Reiche Ernte, harte Arbeit. Die Schauspielerin Birgit Minichmayr hat in diesen Tagen einen übervollen Terminkalender. Am 17. Februar steht sie nach zehn Jahren mal wieder in einer Inszenierung von Frank Castorf auf der Bühne, der Thomas Bernhards „Heldenplatz“ am Burgtheater aufführt. Außerdem ist sie mit zwei Filmpremieren, in denen sie die Titelrollen spielt, auf der Berlinale vertreten: In Josef Haders tragikomischer Filmparabel „Andrea lässt sich scheiden“ befreit sie sich als eine Kleinstadtpolizistin von ihren Fesseln, und in dem biografischen Experimentalfilm „Mit dem Tiger schlafen“ von Anja Salomonowitz verkörpert sie die österreichische Malerin Maria Lassnig, der die Berlinale einen Schwerpunkt widmet. Wir haben ein paar Tage vor dem Sturm mit ihr telefoniert.

Frau Minichmayr, Sie spielen die 1919 geborene Künstlerin Maria Lassnig. Sie nennt sich selbst dezidiert Maler und nicht Malerin. Würden Sie sagen, dass sie eine feministische Künstlerin ist?

Ja. Sie begründet das auch. Weil sie in ihrem Kosmos durch die Verweiblichung des Wortes Maler aus der Männerdomäne herausgelöst worden wäre. Sie wollte sich aber mit den Männern messen, sie wollte keine sprachliche oder sonstige Extrabehandlung. Genau das war die Kränkung und Verletzung, dass sie zwischen all den männlichen malenden Zeitgenossen wie Hundertwasser oder ihrem zeitweisen Geliebten Arnulf Rainer viel zu spät wahrgenommen wurde.

Es gibt auch jede Menge männlicher Künstler, die untergegangen sind. Woher wusste sie, dass sie gut genug ist?

Sie war sehr von ihrer Kunst überzeugt. Beim Blick erkennt man, dass das total angemessen ist. Sie brauchte als Frau aber nicht nur das Genie, sondern auch ein Selbstbewusstsein. Ihr war klar, dass sie einfach aufgrund ihres Geschlechts eine mindere Anerkennung erfahren hat.

Hat sich daran etwas verändert?

Ja, es hat sich etwas verändert. Wir haben es solchen Frauen wie Maria Lassnig zu verdanken, dass wir inzwischen eine entsprechende Awareness ausgebildet haben – um ihren Begriff zu verwenden.

13.02.2024

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Haben Sie selbst Zurücksetzung aufgrund Ihres Geschlechts erlebt?

Beruflich? Dass ich weniger vorkomme, weil ich eine Frau bin? Das ist für mich nicht spürbar, weil ich in einem Metier arbeite, in dem Geschichten von Männern und Frauen erzählt werden und es insofern schon lange Verwendung für Schauspielerinnen gibt. Aber natürlich werden auch die weiblichen Figuren – nicht nur im klassischen Kanon – anders erzählt, oft weniger interessant und mehr nach dem Klischee. Und ab einem bestimmten Alter sind sie ohnehin marginalisiert. Das ist leider noch immer so.

Kann man überhaupt eine Künstlerin sein, ohne Feministin zu sein?

Na ja. Genauso wie man Künstler sein kann, ohne links oder humanistisch zu sein, kann man vielleicht auch antifeministische Positionen als Künstlerin einnehmen. Eigentlich sollten Ideologie und Kunst getrennt sein. Aber indem man sich noch immer in einer von Männern dominierten Welt durchsetzen muss, ist alles künstlerische Handeln von Frauen feministisches Handeln. Bei Maria Lassnig ging das in eins.

Sie hat sich sogar eine Machtposition erkämpft, indem sie die erste Professorin für Malerei an einer deutschsprachigen Kunsthochschule wurde.

Da hat sie ihr erstes Geld entsprechend ihrer Qualifikation verdient. Ihre Medienkunst geht auf ihren Job bei den Trickfilmstudios zurück, wo sie für ein paar Dollar Hintergründe kolorierte. Mit der Professur kam der Durchbruch. Sie war 60 Jahre alt und sie hat gefordert, dass sie so viel Honorar bekommt wie ihr Kollege Joseph Beuys. Stellen Sie sich vor, welch einen langen Atem diese Lady hatte.

Sie haben die Figur in allen Altersstadien gespielt. Warum hat man nicht wie sonst üblich beim Film mit der Maske nachgeholfen?

Das war ein theatralischer Vorgang, der mir gefallen hat. Dieses Konzept hat mich gereizt: Wie kann man das Publikum dennoch mitnehmen? Wie kann ich die verschiedenen Alter körperlich darstellen, was mache ich mit meinem Gesicht, mit meiner Art zu sprechen? Es war eine große Herausforderung, da den richtigen Punkt zu erwischen – glaubwürdig zu bleiben in der Verstellung, nicht zu dick aufzutragen. Das war ein Tanz auf rohen Eiern. Ich habe grundsätzlich Respekt vor Biopics, weil es leicht vermessen und übergriffig sein kann, einen Menschen zu interpretieren. Davor schrecke ich zurück, besonders bei jemandem wie Maria Lassnig, die ich von Herzen toll finde und deren Werk ich sehr verehre. Ihre Bilder sagen mir so viel, da will ich eigentlich lieber zuhören.

