Wie die Zeiten sich ändern. Anfang der 90er-Jahre rief der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama in seinem gleichnamigen Buch „das Ende der Geschichte“ aus. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion stehe dem Siegeszug liberaler Demokratien nichts mehr im Wege, lautete seine These. Das war 1992. Rund 32 Jahre später ist der Optimismus weitgehend verflogen. Anfang März dieses Jahres veröffentlichte Fukuyama in der Financial Times einen Beitrag unter dem Titel „Es ist noch nicht zu spät, Amerikas politischen Verfall umzukehren.“

Die amerikanischen Institutionen befänden sich in einer schweren Krise, schreibt Fukuyama, da es der amerikanischen Gesellschaft nicht gelungen sei, sich an Veränderungen anzupassen. Wenn diese kriselnden Institutionen mit extremer politischer Polarisierung einhergehen, führen sie zu einer Lähmung der Regierung und zur Unfähigkeit, grundlegende Funktionen zu erfüllen. Neben der Blockade von Militärhilfen für die Ukraine, Israel und Taiwan durch die Republikaner im Kongress, machen Fukuyama vor allem die hohen Zustimmungswerte für Donald Trump zu schaffen. Eine erneute Präsidentschaft Trumps hätte außenpolitisch zur Folge, dass die Verbündeten der USA keine Unterstützung mehr fänden. Russland würde Kiew einnehmen und China Taiwan überfallen.

Die Erosion des westlichen Herrschaftsmodells wird durch die anhaltende Wirtschaftskrise vorangetrieben. Exemplarisch ist ein in der vergangenen Woche veröffentlichter Bericht der kanadischen Bundespolizei, in dem gewarnt wird, dass es in westlichen Gesellschaften zu Unruhen kommen könnte, sobald die Bürger die Hoffnungslosigkeit ihrer wirtschaftlichen Lage erkennen.

„In den letzten sieben Jahren kam es in der westlichen Welt zu einer deutlichen sozialen und politischen Polarisierung“, zitiert die kanadische Zeitung National Post aus der Analyse, die den Titel „Gesamtstaatliche Fünf-Jahres-Trends für Kanada“ trägt.

28.03.2024

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gestern

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28.03.2024

Demnach werde die kommende Rezessionsphase den Rückgang des Lebensstandards beschleunigen. „Die Strafverfolgungsbehörden müssen mit einer anhaltenden sozialen und politischen Polarisierung rechnen, die durch Fehlinformationskampagnen und ein zunehmendes Misstrauen gegenüber allen demokratischen Institutionen angeheizt wird“, heißt es weiter.

In der Öffentlichkeit werden die Gründe des Abstiegs des Westens mittlerweile ausführlich diskutiert. „Die tiefgreifenden Probleme, die der Westen nicht angeht, sind Wachstum und Ungleichheit“, schreibt der renommierte Journalist Wolfgang Münchau auf dem Wirtschaftsdienst Eurointelligence. „Wir haben uns immer darüber beschwert, dass die Steuerpolitik der Thatcher-Ära zu Ungleichheit geführt habe“, schreibt Münchau. Aber das sei nichts im Vergleich zu dem, was seitdem passiert ist.

Münchau macht die staatlich organisierte Umverteilung zugunsten der Finanzmärkte verantwortlich für die wachsende Polarisierung westlicher Gesellschaften. Seit dem Ende der 1990er-Jahre habe die amerikanische Zentralbank Federal Reserve begonnen, die Finanzmärkte durch Zinssenkungen zu retten. Seitdem hätten westliche Zentralbanken die Unterstützung der Finanzmärkte durch quantitative Lockerungsprogramme verstärkt, bei denen sie Staatsanleihen in beispiellosem Umfang aufkauften. „Gleichzeitig führten die Regierungen Sparmaßnahmen durch, um die finanzielle Bonanza der Zentralbank auszugleichen.“ Diese Kombination verwandelte sich in eine „Ungleichheits-Weltuntergangsmaschine“.

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Der Abstieg des Westens manifestiert sich in der sinkenden Produktivität der Gesellschaften. In einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung McKinsey heißt es: In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften hatte sich das Produktivitätswachstum nach der globalen Finanzkrise verlangsamt und sank dann zwischen 2012 und 2022 auf weniger als 1 Prozent. In den Schwellenländern lag das Produktivitätswachstum in derselben Dekade bei 3,4 Prozent.

Die globale Finanzkrise markierte im Westen einen Point of no Return. „Nach der globalen Finanzkrise gingen die Investitionen stark und anhaltend zurück und konnten nichts hervorbringen, was sie ersetzen könnte“, heißt es in der McKinsey-Analyse. „Doch heute könnten gezielte Investitionen in Bereichen wie Digitalisierung, Automatisierung und künstliche Intelligenz neue Wellen des Produktivitätswachstums anstoßen.“

Diese Entwicklung bestaunt man aber in anderen Regionen der Welt. Während Deindustrialisierung und Stagnation in Deutschland um sich greifen, verzeichnen die derzeitigen Volkswirtschaften auf der Überholspur (China, Indien, Teile Mittel- und Osteuropas sowie die Schwellenländer Asiens) dauerhaft hohe Investitionen von 20 bis 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. „Sie haben es in den Aufbau von Städten und Infrastruktur gelenkt, die eine erfolgreiche Urbanisierung, eine höhere Produktivität im Dienstleistungssektor und eine global vernetzte Fertigung unterstützen“, schreiben die Ökonomen von McKinsey.

