kaum eine andere, schreibt sie auf Linkedin.

Rheinmetall ist nicht irgendein Arbeitgeber. Der Konzern profitiert wie kaum ein anderer von den Rüstungsaufträgen, die die Bundesregierung in Auftrag gibt. Seit der russischen Invasion in der Ukraine boomt das Geschäft. Der Wert pro Aktie ist seit März 2022 von knapp unter 100 Euro auf mittlerweile über 500 Euro gestiegen. Die US-Bank JP Morgan geht in ihrer jüngsten Prognose davon aus, dass die Aktie demnächst das Kursziel von 600 Euro erreichen könnte. Rheinmetall scheine angesichts seines Produktportfolios und seiner starken Kundenbeziehungen in Mittel- und Osteuropa derzeit der am besten positionierte Rüstungskonzern in der Welt zu sein, heißt es.

Neue Rheinmetall-Werke entstehen. Zuletzt hatten Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius öffentlichkeitswirksam eine Fabrik für Artilleriemunition im niedersächsischen Unterlüß eingeweiht. Auch in der Ukraine sollen Rüstungsfabriken von........

© Berliner Zeitung


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