„Willkommen in Grauheide“, sagt Martin Schweer, als er sich mitten auf dem Marktplatz der Gemeinde Grünheide um die eigene Achse dreht. Grünheide ist jener kleine Ort in Ostbrandenburg, in dem der Elektroautobauer Tesla im Eiltempo seine erste europäische Gigafactory errichtet hat, eine hochumstrittene Milliardeninvestition. Vor allem, weil Tesla-Chef Elon Musk das Werk nun auch noch großräumig erweitern will.

Gerade gab es dazu eine Bürgerbefragung, die Musk klar verloren hat. Das Volk will nicht. Deswegen sagt Martin Schweer, wenn er über seine Wahlheimat spricht, Grauheide statt Grünheide. An diesem Tag passt diese Änderung nicht nur zum Wetter, sondern auch zu der Stimmung des gebürtigen Hamburgers. Denn er hat für den Ausbau gestimmt und ist somit einer der wenigen Befürworter der Werkserweiterung.

Er kommt gerade vom Plaudertreff, den seine Frau einmal pro Woche veranstaltet. War die Tesla-Abstimmung beim Kaffeekranz auch ein Thema? „Aber natürlich“, sagt er und streicht die letzten Brotkrümel vom dunkelblauen Pullover. Für ihn ist das Ergebnis kein Grund zur Freude. Aber auch bei den Projektgegnern knallen keine Korken und Grau- oder Grünheide scheint gespaltener denn je.

Von Wasser und größtenteils unberührter Natur umgeben, ist die Gemeinde ein kleines Idyll und ein beliebter Ausflugsort. Doch schon seit mehreren Jahren herrscht Unruhe in Grünheide. Und wieso? Fragt man die eine Hälfte der Bewohner, dann fallen die Namen Elon Musk und Tesla. Spricht man mit der anderen Hälfte, dann sieht die Lage schon wieder ganz anders aus. Doch eines ist klar – in Grünheide haben sich zwei Lager gebildet.

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Als feststand, dass der Milliardär Musk, ausgerechnet in Brandenburg seine erste europäische Fabrik bauen will, hing der Gemeindesegen schief. Die Bürgerinitiative Grünheide rebellierte, mobilisierte und musste sich dann doch geschlagen geben. Mittlerweile werden in Grünheide pro Woche mehr als 6000 E-Autos auf dem 300 Hektar großen Gelände produziert. Damit will sich Musk aber nicht zufriedengeben – ein Güterbahnhof, eine Lagerhalle und ein Betriebskindergarten sollen her. Dafür sollen mehr als 100 Hektar Wald gerodet und das Gelände nach Ostern hin erweitert werden.

Erstmals, seit Tesla in der Region ist, durften die Bürger der Gemeinde ihre Stimme abgeben und für oder gegen die Erweiterungspläne stimmen. Das Ergebnis ist eindeutig: 3499 Bewohner stimmten gegen den Ausbau und 1882 dafür. An der Befragung, die jedoch nicht bindend, sondern eher symbolischer Natur ist, sollen etwa 5400 der insgesamt 7600 wahlberechtigten Bürger teilgenommen haben: Die Beteiligung lag nach Angaben der Gemeinde bei mehr als 70 Prozent.

Für Martin Schweer und einem befreundeten Grünheider ist das Ergebnis nicht entscheidend. „Die Abstimmung war letzten Endes nicht kompetent“, sagt Schweer. Seiner Meinung nach lässt sich ein solch komplexes Thema nicht auf ein „Ich bin dafür“ oder „Ich bin dagegen“ herunterbrechen. „Das ist einfach bescheuert.“ Er zeigt auf einen Aufkleber, der im Stadtzentrum angebracht wurde. Man hat versucht, ihn zu entfernen. Mehr schlecht als recht ist der Slogan zu erkennen: Tesla gemeinsam verhindern.

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Martin Schweer schüttelt mit den Kopf und sagt: „Die Gegner haben es geschafft, Tesla als negatives Phänomen aufzubauen. Natürlich muss man die Entwicklung begleiten, auch kritisch begleiten, aber alles für schlecht zu erklären – darin sehe ich eine Schwäche.“ Letztlich gehe es ja nur darum, das Werk um 100 Hektar zu erweitern und in der Gesamtfläche betrachtet seien das „wirklich Peanuts“.

