Derzeit kann man sich kilometerweise durchs Thema Spargel scrollen: Spargelrezepte, Texte, wann und wo die Spargelsaison eröffnet wurde, Erntehelfer, keine Erntehelfer, gesunder Beelitzer, schadstoffbelasteter Auslandsspargel, die Frage, ob Hunde Spargel essen dürfen, das Stangengemüse als Sexspielzeug ... Es ist mal wieder Spargelzeit in Deutschland. Viele meiner Bekannten stehen schon seit Mitte März in den Startlöchern. Seitdem wird Spargel gegessen, mindestens zweimal die Woche.

Ich begehe vermutlich ein Sakrileg, wenn ich im vom parareligiösen Spargelkult befallenen Deutschland gestehe: Ich habe mir nie wahnsinnig viel aus den weißen Stangen gemacht. Mir reicht es, sie ein- bis zweimal im Jahr auf dem Teller zu haben. Zumal mir die Rezepte rund um den Spargel schnell erschöpft scheinen: Spargelsuppe, Spargel mit Schinken, Spargel mit Schnitzel, mit Butter oder Hollandaise.

Als die Einladung aus dem Irma La Douce kam, deren Spargelmenü zu testen, dachte ich daher nicht: Juhu, endlich! Eher: Okay, warum nicht? Ich hatte längst vorgehabt, mal wieder dieses Restaurant zu besuchen, wurde doch der Küchenchef im September letzten Jahres ausgewechselt. Michael Schulz, der 2021 im Irma einen Michelinstern erkocht hatte, ging. Es kam ein Italiener namens Francesco Contiero, der sich als Küchenchef im Restaurant Richard einen Namen gemacht hatte und zuletzt im Neuköllner eins44, dem legereren Schwesterladen des Irma, verschiedene Posten innehatte.

Die Idee dahinter war, das Restaurant offener und zugänglicher für Gäste zu machen: weg von Gourmetabenden, weshalb die französische Haute Cuisine etwas abgespeckt und mit Einflüssen aus der Heimat des italienischen Küchenchefs aufgelockert wurde. Zugleich wurden auch die Bistro-Klassiker, die es im Irma immer gab, wieder mehr ins Zentrum gerückt.

26.04.2024

gestern

gestern

Längst wollte ich testen, ob das aufgeht. Ich hatte es dabei eigentlich auf die legendäre Bouillabaisse abgesehen, die neben anderen Klassikern wie Boeuf bourguignon, Rindertatar und Austern im Irma La Douce weiter serviert wird. Doch ich war fürs Spargelmenü geladen und wollte nicht unhöflich sein.

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Beim Blick auf die Spargelkarte stelle ich mit Erleichterung fest, dass der italienische Küchenchef diesem deutschen Gemüse mit neuen Ideen auf den Leib gerückt ist: ein Pot au feu mit weißem Spargel und gebeiztem Eigelb? Ein Spargelsalat mit Kiwi und dem französischen Hartkäse Mimolette? Das klingt spannend, dachte ich.

Zudem hier zu sitzen alles andere als eine Strafe ist. Für mich ist das Irma eines der schönsten Restaurants in Berlin. Die perfekte Filmkulisse über sinnliches Savoir-vivre hätte genau diese Ästhetik: Fin-de-siècle-Lampen, Stuckdecken und große Wandspiegel, ein Weinschrank so hoch wie das Tor von Milet, nur dass hier alles echt ist. Der Gastgeber und Sommelier heißt Sascha Hammer. Er hat ein Näschen für rare, klassische Weine aus dem Burgund und von der Rhône, die modern ausgebaut und von den Franzosen am liebsten im eigenen Land behalten werden.

Sehr sympathisch ist auch, dass mir Francesco Contiero bei der Begrüßung gesteht, er könne mit der Spargelliebe der Deutschen wenig anfangen. Ein-, zweimal Spargel im Jahr sei genug für ihn, dennoch habe ihn die Herausforderung gereizt. Ebenso habe er den Küchenchefposten nicht aktiv angestrebt, aber auch nicht ablehnt, weil er sich hier verwirklichen könne.

Sein Menü startet sanft mit grünem Spargel. Es gibt ihn halbiert, gehobelt und kleingeschnitten als knackigen Sommersalat mit Romana und Radieschen kombiniert. Contiero würzt ihn mit fruchtigem Essig, dem er Kiwi zur Seite stellt, sowie mit scharfen Chiliflocken. Etwas Kalorien und Schmelz fügt ein gebröckelter französischer Hartkäse hinzu. Das schmeckt wunderbar, reicht aber nicht, um unvergesslich zu sein.

Erinnerungswürdig bleibt der Chablis von Domaine Didier Dauvissat dazu. Chablis ist zuletzt unpopulär geworden, bei diesem wurde die Chardonnay-Traube nicht mit Holz, sondern im Edelstahltank ausgebaut. Statt parfümiert schmeckt der Wein wunderbar mineralisch, hat grüne Kräuter- und Apfelnoten, die bestens zum Spargel passen.

Im Zwischengang ist weißer Spargel der Star, mein erster: Unter einem Spargel-Pot-au-feu, eigentlich ein klassischer Rindfleisch-Eintopf aus Nordfrankreich, hatte ich mir nichts vorstellen können. Jetzt begeistern mich bissfest blanchierter Spargel sowie angeschmelzte Mairübchen, Brokkoli und Zuckerschoten, die am Tisch mit einem heißen Sud aus Domberger Sauerteigbrot übergossen werden. Ein weiteres Highlight dazu: gebeiztes, geraspeltes Eigelb am Tellergrund, das wie Käse gerinnt und als Umamibombe funktioniert. Für mich die bisher spannendste Alternative zur Spargelsuppe.

