In der Vertretung des Landes Brandenburgs beim Bund saß der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mit einem Lächeln der Schadenfreude auf dem Podium und bedauerte seinen brandenburgischen Amtskollegen Dietmar Woidke (SPD), der wegen einer Sitzung im Koalitionsausschuss nicht kommen konnte. Er verpasste einen Wohlfühltermin für Landesvertreter: Das Programm des diesjährigen Lausitz-Festivals wurde vorgestellt. Kultur fürs Image einer abgehängten, sich entleerenden, übel beleumundeten, hoffnungslosen Region, mit satten Wahlergebnissen für die AfD. Kultur für den Wahlkampf.

Das Festival stand unter heftiger Kritik von Kulturleuten aus der Region: Es sei den Lausitzern aufgepfropft worden, sie hätten nicht mitreden dürfen, das Programm sei zu elitär, man sehe es schon an den schlechten Zuschauerzahlen – 7000 seien 2023 gekommen, angestrebt sind 20.000. „Komplett westbestimmt und männlich“, „mit kolonialer Attitüde“, das waren die Stichworte, unter denen die Filmemacherin und Autorin Grit Lemke („Die Kinder von Hoy“) den künstlerischen Beirat verließ.

Der rhetorische Judoka Kretschmer begrüßte diese Kritik und freute sich über die Reibung, die dabei entsteht. Der israelisch-deutsche Intendant Daniel Kühnel, geboren in Jerusalem, wohin seine deutschstämmigen Eltern aus Rumänien ausgewandert waren, hat sich die Vorwürfe offenbar zu Herzen genommen.

Claus Peymann: „Schauspieler lieben mich, trotz oder wegen meiner Brüllerei“

29.05.2022

Komm aus deiner Blase, Kumpel! Ein Festival für Bitterfeld

26.06.2022

Man kann es vielleicht schon an dem Inspirationswort ablesen, mit dem vom 24. August bis zum 14. September mit 60 Veranstaltungen stattfindenden Festival überschrieben ist: „Anderselbst“. Das nimmt die Eröffnungsinszenierung von dem Berliner Schauspieler und Regisseur Marcel Kohler geradezu buchstäblich auf, der in der Glasfabrik Telux „Othello“ aufführen will – Shakespeares durchaus rassistisches Stück über einen Schwarzen, ausgerechnet in Weißwasser.

gestern

•vor 5 Std.

gestern

Das Programm versucht den Spagat zwischen internationaler Strahlkraft und regionaler Anbindung, also zwischen wir und die. Es bringt viele Unbekannte aus ortsansässigen Chören, Denkmal-Initiativen und Stadtmarketingabteilungen zusammen mit großen Namen, die von Richard David Precht bis Claus Peymann reichen. Letzterer inszeniert einen Monolog zum Kafka-Jahr: „Ein Bericht für eine Akademie“. Hochkarätige Konzerte und Tanzaufführungen, Lesungen, Podien, Ausstellungen gehören zum Programm.

Es ist immer ratsam, diejenigen, die man umarmen will, erst einmal kennenzulernen. Dafür braucht es Zeit. Das Festival selbst ist also eine Art sozialer Plastik, nachhaltig finanziert vorerst bis 2038 mit 48 Millionen Euro vom Bund und einigem mehr aus den Länderkassen.

Lausitz-Festival vom 24. August bis 14. September, Programm: www.lausitz-festival.eu

QOSHE - 48 Millionen Euro für eine soziale Plastik: Braucht das die Lausitz? - Ulrich Seidler
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

48 Millionen Euro für eine soziale Plastik: Braucht das die Lausitz?

28 1
22.04.2024

In der Vertretung des Landes Brandenburgs beim Bund saß der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mit einem Lächeln der Schadenfreude auf dem Podium und bedauerte seinen brandenburgischen Amtskollegen Dietmar Woidke (SPD), der wegen einer Sitzung im Koalitionsausschuss nicht kommen konnte. Er verpasste einen Wohlfühltermin für Landesvertreter: Das Programm des diesjährigen Lausitz-Festivals wurde vorgestellt. Kultur fürs Image einer abgehängten, sich entleerenden, übel beleumundeten, hoffnungslosen Region, mit satten Wahlergebnissen für die AfD. Kultur für den Wahlkampf.

Das Festival stand unter heftiger Kritik von Kulturleuten aus der Region: Es sei den Lausitzern aufgepfropft worden, sie........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play