Es ist das Deutsche Theater, wo wir uns befinden. Beide Premieren am Wochenende stellen diese Tatsache voraus, bevor es richtig losgeht. Zufall? Oder autosuggestive Selbstbeschwörung angesichts der einschüchternden Ansprüche, die das traditionsreiche Haus verlangt? Oder gar ein Gruß an das Publikum, dem dieser Umstand angesichts des Gebotenen vielleicht wegrutschen könnte?

Jedenfalls geht es am Freitagabend so los: „Wir sind hier nicht im deutschen Fernsehen, sondern im Deutschen Theater.“ Dies stellt der Heimatforscher Dr. Johann Pappe gegenüber der mordgierigen Tatort-Kommissarin klar und schickt ein herzliches „Verdammt nochmal!“ hinterher. Sebastian Urbanski und Franziska Kleinert haben in ihrem Heimattheater, dem Rambazamba, schon ähnliche Auseinandersetzungen ausagiert, in denen der eher ruhige, ums Gelingen bemühte Urbanski versucht, seine action- und rampenorientierte Kollegin Franziska Kleinert in Schach zu halten.

Mit dem TV-Hinweis reagiert das Theater am Freitagabend auch darauf, dass einen Tag später derselbe Stoff Grundlage für eine ARD-Verfilmung ist: Der Roman „Hauke Haiens Tod“, von Andrea Paluch und ihrem Mann Robert Habeck – geschrieben im Jahr 2001, als Habeck zwar schon grün, aber noch lange kein Wirtschaftsminister war. Das Buch erzählt die Geschichte von Theodor Storms „Schimmelreiter“ weiter. Die geistig beeinträchtigte, totgeglaubte Tochter des Deichgrafen wurde von dessen Knecht Iven gerettet und ist unter falschem Namen in einer betreuten Wohngruppe aufgewachsen.

Im Fernsehen wurde laut unserem Kritiker ein abgegriffenes Küstenmelodram draus. DT-Regisseur Jan-Christoph Gockel aber schiebt den Paluch/Habeck und Storm sowie einiges mehr zu einem dichten, knapp zweistündigen, mit Bildern, Sound und Anspielungen überladenen Theatermittelabend zusammen, der sich im Verdauungstrakt eines schlecht träumenden Wals abzuspielen scheint.

26.04.2024

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Die beiden Rambazamba-Spielerinnen Hieu Pham und Zora Schemm teilen sich die Rolle der verwaisten Tochter Wienke Haien. Sie agieren sehr reduziert und souverän, liefern so die Willensstärke des Mädchens, das in die Heimat zurückkehrt und nach den losen Strängen ihrer Biografie forscht. Ihr damaliger Retter Iven (Komi Mizrajim Togbonou), inzwischen Türsteher und Rocker, versucht sie zu beschützen, hat dabei aber an einer eigenen Identitätskrise herumzuknobeln.

Die Exkursion führt in den Koog hinterm Deich, zu einer übrig gebliebenen Verkaufsstelle für Sprit und Spirituosen (Bühne: Julia Kurzweg), geführt von einer lebenslustig-derangierten Kettenraucherin (Almut Zilcher). Hauke Haiens Land hat sich der Konkurrent Ole Peters unter den Nagel gerissen, dessen Figur Mareike Beykirch als straffgesoffenen Aggro verballert.

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Leben sieht anders aus, aber so richtig tot ist hier wiederum auch niemand. Das ist unter anderem dem Postboten (Puppenspieler Michael Pietsch) zu verdanken, der auch als Tierpräparator wirkt und den Kreaturen eine „zweite Runde“ gönnt. Kein Wunder, dass auch Hauke (Manuel Harder) aus dem Grab steigt, um einige Dinge richtigzustellen und zwischendurch wie ein Grünenpolitiker von der Angst vor den Maßnahmen zur Abwendung der nächsten Flutwelle zu reden.

Die Hybris in der Klimakrise und die Rache der Natur, Politikverdrossenheit und Bauernproteste, Identitätsfetisch und Symbolvoodoo, Gruselschmock und Verfremdungseffekt – alles wird mit großflächiger Videodopplung und einem live eingespielten Dauersound (Anton Berman) aufgefahren, der aus längst untergegluckerten Welten heraufzuhallen scheint. Mit Gockel gehen die Ambitionen durch, sodass am Ende auf der Bühne wenig zu spielen und viel zu absolvieren und für das Publikum viel auszuklamüsern bleibt.