Aus der Küche hat Francesco Contiero noch das Kalbsbries mit Morcheln à la Creme und Dinkelgraupen geschickt, auf das er wohl stolz ist. Zu Recht, ohne Zweifel hat das Gericht Sterneniveau. Trotzdem kann ich nicht entscheiden, welches von beiden ich gerade lieber esse. Zum Bries schenkt Sascha Hammer einen geradezu exotischen Wein aus: einen dichten, fast cremigen Condrieu aus dem Weingut Delas. Condrieu, lerne ich, ist die geschützte Appellation für eine Gemeinde, deren Rebhänge am rechten Rhône-Ufer nahe Lyon liegen. Nur wenige Flaschen erreichen von dort aus Deutschland. Bei diesem Weißwein explodieren kraftvolle Mango-, Ananas- und kandierte Pfirsichnoten buchstäblich am Gaumen.

Für den Hauptgang hatte ich mich abgesichert: Neben dem klassischen weißen Spargel mit Bratkartoffeln und Sauce hollandaise, zu dem man allerdings nicht ganz klassisch die Wahl zwischen Loup de mer, ausgebackenem Lammkarree oder Entrecôte hat, hatte ich noch die Bouillabaisse bestellt. Der neue Küchenchef hat sie von neun Komponenten auf sieben abgespeckt. Dass Pulpo und Rotbarbe sowie das Extraschälchen Fenchelsalat nun fehlen, ist nicht das Problem. Auch der am Tisch aufgegossene Bouillabaisse-Sud schmeckt so tief-aromatisch nach Felsenfischen, Krustentier und Wermut wie eh und je. Doch wirken die abgezählten Miesmuscheln, die Rotgarnele, die Jakobsmuschel, das Stück Heilbutt und Wolfsbarsch wie Stückwerk. Ich wünschte mir ein heiß-sinnliches Erlebnis wie beim Spargel-Pot-au-feu, wo alles am Löffel durcheinandergeht und verschmilzt.

Zudem gebe ich gern zu: Der weiße Spargel mit der Hollandaise, die mit wenig Butter, aber viel italienischer Wein-Leichtigkeit überzeugt, schmeckt fantastisch. Mein Lammkarree ist luftig ausgebacken wie ein Schnitzel, am Ende nage ich es bis zum Knochen ab.

Dieses Spargelessen gefällt mir. Auch mag ich, wie unkompliziert es hier zugeht, obwohl das Irma La Douce seinen Stern nicht losgeworden ist. Trotz Küchenchefwechsel und Down-to-earth-Konzept – erst im März wurde er bestätigt.

Vorspeisen 10–27 Euro, Zwischengang 22–29 Euro, Hauptgang 31–47 Euro, Dessert 12–17 Euro, Spargelmenü: 3 oder 4 Gänge 85 bzw. 99 Euro, Weinbegleitung 47 bzw. 55 Euro

Irma La Douce, Potsdamer Str. 102, 10785 Berlin, Di–Sa ab 18 Uhr, Tel.: 030 23000555, irma@irmaladouce.de, www.irmaladouce.de

QOSHE - Restaurant Irma La Douce: In der Kirche des parareligiösen Spargelkults - Tina Hüttl
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Restaurant Irma La Douce: In der Kirche des parareligiösen Spargelkults

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28.04.2024

Derzeit kann man sich kilometerweise durchs Thema Spargel scrollen: Spargelrezepte, Texte, wann und wo die Spargelsaison eröffnet wurde, Erntehelfer, keine Erntehelfer, gesunder Beelitzer, schadstoffbelasteter Auslandsspargel, die Frage, ob Hunde Spargel essen dürfen, das Stangengemüse als Sexspielzeug ... Es ist mal wieder Spargelzeit in Deutschland. Viele meiner Bekannten stehen schon seit Mitte März in den Startlöchern. Seitdem wird Spargel gegessen, mindestens zweimal die Woche.

Ich begehe vermutlich ein Sakrileg, wenn ich im vom parareligiösen Spargelkult befallenen Deutschland gestehe: Ich habe mir nie wahnsinnig viel aus den weißen Stangen gemacht. Mir reicht es, sie ein- bis zweimal im Jahr auf dem Teller zu haben. Zumal mir die Rezepte rund um den Spargel schnell erschöpft scheinen: Spargelsuppe, Spargel mit Schinken, Spargel mit Schnitzel, mit Butter oder Hollandaise.

Als die Einladung aus dem Irma La Douce kam, deren Spargelmenü zu testen, dachte ich daher nicht: Juhu, endlich! Eher: Okay, warum nicht? Ich hatte längst vorgehabt, mal wieder dieses Restaurant zu besuchen, wurde doch der Küchenchef im September letzten Jahres ausgewechselt. Michael Schulz, der 2021 im Irma einen Michelinstern erkocht hatte, ging. Es kam ein Italiener namens Francesco Contiero, der sich als Küchenchef im Restaurant Richard einen Namen gemacht hatte und zuletzt im Neuköllner eins44, dem legereren Schwesterladen des Irma, verschiedene Posten innehatte.

Die Idee dahinter war, das Restaurant offener und zugänglicher für Gäste zu machen: weg von Gourmetabenden, weshalb die französische Haute Cuisine etwas abgespeckt und mit Einflüssen aus der Heimat des italienischen Küchenchefs aufgelockert wurde. Zugleich wurden auch die Bistro-Klassiker, die es im Irma immer gab, wieder mehr ins........

© Berliner Zeitung


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