Was gibt es Faszinierenderes als den Fakt, dass wir am Leben sind? Trotz aller Widrigkeiten, die das Universum für uns bereithält, schlagen unsere Herzen noch. Und es gibt eine Musik, die all dies feiert. Den Techno. Mit Beats und Bass, so monoton und doch so abenteuerlich wie unser Herzschlag selbst. Eine Musik, die zelebriert, dass wir das Potenzial zum Lieben haben. Lieben und lieben lassen. Und zum Liebemachen sowieso.

Im Grunde braucht man nicht mal viel für dieses kickende Wummern namens Techno. Es wird kein Sinfonieorchester gebraucht. Ein Drumcomputer und ein Synthesizer und ein paar Kabel genügen. Oder eben ein paar fertige Tracks auf Schallplatte, CD, Cloud oder USB-Stick. Ein karger Keller oder ein blühender Park, um die Boxen aufzustellen. Dann geht es los: Elektronik, Euphorie, Ekstase. Und weil die Tracks im besten Falle nahtlos ineinander strömen, ist die Zeit wie ausgehebelt. Minuten, Stunden, Tage? Der Alltag draußen, war da was? Egal. Tanzen, weil wir es können! Weil es sich geil anfühlt. Schlafen können wir, wenn wir tot sind.

Wo der Techno genau herkommt (wenn nicht einfach: aus den Herzen), darüber lässt sich popmusikhistorisch fachsimpeln und auch streiten. Sicher hat er eine Tradition im schwarzen Motown-Soul. Im amerikanischen Detroit und auch in Chicago haben findige farbige DJs diese beseelte Musik in den 1980ern mit Elektronik flankiert – übrigens auch solcher aus Europa, aus Deutschland, zuvorderst: Kraftwerk.

Doch Techno ist viel mehr als „nur“ eine Klangrevolution. Techno ist auch eine Weise, auf das Leben zu blicken. Das haben auch die Menschen in Berlin gespürt, als dieser neuartige Subkultur dort ziemlich genau zur Wendezeit ankam. Die friedliche Umbruchstimmung lag in der Luft. Und nun gab es den Soundtrack dazu. Die Clubs waren jene Orte, an denen sich die jungen Leute aus Ost und West erstmals ganz nah kamen; die erste gesamtdeutsche Jugendkultur. Zwar haben sich die Leute Acid in die Blutbahn gejagt, aber alles ausgesprochen friedlich und empathisch miteinander; etwas, das man von alkohol- und testosteronstrotzenden Dorfkneipen zumeist nicht gerade behaupten kann. In Berlin hingegen gab es die Loveparade seit 1989. Dort feierten schiere Massen von Menschen, friedlich, zusammen mit Polizisten, die nicht hochgerüstet die Besucher bewachten, sondern mit Wasserpistolen einfach mittanzten. Später kamen die entsprechenden Freiräume dazu, vor allem im Osten Berlins, um sich den Techno tagelang um die Ohren jagen zu lassen. Egal, wie schlecht die Boxen anfangs waren.

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29.03.2024

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Berliner DJ-Star Ellen Allien: „Ins Berghain geh ich, um die Crowd zu sehen“

gestern

Berghain: Besucher beschweren sich über aggressive Frauen

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Tresor, Bunker und E-Werk hießen die Läden der Stunde. Hierhin haben Detroit-Pioniere wie Jeff Mills die neue Mucke mitgebracht. Und junge, weltoffene Leute in Berlin, wie etwa DJ Hell, haben sich da etwas abgelauscht und den Techno weitergesponnen. Die nötigen Import-Platten bekam man etwa bei Hard Wax in der Reichenberger. Auch Frauen waren für die Szene ausgesprochen wichtig, etwa die Berlinerin Ellen Allien, eine wahre Entdeckerin, die auf ihrem Label BPitch Control Techno-Acts rausbrachte, die inzwischen ikonisch für den Techno-Sound von Berlin stehen: etwa Moderat (Berlins aufregendste elektronische Dreierbeziehung) und „Berlin Calling“-Paul Kalkbrenner. Übrigens beide Ossis.

Nicht vergessen darf man auch die Schwulen: Das Ostgut (der Vorgänger-Club des Berghain) war anfangs ab 1999 ein reiner Gay-Club. Was bis heute auch die Sexpositivität und die „harte Tür“ des Berghain erklärt: Ganz sicher kann man hier niemanden drin gebrauchen, der Stress sucht. Die Welt draußen ist homophob genug. Friedliche Brandenburger Nicht-Gay-Boys wie den aufstrebenden DJ Marcel Dettmann ließ man hingegen gerne ins Ostgut. Schnell schon war er dort Resident und dann auch im Berghain.