„Das Ganze ist leider stark emotional aufgeladen, und ich halte diese ganze Art der Bürgerbefragung für fragwürdig“, fügt er hinzu. Der Neu-Grünheider wohnt mitten im Wald, und es überrascht dann doch, bei welcher Partei er Mitglied ist: bei Bündnis 90/Die Grünen. Ihm liegt der Naturschutz am Herzen. Trotzdem betont er, dass man sich „Ökologie und Naturschutz auch leisten können muss“. Eine wirtschaftliche Entwicklung und die Nutzung grüner Energie sind eben auch mit einer Umstrukturierung verbunden und dem Bau neuer Gebäude, meint er. „Schon jetzt, in so kurzer Zeit, hat sich die Struktur zum Positiven verändert. Das darf man doch nicht einfach weglassen.“

Davon wollen die Tesla-Gegner aber nichts wissen. Manuela Hoyer und Steffen Schoch, Vorsitzende und stellvertretender Vorsitzender der Bürgerinitiative Grünheide, geben nicht auf und kämpfen auch weiterhin darum, dass kein einziger Baum fällt. Sie wissen aber auch, dass Elon Musk ein Mann der Tat ist und seine Bauprojekte deutlicher schneller umsetzt, als hierzulande üblich. Musk denkt und handelt im Tesla-Tempo.

Manuela Hoyer macht diese „holterdiepolter Mentalität“ für die Spaltung der Gemeinde Grünheide verantwortlich. „Wenn alle mitgenommen worden wären, wenn man mit uns gesprochen hätte, dann hätten wir diese Situation nicht, und Grünheide wäre nicht gespalten“, sagt sie. Das Ergebnis der Bürgerbefragung mache sie überglücklich und zeigt ihr und ihren Mitstreitern, dass sich die Arbeit der Initiative lohnt. Der Kampf gegen Tesla ist aber noch lange nicht vorbei: „Im Grunde hat sich nichts verändert.“

„Die Aussage unseres Bürgermeisters gestern, dass der Bebauungsplan in dieser Form bei der Gemeindeabstimmung im Mai nicht vorgelegt werden kann – da läuten bei mir schon wieder alle Alarmglocken.“ Denn eigentlich hatten die Gemeindevertreter angekündigt, sich an die Abstimmungsergebnisse der Bürger halten zu wollen. Wenn der B-Plan aber noch mal verändert wird, dann verzögert sich die Abstimmung. „Die typische Salami-Taktik“, sagt Mitstreiter Steffen Schocht und beschreibt damit das Vorgehen der am Bauprojekt beteiligten Personen.

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Strukturelle Entwicklungen und neu gewonnene Arbeitsplätze – diese Aspekte führen Befürworter der Erweiterung immer wieder ins Feld. Für Hoyer ist dieses Argument aber nicht stichhaltig. Es sind nicht die Anwohner der Gemeinde, die bei Tesla arbeiten, sondern Pendler aus Berlin und Zugezogene aus Osteuropa, vor allem aus dem nahen Polen. Zudem fehlen im Ort Arbeitskräfte. Mit Zahlen belegen lassen sich diese Aussagen nicht. „Der Bürgermeister ist nicht willens, der Bürgerinitiative mitzuteilen, wie viele Menschen hier aus der Region wirklich bei Tesla arbeiten“, sagt Manuela Hoyer.

Außerdem gilt es zu bedenken, dass ein Ausbau der Infrastruktur nur bedingt umsetzbar ist: „Hier sind überall Trinkwasser- und Landschaftsschutzgebiete. Einfach irgendwo Häuser hochziehen, das geht nicht.“ Aber Elon Musk durfte es, und genau das macht Hoyer und ihrer Mitstreiter auch so wütend. Wenn die Einwohner von Grünheide einen Bauantrag stellen, werde dieser abgelehnt, stellt aber ein Milliardär aus den USA einen Antrag, dann „rollt man ihm den roten Teppich aus“.

Das Thema ist emotional, da hat Martin Schweer recht. Trotzdem betont Hoyer, dass sie nichts gegen Tesla habe, sondern „gegen Tesla am falschen Standort“. Nach Einschätzung der Initiative wäre die Lausitz ein geeigneter Ort, denn dort sei der ganze Wald schon für die Kohlegruben vernichtet worden. Diese Diskussion ist jedoch nicht zielführend, da der Autobauer ja schon längst da ist.

Um was geht es Hoyer und Schocht dann überhaupt? „Tesla kann auf den 300 Hektar bleiben, diese Fläche ist schon erodiert, und das kann man auch nicht mehr rückgängig machen. Wir werden aber alles dafür tun, dass nicht noch mehr Wald und Natur zerstört wird.“

Das Ergebnis der Bürgerbefragung wertet die Initiative als wichtiges Zeichen. Der Wille, Elon Musk die Grenzen des Möglichen aufzuzeigen, sei da, sagen die beiden. Doch entscheidend ist nun mal das Votum des Gemeinderates, sagen nicht nur Manuela Hoyer und Steffen Schocht.

Die finale Abstimmung findet im Mai statt. Der Kampf geht weiter – bei den Gegnern und bei den Befürwortern.

QOSHE - Auch nach Anti-Tesla-Entscheidung: Grünheide weiterhin tief gespalten - Sophie-Marie Schulz
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Auch nach Anti-Tesla-Entscheidung: Grünheide weiterhin tief gespalten

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23.02.2024

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© Berliner Zeitung


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