Es ist ein Satz, der nachhallt: „Ich muss nicht flirten können, ich habe Geld.“ Man möchte mit dem Kopf schütteln und entgegnen, dass Geld und Liebe unabhängig voneinander koexistieren. Andererseits lässt sich nicht bestreiten, dass ein Funken Wahrheit darin steckt. Zumindest dann, wenn Zuneigung und Liebe auf eine andere Art und Weise definiert werden als ein Tauschgeschäft. Du gibst mir, was ich will, und dafür bekommst du das, was du willst. Koste es, was es wolle.

Dass immer mehr junge Frauen eine solche „Beziehung“ eingehen, ist bittere Realität. Sie bezeichnen sich selbst als Sugarbabes, stehen ihrem Daddy jederzeit und solange er will zur Verfügung. Natürlich nur, wenn sie entsprechend entlohnt werden. Dass es sich hierbei nicht um Einzelfälle handelt, zeigt ein Film, der soeben auf dem Filmfestival Achtung Berlin Premiere gefeiert hat. Er beruht auf wahren Begebenheiten.

Eine junge Frau zieht an ihrer Zigarette und streckt ihre Hand aus einem fahrenden Auto. Neben ihr sitzt ein Mann. Er ist mehr als doppelt so alt und schaut sie lustvoll an. Die erste Szene von „Sugar“ wirkt harmlos. Wären da nicht der massive Altersunterschied und ein harter Bruch. Die Szene bricht ab, plötzlich befindet sich die junge Frau, im Film wird sie Fiadh genannt und von Jule Hermann gespielt, an einem anderen Ort. Sie weint, sie schreit, sie wirkt verzweifelt. An ihrem Hals sind blaue Flecken zu sehen.

Den Zuschauern im Babylon ist schnell klar, dass es sich bei diesem Film um keine seichte Komödie handelt. Die Szenen lassen einen nie wieder vergessen, was es bedeutet, ein Sugarbabe zu sein. Ganz ähnlich ging es dem Drehbuchautor und Regisseur des Films, Julius Gause, als er zum ersten Mal in Kontakt mit der Thematik kam – damals war er gerade mal 17 Jahre alt.

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14.04.2024

Alles begann an einem gewöhnlichen Abend, an dem man mit Freunden zusammensitzt, nette Gespräche führt und das eine oder andere Getränk schlürft. Doch dann eröffnete eine Bekannte, dass sie jetzt einen Sugardaddy habe. Von Entsetzten keine Spur, erzählt Gause: „Ich war der Einzige am Tisch, der ihr nicht einfach gratulierte.“ Seitdem habe ihn das Thema nicht mehr losgelassen.

Gause näherte sich der Thematik erst aus der Perspektive der Betroffenen – der Sugarbabes. Nach einiger Zeit lernte er die reale Fiadh kennen, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls 17 Jahre alt war. Sie sprach offen über ihre Erfahrung, über die Tatsache, dass sie während ihrer Treffen mit den Sugardaddys noch einen Freund hatte. Sie erwähnte diese Dreiecksbeziehung nur in einem Nebensatz, doch dieser beschäftigte den Drehbuchautor nachhaltig: „Ich habe mich gefragt, wie ich damit umgegangen wäre, und so habe ich große Teile aus meinem eigenen Leben einfließen lassen.“

Diese intensive Auseinandersetzung mit dem Thema ist deutlich wahrzunehmen. Persönliche Empfindungen des Autors wurden mit realen Begebenheiten verwoben. Trotz einer Gesamtfilmlänge von nur knapp 45 Minuten haben die Charaktere eine unglaubliche Tiefe. Innere Konflikte, irrationale Gefühle und die Komplexität menschlicher Beziehungen stehen im Mittelpunkt.

Die Zuschauer lernen die junge Frau einerseits als abgebrühtes Sugarbabe kennen, die alles fürs schnelle Geld tut, und andererseits als eine gebrochene Seele, die richtig und falsch nicht mehr auseinanderhalten kann. So läuft es dem Zuschauer kalt den Rücken runter, wenn Fiadh zu ihrem „Daddy“ sagt: „Ich will, dass du heute Abend wieder alles machst, was du willst.“ Und wenig später sitzt sie weinend auf dem Boden, mit roten Striemen am Handgelenk und Würgemalen am Hals.