Am Sonnabend in der Kammer wurden die Zuschauer dann als Motherfuckers angesprochen, die ihre fuckin' Cellphones ausstellen sollten, weil sie sich, richtig: im fuckin' Deutschen Theater befänden. Die fünf Spieler, die sich die Rollen in der Adaption von Shaws „Pygmalion“ teilen, besser bekannt als Musical „My Fair Lady“, wollen niemanden beleidigen, sondern probieren ein paar Slangs und Sprechweisen aus, denn in dem Stück geht es um den Klassismus von Sprache und Gehabe. Die proletarische Blumenverkäuferin Eliza Doolittle wird von Professor Higgins innerhalb von drei Monaten zur Herzoginnendarstellerin aufgepimpt.

Hier ist es dem Regisseur Bastian Kraft offenbar sehr wichtig, dass auch der verpennteste Zuschauer folgen und die gesammelten Botschaften aufnehmen kann. Nicht nur, dass die Fünf uns knapp zwei Stunden mit viel sportlichem Ehrgeiz frontal anspielen, sodass bis zum Ende offen bleibt, ob man vielleicht doch einer Aufwärmübung beim Sprechtraining beiwohnt. Es werden auch jeder interpretatorische Gedanke und jede autobiografische Assoziation ausformuliert und abgearbeitet wie bei einem Referat. Liebes Klischeespiel mit angeklebten Bärten und Kinderbuchkostümen, knallbunt beleuchtet und beschallt. Ohne eine entsprechende Ansage hätte man womöglich vergessen, wo man ist. Wir wiederholen es sicherheitshalber auch für die Leser: im Deutschen Theater. Beide Abende heimsten begeisterten Applaus ein.

Nächste Vorstellungen: Der Schimmelreiter/Hauke Haiens Tod, 7., 13., 18., 19. Mai im Deutschen Theater, Pygmalion 1., 7., 15., 19., 27. Mai in den Kammerspielen. Anfangszeiten und Karten unter Tel.: 28 44 12 25 oder www.deutschestheater.de

QOSHE - Das Deutsche Theater liefert bunte Romanadaptionen im Doppelpack - Ulrich Seidler
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Das Deutsche Theater liefert bunte Romanadaptionen im Doppelpack

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28.04.2024

Es ist das Deutsche Theater, wo wir uns befinden. Beide Premieren am Wochenende stellen diese Tatsache voraus, bevor es richtig losgeht. Zufall? Oder autosuggestive Selbstbeschwörung angesichts der einschüchternden Ansprüche, die das traditionsreiche Haus verlangt? Oder gar ein Gruß an das Publikum, dem dieser Umstand angesichts des Gebotenen vielleicht wegrutschen könnte?

Jedenfalls geht es am Freitagabend so los: „Wir sind hier nicht im deutschen Fernsehen, sondern im Deutschen Theater.“ Dies stellt der Heimatforscher Dr. Johann Pappe gegenüber der mordgierigen Tatort-Kommissarin klar und schickt ein herzliches „Verdammt nochmal!“ hinterher. Sebastian Urbanski und Franziska Kleinert haben in ihrem Heimattheater, dem Rambazamba, schon ähnliche Auseinandersetzungen ausagiert, in denen der eher ruhige, ums Gelingen bemühte Urbanski versucht, seine action- und rampenorientierte Kollegin Franziska Kleinert in Schach zu halten.

Mit dem TV-Hinweis reagiert das Theater am Freitagabend auch darauf, dass einen Tag später derselbe Stoff Grundlage für eine ARD-Verfilmung ist: Der Roman „Hauke Haiens Tod“, von Andrea Paluch und ihrem Mann Robert Habeck – geschrieben im Jahr 2001, als Habeck zwar schon grün, aber noch lange kein Wirtschaftsminister war. Das Buch erzählt die Geschichte von Theodor Storms „Schimmelreiter“ weiter. Die geistig beeinträchtigte, totgeglaubte Tochter........

© Berliner Zeitung


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