Tajh Morris ist verärgert. Wieso? Das erklärt der DJ und Autor in einem Kommentar auf dem einflussreichen Party-Portal Resident Advisor. Überschrieben ist der Text mit diesen Zeilen: „Berlin hat den Techno nicht erfunden. Warum wird Detroit in der Unesco-Würdigung nicht erwähnt?“ Doch Tajh Morris geht es um mehr als die Unesco-News: Er spricht von einer „jahrzehntelangen Ungerechtigkeit im Mittelpunkt der jüngsten Entscheidung, die Clubkultur der Stadt zu feiern“.

Morris verweist zu Recht darauf, dass Techno Mitte der 1980er ursprünglich eine Erfindung vor allem Schwarzer Jugendlicher in und um Detroit herum war; parallel zur Entwicklung von House in Chicago und HipHop in New York. Morris moniert, dass die Pionierleistung der afrikanischen Diaspora-Community in Detroit unterschlagen wird, wenn man Techno nun bloß zum Nachwende-Soundtrack von Berlin erklärt – und dabei die Wurzeln in Detroit unter den Tisch kehrt.

Morris sieht ein Muster am Werk: „Immer wieder werden Dinge, die zunächst als unbedeutend und von geringer intellektueller Substanz gelten, später gefeiert – sobald sie nicht mehr in der Hand der Schwarzen sind.“ Morris macht die Frage auf: „Wo wäre der Berliner Techno ohne Underground Resistance, Mike Huckaby oder Jeff Mills?“ Jeff Mills gehört zu jenen Detroiter Techno-Pionieren, die dann in Berlin (zunächst vor allem im Tresor-Club) den neuen Sound bekannt machten. Der Berliner Zeitung sagte Jeff Mills im Interview von 2023: „Wir waren damals ernsthafter bei der Sache, als viele vielleicht meinen würden. Es war knüppelharte Arbeit. Viele Namen, die vergessen sind, haben diese Musik möglich gemacht, haben somit auch das Berghain ermöglicht.“

Dass der Detroit-Techno nicht selbst auch Welterbe ist, hat einen politischen Grund: Die USA haben die Welterbe-Konvention der Unesco nie ratifiziert, können also keine Einträge in dem Verzeichnis vornehmen. Die Rave the Planet gGmbH (aus dem Umfeld von Dr. Motto), die sich für den Berliner Welterbe-Eintrag starkgemacht hat, räumt auf ihrer Webseite ein: „Berlin ist nicht der einzige Ort, an dem Technokultur entstanden ist. Die Wurzeln liegen u.a. in Detroit, Chicago, Belgien, aber auch schon in frühen elektronischen Musikgenres. (…) Durch seine Besonderheiten, wie die geschichtliche Situation mit dem Mauerfall (…) war Berlin jedoch von entscheidender Bedeutung für ihre Entwicklung.“

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Doch auch dieses historische Kapitel kann man freilich kritisch hinterfragen. So hat etwa Jens Balzer im Interview mit der Berliner Zeitung zu seinem Buch „No Limit“ darauf hingewiesen, dass die Freiräume der Techno-Szene von Berlin überhaupt nur entstanden, „weil gerade ein Staat kollabiert war – und Millionen von Menschen arbeitslos wurden. Der Mythos vom geilen Berlin war dadurch erkauft, dass man in bankrottgegangenen Fabriken Techno feiern konnte. Es hatte eine dunkle Rückseite, die von der Techno-Szene der 1990er gerne ignoriert wurde“. Es bleiben also unbequeme Frage zurück nach der Unesco-Entscheidung. Wie ein Kater nach der Party.

QOSHE - Kritik an Unesco-Welterbe wird laut: „Berlin hat den Techno nicht erfunden“ - Stefan Hochgesand
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Kritik an Unesco-Welterbe wird laut: „Berlin hat den Techno nicht erfunden“

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27.03.2024

Tajh Morris ist verärgert. Wieso? Das erklärt der DJ und Autor in einem Kommentar auf dem einflussreichen Party-Portal Resident Advisor. Überschrieben ist der Text mit diesen Zeilen: „Berlin hat den Techno nicht erfunden. Warum wird Detroit in der Unesco-Würdigung nicht erwähnt?“ Doch Tajh Morris geht es um mehr als die Unesco-News: Er spricht von einer „jahrzehntelangen Ungerechtigkeit im Mittelpunkt der jüngsten Entscheidung, die Clubkultur der Stadt zu feiern“.

Morris verweist zu Recht darauf, dass Techno Mitte der 1980er ursprünglich eine Erfindung vor allem Schwarzer Jugendlicher in und um Detroit herum war; parallel zur Entwicklung von House in Chicago und HipHop in New York. Morris moniert, dass die Pionierleistung der afrikanischen Diaspora-Community in Detroit unterschlagen wird, wenn........

© Berliner Zeitung


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