Was zieht Luc Jacquet immer wieder Richtung Südpol? Die Frage sei ihm eigentlich zu intim, sagt er heiser und antwortet mit einem Film für die große Leinwand: einem gigantomanischen, kulinarischen, umwerfend selbstverliebten Edelporno. Vor 30 Jahren reiste der Dokumentarfilmer zum ersten Mal in die Antarktis. Inzwischen, stellt seine Voice-over-Stimme melancholisch fest, hat er graue Haare. Für seinen Debütfilm „Die Reise der Pinguine“ (2005) bekam er den Doku-Oscar, allein in Deutschland fand er anderthalb Millionen Zuschauer.

Der deutsche Titel des neuen Films „Rückkehr zum Land der Pinguine“ will an den Erfolg anschließen, im Original heißt das Werk zutreffender „Le voyage au pôle sud“ (Die Reise zum Südpol). Denn um die flugunfähigen Vögel geht es nur am Rande, sie sind nicht mehr als ein Teil der Eismeerdekoration im Selbstporträt eines Reisenden.

Ist es überhaupt ein Dokumentarfilm oder eher ein Lichtspielpoem? Die Bilder, die Jacquets Kameraleute, angeführt von Christophe Graillot, liefern, sind von aufreizender und niederschmetternder Opulenz. Das Werk sucht die Überwältigung mit allen verfügbaren Mitteln, verzichtet zugleich – bis auf einen apotheotischen Moment – auf Farbe. Drohnenflüge, Unterwasseraufnahmen, Zeitlupe, Effektfilter, Kontraste, Unschärfen und Überkopfperspektiven, das Spektrum reicht von Makroaufnahmen lebendig wirkender Schneeflöckchen bis zu himmelszeltweit aufgespannten Tapetentotalen.

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Das Korn des Bildes scheint sich aufzurichten wie die Körperhärchen bei Gänsehaut. Nichts ist dem Zufall überlassen, alles ist durchkomponiert – wie bei einem Coffee-Table-Bildband, nur dass der Filmemacher immer wieder im Bild herumsteht. Nachdenklich. Angeblasen. Mit gereinigter Seele in die Ferne blickend. Man wartet bei dieser Werbeästhetik immer auf die Einblendung des Outdoor-Ausrüsters und würde sich nicht wundern, wenn jetzt jemand einen Parfümflakon aus seinem Rimowa-Köfferchen holen oder den Dampf eines Markenkräutertees über den Rand einer Markenblechtasse blasen würde.

Packeis schiebt sich zu sinfonischen Formationen zusammen. Klüfte öffnen hingebungsvoll ihre Schenkel. Die Rippenbögen der Gletscher neigen sich seufzend herab. In den warmen Augen der Tiere spiegelt sich die kalte Leere des Kosmos. Die Landschaften erwachen unter dem schmachtend zudringlichen Blick des überinspirierten Eindringlings, lösen sich von ihrer Materialität und gehen in abstrakten grafischen Flächen auf. Bis, wums, wieder ein Schiffsbug die unschuldig weiße Eisdecke penetriert oder auf eine Welle knallt: Süße Gischt besprengt die Schönheit von Gottes Schöpfung als würde eine Sprühsahnedose ejakulieren.

Auf der Sound- und Musikebene setzt sich die ästhetische Unterwerfung der erhabensten aller irdischen Landschaften unter das larmoyante Ego eines hochgerüsteten Träumers fort. Knirschen, Knarren, Brummen, Ächzen, Gesang von Walen und von Pinguinküken – lauter zurechtfrisierte Wohlfühlgeräusche wie aus den ASMR-Archiven. Auch die Filmmusik bedient sich aus dem vollen Farbkasten der Effekte: Wagnerianisches Streicherschwellen wechselt sich ab mit minimalistischem Ukulelezupfen, und immer wieder fährt einem ein aus weichen Fellen geklopfter, indigen inspirierter Trommelakzent ins Rückenmark.

Das könnte man sich alles gut gefallen lassen, zumal es handwerklich feinste Konditorkunst ist. Aber diese Selbstbeweihräucherung geht einem doch schwer auf den Keks. Jedes Bild verweist auf sich selbst und seine meisterliche Anfertigung. Jeder Satz hebt den melancholischen Reisenden auf einen Auserwähltensockel. Die Antarktis mit ihrer ganzen Schönheit, und ja, auch die Pinguine, so nah man ihnen kommt und so freundlich sie sich zeigen, sind vor allem eins: Publikum für einen einsamen Reisenden (und seine Entourage). „Ich bin wohl das Seltsamste, was sie je in ihrem Leben gesehen haben“, sagt er mit Schmunzelstimme und glaubt, dass sie aus Höflichkeit so tun, als nähmen sie keine Notiz von ihm. Wer sagt ihm, dass es auch Desinteresse sein könnte?

Rückkehr ins Land der Pinguine, F, 2023, ein Film von Luc Jacquet

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Porno mit Pinguinen: Luc Jacquet zieht es wieder Richtung Südpol

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13.02.2024

Was zieht Luc Jacquet immer wieder Richtung Südpol? Die Frage sei ihm eigentlich zu intim, sagt er heiser und antwortet mit einem Film für die große Leinwand: einem gigantomanischen, kulinarischen, umwerfend selbstverliebten Edelporno. Vor 30 Jahren reiste der Dokumentarfilmer zum ersten Mal in die Antarktis. Inzwischen, stellt seine Voice-over-Stimme melancholisch fest, hat er graue Haare. Für seinen Debütfilm „Die Reise der Pinguine“ (2005) bekam er den Doku-Oscar, allein in Deutschland fand er anderthalb Millionen Zuschauer.

Der deutsche Titel des neuen Films „Rückkehr zum Land der Pinguine“ will an den Erfolg anschließen, im Original heißt das Werk zutreffender „Le voyage au pôle sud“ (Die Reise zum Südpol). Denn um die flugunfähigen Vögel geht es nur am Rande, sie sind nicht mehr als ein Teil der Eismeerdekoration im Selbstporträt eines Reisenden.

Ist es überhaupt ein Dokumentarfilm oder eher ein Lichtspielpoem? Die Bilder, die Jacquets Kameraleute, angeführt von Christophe Graillot, liefern, sind von aufreizender und niederschmetternder........

© Berliner Zeitung


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