Nach einiger Zeit nahm Gause auch Kontakt zu einem Sugardaddy auf. „Dieser Mann meinte tatsächlich echte Gefühle für ‚sein‘ Sugarbabe zu haben und wollte ihr helfen“, erzählt er. Die Lust daran, mit einer sehr jungen, gut aussehenden Frau zu schlafen, „bei der man auf dem normalen Dating-Markt keine Chance hätte“, war aber deutlich wahrnehmbar. „Dabei fehlte ihm das Verständnis dafür, dass er eine schwierige Lebenssituation für seine eigene Befriedigung ausnutzte“, erzählt der Autor.

Im Film wirft der Sugardaddy, gespielt von Oliver Mommsen, sein Sugarbabe am nächsten Morgen aus dem angemieteten Hotelzimmer. Noch am selben Tag trifft sie sich mit einem anderen Daddy. Im Film reagieren die Freunde von Fiadh ebenfalls positiv auf ihre „Beziehung“ zu einem älteren Mann. Von Prostitution spricht niemand. „Ich persönlich habe das Gefühl, dass wir einen gefährlichen gesellschaftlichen Trend meiner Generation beobachten können, in dem Sugardaddy-Beziehungen verharmlost werden“, erzählt Gause.

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„Viele Frauen erzählten mir von Geldnot, von geringem Selbstwertgefühl, sexuellem Missbrauch und letztendlich von Vergewaltigungen, Übergriffen und Entmenschlichung“, fügt er hinzu. Abschließend richtet der heute 19-Jährige einen Appell an Personen in seinem Alter: „Mit jedem Witz – ‚ach, wenn das nichts wird, dann hole ich mir halt einen Sugardaddy‘ –, mit jedem Kommentar in dieser Form ignorieren und verschweigen wir diese Realität.“

„Sugar“ ist nicht nur hochwertig produziert, überzeugt durch seine enorme Bildsprache und die Stimmigkeit der Inszenierung. Auch der Autor selbst und seine Herangehensweise geben dem Film eine Authentizität, die man bei manch anderen erfahreneren Drehbuchautoren und Regisseuren vermisst. Nach einer Kino-Tour durch Deutschland soll „Sugar“ auf YouTube veröffentlicht werden. Ein Datum steht noch nicht fest.

QOSHE - Geld, Macht, Missbrauch: „Sugar“ – ein Film über einen „gefährlichen gesellschaftlichen Trend“ - Sophie-Marie Schulz
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Geld, Macht, Missbrauch: „Sugar“ – ein Film über einen „gefährlichen gesellschaftlichen Trend“

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16.04.2024

Es ist ein Satz, der nachhallt: „Ich muss nicht flirten können, ich habe Geld.“ Man möchte mit dem Kopf schütteln und entgegnen, dass Geld und Liebe unabhängig voneinander koexistieren. Andererseits lässt sich nicht bestreiten, dass ein Funken Wahrheit darin steckt. Zumindest dann, wenn Zuneigung und Liebe auf eine andere Art und Weise definiert werden als ein Tauschgeschäft. Du gibst mir, was ich will, und dafür bekommst du das, was du willst. Koste es, was es wolle.

Dass immer mehr junge Frauen eine solche „Beziehung“ eingehen, ist bittere Realität. Sie bezeichnen sich selbst als Sugarbabes, stehen ihrem Daddy jederzeit und solange er will zur Verfügung. Natürlich nur, wenn sie entsprechend entlohnt werden. Dass es sich hierbei nicht um Einzelfälle handelt, zeigt ein Film, der soeben auf dem Filmfestival Achtung Berlin Premiere gefeiert hat. Er beruht auf wahren Begebenheiten.

Eine junge Frau zieht an ihrer Zigarette und streckt ihre Hand aus einem fahrenden Auto. Neben ihr sitzt ein Mann. Er ist mehr als doppelt so alt und schaut sie lustvoll an. Die erste Szene von „Sugar“ wirkt harmlos. Wären da nicht der massive Altersunterschied und ein harter Bruch. Die Szene bricht ab, plötzlich befindet sich die junge Frau, im Film wird sie Fiadh genannt und von Jule Hermann gespielt, an einem anderen Ort. Sie weint, sie schreit, sie wirkt verzweifelt. An ihrem Hals sind........

© Berliner Zeitung


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