Menschen aus aller Welt kommen nach Berlin, um auf Techno zu feiern. Auch weil es das Berghain gibt. Aber nicht nur weil es das Berghain gibt. Nein, das Besondere von Berlin ist gerade die reiche Vielfalt der Clubs. Mehr als hundert gibt es davon in der Stadt, viele im Ring (Watergate, Golden Gate, Club der Visionäre, Wilde Renate, Ritter Butzke, Kater Blau, KitKat), aber auch außerhalb: About Blank, Sisyphos und Revier Südost. Alles ohne Sperrstunde. Davon können die Menschen in Paris und in London nur träumen.

Wir Berliner sind oft gut drin, unsere Stadt schlechtzureden. Das Besondere, das wir hier haben, vergessen wir mitunter. Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, das hieße hier im übertragenen Sinne: die Clubkultur vor lauter Clubs nicht sehen. Manchmal braucht es ein paar Gäste auf der heimischen Airbnb-Couch, um einen wachzurütteln, zu begeistern, anzupreisen, was wir da für einen Schatz in Berlin haben mit der Fülle unserer Clubs. Drei Millionen Menschen kommen jährlich nach Berlin wegen des Tanzens. Und wir haben die Clubs einfach so vor der Tür. Ein Luxus. Die größte Erfolgsgeschichte, auf die Berlin wirklich stolz sein kann.

Sicher wird die Szene auch in Berlin kommerzieller. Doch verglichen etwa mit den vielen poshen Weltklasse-Techno-Clubs etwa auf Ibiza sind wir immer noch das reinste Underground-Paradies hier in unserem Berlin. Und zugleich gibt es die jungen, manchmal auch nur halblegalen Clubs, in denen neuer, subversiver Techno reift. Das ist etwas Schützenswertes. Die Menschen kommen nicht nach Berlin wegen all dem, was es woanders auch gibt. Sondern wegen dem, was uns einzigartig macht. Es sind die Clubs, es ist die Technokultur.

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Goldrichtig also, dass wir nun Immaterielles Kulturerbe sind mit unserer Berliner Technokultur. Ohne die Sound-Wurzeln aus Detroit gäbe es sie nicht. Aber auch ohne die friedliche Wende von 1989 gäbe es sie nicht. Ohne die queere Vielfalt gäbe es sie nicht. Wir dürfen stolz darauf sein, dass unser Berlin so besonders ist. Was gibt es Faszinierenderes als den Fakt, dass wir am Leben sind? Trotz aller Widrigkeiten, die das Universum für uns bereithält, schlagen unsere Herzen noch. Jeder Club in Berlin eine Herzkammer. Die Musik bringt uns zusammen in Berlin, in Liebe und in Frieden. Ein Synthie oder eine Schallplatte genügt. Aber all diese technoiden Sounds, all die Bässe, all die Beats, sie wären nichts ohne die Menschen, die sie feiern, lieben und leben. Und das können wir, verdammt noch mal, erstklassig hier in unserem Berlin.

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QOSHE - Elektronik, Euphorie, Ekstase: Warum Techno die größte Berliner Erfolgsgeschichte ist - Stefan Hochgesand
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Elektronik, Euphorie, Ekstase: Warum Techno die größte Berliner Erfolgsgeschichte ist

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31.03.2024

Was gibt es Faszinierenderes als den Fakt, dass wir am Leben sind? Trotz aller Widrigkeiten, die das Universum für uns bereithält, schlagen unsere Herzen noch. Und es gibt eine Musik, die all dies feiert. Den Techno. Mit Beats und Bass, so monoton und doch so abenteuerlich wie unser Herzschlag selbst. Eine Musik, die zelebriert, dass wir das Potenzial zum Lieben haben. Lieben und lieben lassen. Und zum Liebemachen sowieso.

Im Grunde braucht man nicht mal viel für dieses kickende Wummern namens Techno. Es wird kein Sinfonieorchester gebraucht. Ein Drumcomputer und ein Synthesizer und ein paar Kabel genügen. Oder eben ein paar fertige Tracks auf Schallplatte, CD, Cloud oder USB-Stick. Ein karger Keller oder ein blühender Park, um die Boxen aufzustellen. Dann geht es los: Elektronik, Euphorie, Ekstase. Und weil die Tracks im besten Falle nahtlos ineinander strömen, ist die Zeit wie ausgehebelt. Minuten, Stunden, Tage? Der Alltag draußen, war da was? Egal. Tanzen, weil wir es können! Weil es sich geil anfühlt. Schlafen können wir, wenn wir tot sind.

Wo der Techno genau herkommt (wenn nicht einfach: aus den Herzen), darüber lässt sich popmusikhistorisch fachsimpeln und auch streiten. Sicher hat er eine Tradition im schwarzen Motown-Soul. Im amerikanischen Detroit und auch in Chicago haben findige farbige DJs diese beseelte Musik in den 1980ern mit Elektronik flankiert – übrigens auch solcher aus Europa, aus Deutschland, zuvorderst: Kraftwerk.

Doch Techno ist viel mehr als „nur“ eine Klangrevolution. Techno ist auch eine Weise, auf das Leben zu blicken. Das haben auch die Menschen in Berlin gespürt, als dieser neuartige Subkultur dort ziemlich genau zur Wendezeit ankam. Die........

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