Hurenpässe, Dildos und nackte Haut – die neue Ausstellung im Schwulen Museum in Berlin hat deutlich mehr zu bieten, als die klischeehafte Vorstellung von Sexarbeit vermuten lässt. Auf den Spuren der Huren begeben sich die Besucher auf eine Reise durch die Geschichte der Sexarbeit.

Es ist ein wilder „Hurenritt“, in dem historische Ereignisse und aktuelle Themen einerseits mit viel Humor und andererseits mit einer angemessenen Ernsthaftigkeit erzählt werden.

Über Prostitution wird viel gesprochen. Jeder hat eine Meinung und weiß, wie es besser laufen könnte. Menschen, die wirklich wissen, was Sache ist und mit Sexarbeit ihr Geld verdienen, kommen aber nur selten zu Wort. Auch die Historie dieser Berufsgruppe wird in den Geschichtsbüchern lieber ausgespart. Die Ausstellung „With Legs Wide Open“ (Mit weit geöffneten Beinen) öffnet einem nun in gleich zweierlei Hinsicht die Augen.

Zum einen besteht das Kuratoren-Team ausschließlich aus Sexarbeitern. Und zum anderen handelt es sich hierbei nicht um eine „gewöhnliche Ausstellung“, vielmehr wurde eine fiktive Institution erschaffen: „Ein lebendiges, erotisches, magisches, witziges und zutiefst politisches Museum der Sexarbeit“, wie es dort heißt.

Darin gibt es verschiedene Abteilungen. Unter anderem eine Beschwerdestelle, eine Stabsstelle für die Rückeroberung des öffentlichen Raums und ein Vernichtungsdezernat. Die Geschichte der Sexarbeit wird jedoch nicht chronologisch von der Antike bis zur Gegenwart erzählt, sondern spielerisch und nach Themen sortiert.

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Die Abteilung „Abstellkammer der Bürokratie“ ist dem deutschen Verwaltungsapparat gewidmet. Denn wer in Deutschland als Prostituierte arbeiten will, braucht einen „Hurenpass“, muss Vorschriften und Gesetze einhalten. Auf einem Bildschirm ist eine Beamtin, die „Bürokratie-Hexe“, zu sehen. Sortieren, Stapeln, Stempeln – dieser Dreiklang ist Musik in ihren Ohren. Sie lebt keinen Fuß-, sondern ihren Aktenfetischismus aus.

Nicht nur eigenartige Fetische werden bis heute stigmatisiert. Vor allem während und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Frauen, die in der Prostitution arbeiten, an den gesellschaftlichen Rand getrieben. Dieser Teil der Ausstellung hat uns besonders gut gefallen, da dieser historische Ausschnitt den wenigsten bekannt ist. So wurden ab 1941 Bordelle in mehreren KZs, unter anderem in Mauthausen, Auschwitz und Buchenwald, errichtet. Hinzu kamen die Wehrmachtsbordelle. An den Ausstellungswänden sind originale Tickets und Bordell-Antragsformulare angebracht.

Historischen Dokumenten ist zu entnehmen, dass sogenannte Asoziale in den Bordellen arbeiteten – Frauen, die aufgrund ihrer Tätigkeit als Prostituierte inhaftiert wurden. Dieses Martyrum endete nicht mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs: „Die Entscheidung, ihre Sexualität zum Überleben einzusetzen, wurde nach Kriegsende in besonderem Maße stigmatisiert.“

Da ist beispielsweise Hedwig Porschütz, die in den 30er-Jahren ihre geringen Einkünfte durch Sexarbeit aufstockte, und zudem jüdische Menschen in ihrem bescheidenen Heim versteckte und ihnen zur Flucht verhalf. Nach Kriegsende lebte Porschütz in ärmlichen Verhältnissen in Schöneberg und beantragte Hilfe bei der Berliner Initiative „Unbesungene Helden“.

