Sechs Monate, 182 Tage – den Geiseln der Hamas läuft die Zeit davon. Eine Sanduhr-Installation, die am Montag vor dem Paul-Löbe-Haus enthüllt wurde, verdeutlicht diesen Wettlauf gegen die Zeit. Für die nächsten zwei Wochen steht die drei Meter hohe Sanduhr mitten im Regierungsviertel. Durch eine schmale Öffnung rinnt roter Sand. An den seitlichen Metallstreben haben die Angehörigen Fotos derer angebracht, die der Hamas bis heute ausgeliefert sind.

„Jetzt, in dieser Sekunde, befinden sich über 100 Menschen in Gefangenschaft“, sagt Alon Gat. Unter seinem blauen Hemd trägt er ein schwarzes T-Shirt, in der Mitte ist das Gesicht einer Frau aufgedruckt. Seiner Schwester Camel Gat. Seit mehr als einem halben Jahr wird sie von der Hamas festgehalten. Wo genau sie sich befindet und ob sie noch lebt, ist unklar. Trotz dieser Ungewissheit hat Gat nur ein Ziel und eine Botschaft, die er der Bundesregierung und allen deutschen Bürgern vermitteln will.

Erst stand die Sanduhr in Tel Aviv, dann auf dem Times Square in New York und jetzt in Berlin. Ins Leben gerufen wurde das Projekt von der deutsch-israelischen Familie Romann. Ihre Tochter Yarden Romann wurde am 7. Oktober verschleppt, an dem Tag, an dem die Terrororganisation Hamas Hunderte Menschen in Israel tötete. Ende letzten Jahres konnte die Familie ihre Tochter, Ehefrau und Mutter, wieder in die Arme schließen. Doch der Kampf ist noch nicht vorbei. Auch nicht für Naama Weinberg, die ebenfalls angereist ist.

Ihr Cousin, Itai Svirski, hat die Geiselhaft der Hamas nicht überlebt. Seine Ermordung wurde offiziell bestätigt. Dennoch kämpft sie für die Freilassung der übrigen Geiseln. Als sie vor der Sanduhr steht, hält sie ein Foto ihres Cousins in den Händen. „Jede dieser Geiseln hat eine eigene Uhr und wir dürfen nicht zulassen, dass diese abläuft“, sagt Weinberg. Im Hintergrund, am oberen Ende der Sanduhr, ist mit weißer Farbe ein Schriftzug angebracht. „Bring them home NOW“ (zu Deutsch: „Bring sie jetzt nach Hause“) steht dort.

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Alon Gat ergreift das Wort. „Wir müssen das stoppen und wir brauchen eure Hilfe“, sagt er und schaut mit festem Blick in die umstehenden Kameras. Sein Wunsch ist es, dass die Bundesregierung „mehr Druck auf Katar ausübt und die Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln“ beeinflusst.

Für Hilfslieferungen der Bundesregierung und militärische Unterstützung sei er sehr dankbar, sagt Gat, doch die Aufmerksamkeit nehme ab.

Seine Sorge ist groß, dass der Überfall auf Israel erst der Anfang war, denn Gats Ehefrau, die ebenfalls mehrere Wochen festgehalten und Ende letzten Jahres freigelassen wurde, erzählte ihm Folgendes: „Die Terroristen haben meiner Frau während ihrer Gefangenschaft immer wieder gesagt, dass das erst der Anfang war und die gesamte westliche Welt bedroht ist.“ Die humanitäre Lage im Gazastreifen belastet Alon Gat ebenfalls.

„Auch die Zivilisten in Gaza sind Geiseln, alle leben in Gefangenschaft“, sagt er. Für ihn ist aber auch klar, dass die Terroristen überall sind und sich nur schwer sagen lässt, wer auf welcher Seite steht. Auch wenn seine Ehefrau wieder in Freiheit ist, wird Gat nicht aufgeben, bis die letzte Geisel nach Hause gekehrt ist. Hinter ihm fließt der rote Sand unaufhörlich durch die Sanduhr.

QOSHE - Sanduhr für Hamas-Geiseln in Berlin aufgestellt: Den Verschleppten rennt die Zeit davon - Sophie-Marie Schulz
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Sanduhr für Hamas-Geiseln in Berlin aufgestellt: Den Verschleppten rennt die Zeit davon

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08.04.2024

Sechs Monate, 182 Tage – den Geiseln der Hamas läuft die Zeit davon. Eine Sanduhr-Installation, die am Montag vor dem Paul-Löbe-Haus enthüllt wurde, verdeutlicht diesen Wettlauf gegen die Zeit. Für die nächsten zwei Wochen steht die drei Meter hohe Sanduhr mitten im Regierungsviertel. Durch eine schmale Öffnung rinnt roter Sand. An den seitlichen Metallstreben haben die Angehörigen Fotos derer angebracht, die der Hamas bis heute ausgeliefert sind.

„Jetzt, in dieser Sekunde, befinden sich über 100 Menschen in Gefangenschaft“, sagt Alon Gat. Unter seinem blauen Hemd trägt er ein schwarzes T-Shirt, in der Mitte ist das Gesicht einer Frau aufgedruckt. Seiner Schwester Camel Gat. Seit mehr als einem halben Jahr wird sie von der Hamas festgehalten. Wo genau sie sich befindet und ob sie noch lebt, ist unklar. Trotz dieser Ungewissheit hat Gat nur ein Ziel und eine Botschaft, die er der........

© Berliner Zeitung


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