Deshalb bleiben Sie erkennbar Birgit Minichmayr, die Schauspielerin, die sich mit der Figur beschäftigt. Es gibt einen zweiten Film, mit dem Sie auf der Berlinale vertreten sind: „Andrea lässt sich scheiden“ von Josef Hader. Eine Polizistin trennt sich von ihrem Mann, um aus der Kleinstadt nach St. Pölten zu gehen. Auch das ist eine Emanzipationsgeschichte. Sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen den beiden Figuren?

Ähnlich sind sie sich schon allein dadurch, dass ich sie fast gleichzeitig gespielt habe. Zwischen den Dreharbeiten lagen fünf Tage. Das war sehr herausfordernd. Die Befreiung der Andrea ist eine andere. Sie wird von außen mit der Brechstange vollzogen. Während bei Maria Lassnig der Ausbruch ein intrinsisches Verlangen war, ein geradezu explosives Bedürfnis, mit dem sie sich gegen die Einflussnahme zum Beispiel durch ihre Mutter wehrte. Statt Volksschullehrerin zu bleiben, ist sie mit dem Fahrrad von Graz nach Wien gefahren, um dort eine Aufnahmeprüfung zu machen. Später ging die Lebensreise weiter nach Paris und New York. Diesen Durchsetzungswillen muss man sich einmal vorstellen. Den Ort immer wieder aufzugeben und einen neuen zu erkämpfen ...

Sie haben recht, St. Pölten ist nicht Paris oder New York. Aber die Kräfte, die Andrea fesseln und von den denen sie sich befreit, scheinen nicht leichter zu überwinden gewesen zu sein.

Das Schicksal spielt ihr so mit, dass es dann wirklich kein Zurück mehr gibt.

Und sehen Sie Ähnlichkeiten zu Ihrer eigenen Biografie? Sie sind auf einem Erbhof in einem Dorf bei Linz aufgewachsen. Ihnen war sicher etwas anderes vorbestimmt …

Sie meinen die Kraft der Klischees, denen ich als ein Dorfmädchen wehrlos ausgeliefert war? Da muss ich Sie enttäuschen. Also mir war von Anfang an klar: Ich gehöre nicht aufs Land, ich bin ein City-Girl. Anders als mein Bruder will ich auch nicht mehr zurück. Meine Kindheit spielt in den Siebzigern, da gab es schon so etwas wie Punk, sogar in Linz. Bei der Generation meiner Eltern war das noch anders, denen war es nicht erlaubt, auf eine höhere Schule zu gehen oder gar zu studieren. Das wirkte sich dann in meiner Generation so aus, dass wir diese verwehrten Wünsche unbedingt erfüllt bekommen sollten. Meine Eltern drängten mich zum Abi und zum Studium. Und da ist es naheliegend, dass man in die Hauptstadt geht.

Und dann gleich weiter nach Berlin an die Volksbühne. War das dann doch ein Löffelchen zu viel? Sind Sie deshalb wieder nach Wien zurückgegangen?

Ja, warum bin ich von der Volksbühne weggegangen? Ich wollte aus dem Ensemble raus und lieber frei arbeiten, unter anderem auch wegen der „Dreigroschenoper“ am Admiralspalast von Klaus Maria Brandauer. Ich hatte das Gefühl, in der Stadt Berlin von einem Moloch verschlungen werden zu können, wenn man nicht aufpasst. Gleichzeitig war das die Luft, die ich atmen wollte. Dieses Theater war der Sehnsuchtsort, hier wurde alles anders betrachtet, von Menschen, die mir imponiert haben. Da dabei sein zu dürfen und sich als ein Teil dessen zu fühlen, war absolut stimulierend.

Vielleicht war es auch ganz gut, rechtzeitig den Absprung zu schaffen. Seit Castorfs Weggang ist die Volksbühne durch viele tiefe Krisen gegangen.

Da wurde ohne Not etwas kaputtgeschlagen. Meiner Meinung nach war das Theater mit Frank Castorf verwachsen. Die Castorf-Volksbühne war nicht nur für mich, sondern für ganz viele am Theater immer eine Orientierung. Man hat geguckt, was machen die, wie machen sie es ... Etwas Vergleichbares gibt es nicht mehr.

Wie war die Wiederbegegnung mit Castorf für die Proben von „Heldenplatz“?

Meine letzte Arbeit mit ihm war tatsächlich schon fast zehn Jahre her: die „Judith“. Da war gerade der Volksbühnen-Chefbühnenbildner Bert Neumann gestorben. Das war ein tiefer Schnitt.