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Diese wurde abgelehnt, mit der Begründung, ihre Tätigkeit als Sexarbeitende lasse auf ein „ein niedriges sittliches und moralisches Niveau“ schließen. Heutzutage erinnert eine Gedenktafel an die 1977 verstorbene Heldin und seit 2018 ist sogar eine Straße nach ihr benannt; die Hedwig-Porschütz-Straße in Berlin-Mitte.

Heute gibt es ausgewiesene Orte, an denen Sexarbeiter ihrem Job nachgehen dürfen. Auf der Kurfürstenstraße arbeiten überwiegend Cis-Frauen und auf der Frobenstraße vor allem Trans-Frauen. Nicht jeder, der in diesem Viertel lebt, will das akzeptieren. „Für einige Menschen gelten wir als Bedrohung für Kiez und Community, während wir doch seit Generationen hier leben und arbeiten, um für unsere eigenen Kinder zu sorgen“, steht auf einer der vielen Beschreibungstafeln.

Nach den vielen Eindrücken und Informationen bietet der letzte Ausstellungsraum die Möglichkeit, sich zu entspannen. Ein übergroßes Bett in Herzform, bezogen mit rotem Samt, steht links vom Eingang. An der Wand ist ein Regal angebracht, auf dem sich Nippelzangen, Dildos und Fesselzubehör aneinanderreihen. Für den einen verruchtes „Spielzeug“, dass zu Hause in der hintersten Schublade gelagert wird, für Sexarbeitende gewöhnliches Arbeitsmaterial. Der Journalist braucht Zettel und Stift. Die Sexarbeitenden Kondome und Feuchttücher.

„With Legs Wide Open – Ein Hurenritt durch die Geschichte“: Schwules Museum, Lützowstraße 73, 10785 Berlin. Zugänglich ab 27. März bis zum 26. August 2024. Ticketpreis 9 Euro, ermäßigt 3 Euro. Öffnungszeiten variieren und sind der Website zu entnehmen: https://www.schwulesmuseum.de/besuch/

QOSHE - Sexarbeit im Schwulen Museum Berlin: Öffnet die Beine und die Augen - Sophie-Marie Schulz
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Sexarbeit im Schwulen Museum Berlin: Öffnet die Beine und die Augen

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27.03.2024

Hurenpässe, Dildos und nackte Haut – die neue Ausstellung im Schwulen Museum in Berlin hat deutlich mehr zu bieten, als die klischeehafte Vorstellung von Sexarbeit vermuten lässt. Auf den Spuren der Huren begeben sich die Besucher auf eine Reise durch die Geschichte der Sexarbeit.

Es ist ein wilder „Hurenritt“, in dem historische Ereignisse und aktuelle Themen einerseits mit viel Humor und andererseits mit einer angemessenen Ernsthaftigkeit erzählt werden.

Über Prostitution wird viel gesprochen. Jeder hat eine Meinung und weiß, wie es besser laufen könnte. Menschen, die wirklich wissen, was Sache ist und mit Sexarbeit ihr Geld verdienen, kommen aber nur selten zu Wort. Auch die Historie dieser Berufsgruppe wird in den Geschichtsbüchern lieber ausgespart. Die Ausstellung „With Legs Wide Open“ (Mit weit geöffneten Beinen) öffnet einem nun in gleich zweierlei Hinsicht die Augen.

Zum einen besteht das Kuratoren-Team ausschließlich aus Sexarbeitern. Und zum anderen handelt es sich hierbei nicht um eine „gewöhnliche Ausstellung“, vielmehr wurde eine fiktive Institution erschaffen: „Ein lebendiges, erotisches, magisches, witziges und zutiefst politisches Museum der Sexarbeit“, wie es dort heißt.

Darin gibt es verschiedene Abteilungen. Unter anderem eine Beschwerdestelle, eine Stabsstelle für die........

© Berliner Zeitung


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