Zu Beginn des neuen Jahres seien auch die internationalen Aussichten für den Westen düster, schreibt Wolfgang Münchau. Die Situation in der Ukraine sehe nicht gut aus. „Was für uns im Westen noch schlimmer ist: Der Rest der Welt ist nicht mehr auf unserer Seite.“ So sei die mangelnde globale Unterstützung einer der Gründe, warum einige westliche Sanktionen gegen Russland nicht funktionierten. „Es gibt genügend Länder, die bereit sind, bei der Umleitung von Waren nach Russland zu helfen oder russisches Öl zu kaufen“, so Münchau. „Auch das US-Halbleiterverbot gegen China funktioniert nicht, weil die US-Regierung die Intelligenz chinesischer Ingenieure unterschätzt hat.“

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Washington will den Aufstieg Chinas zur Hightech-Supermacht verhindern. Die USA haben eine globale Allianz geschmiedet, um ein Chipembargo gegen China durchzusetzen. Doch Peking findet Wege, sich zu widersetzen. Im September 2023 präsentierte der chinesische Kommunikationsdienstleister Huawei ein Handy mit einem Sieben-Nanometer-Mikrochip aus eigener Produktion. Das Ereignis wurde in China als Sieg über die Blockade zelebriert.

In dieser Woche schlug Peking zurück. So will die Volksrepublik künftig bei Regierungscomputern Mikroprozessoren der amerikanischen Anbieter AMD und Intel verbannen. Neue Beschaffungsregeln sollen auch darauf abzielen, das Betriebssystem Windows von Microsoft durch einheimische Alternativen zu ersetzen. Entsprechende Regeln seien bereits im Dezember vorgestellt worden und würden jetzt umgesetzt, heißt es.

Die Maßnahmen kommen zu einer Zeit, in der die chinesische Führung bei vielen Gelegenheiten um ausländische Investoren wirbt. Denn China will dieses Jahr das ehrgeizige Wachstumsziel von rund fünf Prozent erreichen und die Wirtschaft weiter ankurbeln. Und westliche Unternehmen wollen ein Stück vom Kuchen abbekommen. In der letzten Woche eröffnete Tim Cook persönlich einen Apple-Store in Shanghai. Am Mittwoch warb Staatschef Xi Jinping vor hochrangigen amerikanischen Investoren und Firmenchefs in Peking: Chinas Wirtschaft habe ihren „Höhepunkt“ noch nicht erreicht und ihre Wachstumsaussichten seien weiterhin „optimal“.

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Probleme des Westens: Wie sich die globalen Kräfteverhältnisse verschieben

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30.03.2024

Wie die Zeiten sich ändern. Anfang der 90er-Jahre rief der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama in seinem gleichnamigen Buch „das Ende der Geschichte“ aus. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion stehe dem Siegeszug liberaler Demokratien nichts mehr im Wege, lautete seine These. Das war 1992. Rund 32 Jahre später ist der Optimismus weitgehend verflogen. Anfang März dieses Jahres veröffentlichte Fukuyama in der Financial Times einen Beitrag unter dem Titel „Es ist noch nicht zu spät, Amerikas politischen Verfall umzukehren.“

Die amerikanischen Institutionen befänden sich in einer schweren Krise, schreibt Fukuyama, da es der amerikanischen Gesellschaft nicht gelungen sei, sich an Veränderungen anzupassen. Wenn diese kriselnden Institutionen mit extremer politischer Polarisierung einhergehen, führen sie zu einer Lähmung der Regierung und zur Unfähigkeit, grundlegende Funktionen zu erfüllen. Neben der Blockade von Militärhilfen für die Ukraine, Israel und Taiwan durch die Republikaner im Kongress, machen Fukuyama vor allem die hohen Zustimmungswerte für Donald Trump zu schaffen. Eine erneute Präsidentschaft Trumps hätte außenpolitisch zur Folge, dass die Verbündeten der USA keine Unterstützung mehr fänden. Russland würde Kiew einnehmen und China Taiwan überfallen.

Die Erosion des westlichen Herrschaftsmodells wird durch die anhaltende Wirtschaftskrise vorangetrieben. Exemplarisch ist ein in der vergangenen Woche veröffentlichter Bericht der kanadischen Bundespolizei, in dem gewarnt wird, dass es in westlichen Gesellschaften zu Unruhen kommen könnte, sobald die Bürger die Hoffnungslosigkeit ihrer wirtschaftlichen Lage erkennen.

„In den letzten sieben Jahren kam es in der westlichen Welt zu einer deutlichen sozialen und politischen Polarisierung“, zitiert die kanadische Zeitung National Post aus der........

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