Inzwischen sind Sie Mutter von Zwillingen geworden, Castorf hat sein Theater verloren …

Mit Frank ist das sehr unaufgeregt, als wäre keine Zeit vergangen. Ich war sofort wieder im Flow und habe ihm zugehört: Wie dieser Mann Autoren kombiniert und miteinander sprechen lässt! Ich knie nieder vor seinem Literaturwissen, jetzt lässt er zum Beispiel Thomas Bernhard auf Thomas Wolfe treffen, das zieht Bernhard in eine spirituelle poetische Tiefe. Das ganze Krakeelen und diese Erregung, die manchmal ein bisschen ins Politkabarettistische zu rutschen drohen bei Thomas Bernhard, bekommen einen neuen Nachhall durch den amerikanischen Blick von Wolfe, der auf seinen Deutschlandreisen bis 1936 die Nazifizierung beobachtete. Das beleuchtet sich gegenseitig. Ich sitze da nach zehn Jahren und denke, ja genau, das ist es gewesen, was ich suchte. Das kann keiner so wie Castorf.

Er wird die Provokation nicht wiederholen können, die Claus Peymann mit der Uraufführung von „Heldenplatz“ 1988 auslöste. Damals kam es zu den heute so trendigen Traktorprotesten.

Nach dem 7. Oktober wurde uns noch einmal klar, wie aktuell dieses Stück geblieben ist. Auch dass da wieder ein Österreicher nach Potsdam reist, um zu erklären, wie man mit Menschen umgeht, die anders sind ... Das klingt fast wie eine dieser bitteren Pointen, in die sich Thomas Bernhard hinein eskaliert. Ja, damals kamen sie und verkippten Mist vor dem Burgtheater. Heute würden sie ihren Mist wohl eher vor dem Parlament abladen.

Weil das Theater nicht mehr so wichtig ist?

Vielleicht. Die Erregung findet woanders statt, allen voran im Netz und das nicht zu knapp. Vielleicht kann das Theater in dem allgemeinen Geschrei wieder mehr ein Ort der Differenzierung werden.

QOSHE - Birgit Minichmayr: „Ideologie und Kunst sollten voneinander getrennt sein“ - Ulrich Seidler
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Birgit Minichmayr: „Ideologie und Kunst sollten voneinander getrennt sein“

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16.02.2024

Reiche Ernte, harte Arbeit. Die Schauspielerin Birgit Minichmayr hat in diesen Tagen einen übervollen Terminkalender. Am 17. Februar steht sie nach zehn Jahren mal wieder in einer Inszenierung von Frank Castorf auf der Bühne, der Thomas Bernhards „Heldenplatz“ am Burgtheater aufführt. Außerdem ist sie mit zwei Filmpremieren, in denen sie die Titelrollen spielt, auf der Berlinale vertreten: In Josef Haders tragikomischer Filmparabel „Andrea lässt sich scheiden“ befreit sie sich als eine Kleinstadtpolizistin von ihren Fesseln, und in dem biografischen Experimentalfilm „Mit dem Tiger schlafen“ von Anja Salomonowitz verkörpert sie die österreichische Malerin Maria Lassnig, der die Berlinale einen Schwerpunkt widmet. Wir haben ein paar Tage vor dem Sturm mit ihr telefoniert.

Frau Minichmayr, Sie spielen die 1919 geborene Künstlerin Maria Lassnig. Sie nennt sich selbst dezidiert Maler und nicht Malerin. Würden Sie sagen, dass sie eine feministische Künstlerin ist?

Ja. Sie begründet das auch. Weil sie in ihrem Kosmos durch die Verweiblichung des Wortes Maler aus der Männerdomäne herausgelöst worden wäre. Sie wollte sich aber mit den Männern messen, sie wollte keine sprachliche oder sonstige Extrabehandlung. Genau das war die Kränkung und Verletzung, dass sie zwischen all den männlichen malenden Zeitgenossen wie Hundertwasser oder ihrem zeitweisen Geliebten Arnulf Rainer viel zu spät wahrgenommen wurde.

Es gibt auch jede Menge männlicher Künstler, die untergegangen sind. Woher wusste sie, dass sie gut genug ist?

Sie war sehr von ihrer Kunst überzeugt. Beim Blick erkennt man, dass das total angemessen ist. Sie brauchte als Frau aber nicht nur das Genie, sondern auch ein Selbstbewusstsein. Ihr war klar, dass sie einfach aufgrund ihres Geschlechts eine mindere Anerkennung erfahren hat.

Hat sich daran etwas verändert?

Ja, es hat sich etwas verändert. Wir haben es solchen Frauen wie Maria Lassnig zu verdanken, dass wir inzwischen eine entsprechende Awareness ausgebildet haben – um ihren Begriff zu verwenden.

13.02.2024

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13.02.2024

Haben Sie selbst Zurücksetzung aufgrund Ihres Geschlechts erlebt?

Beruflich? Dass ich weniger vorkomme, weil ich eine Frau bin? Das ist für mich nicht spürbar, weil ich in einem Metier arbeite, in dem Geschichten von Männern und Frauen erzählt werden und es insofern schon lange Verwendung für Schauspielerinnen gibt. Aber natürlich werden auch die weiblichen Figuren – nicht nur im klassischen........

© Berliner Zeitung


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