© dpa/Hannes P Albert

„Kein Weiter-so“ war die klare Botschaft aus dem FDP-Parteitag. Christian Lindner muss in der Ampel einen Kurswechsel durchsetzen. Wenn er das nicht schafft, muss er aus der Koalition aussteigen.

Heute, 13:54 Uhr

Die FDP hat sich festgelegt. Sie will einen anderen Kurs, nicht nur in ihrer eigenen Programmatik, sondern ebenso für die Regierungspolitik der Ampel-Koalition. „Kein Weiter-so“ lautet die Ansage der FDP angesichts der wirtschaftlichen Stagnation. So oder so ähnlich sagen es alle führenden Liberalen, so klingt die „Wirtschaftswende“.

Die „Wirtschaftswende“, also die zwölf Forderungen nach grundlegenden Reformen, um Deutschland wieder wachsend und wettbewerbsfähig zu machen, seien kein Projekt der Liberalen um ihrer selbst willen, sagte Christian Lindner am Wochenende auf dem FDP-Parteitag. Es sei „unverantwortlich“, wenn sich in Deutschland nichts ändere. Von einem „Agenda-Moment“ spricht FDP-Vize Johannes Vogel.

Das ist ein Auftrag an die eigene Regierung. Dabei ist kaum zu erwarten, dass SPD und Grüne bereit sein werden, die Rente mit 63 und den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, den Sozialetat für drei Jahre lang einzufrieren und das deutsche Lieferkettengesetz auszusetzen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat sein Festhalten an der Rente mit 63 nach den Tönen der FDP am Wochenende flugs bekräftigt: „Das wird mit uns nicht geändert.“

Auf dem Bundesparteitag der FDP hat Generalsekretär Bijan Djir-Sarai tiefe weltanschauliche Differenzen zu den Koalitionspartnern SPD und Grüne eingeräumt. „Es gibt einen großen Unterschied zwischen uns, und daran wird sich niemals etwas ändern“, sagte Djir-Sarai am Sonntag in Berlin.

„Wir haben ein anderes Staatsverständnis als unsere Koalitionspartner“, sagte er unter dem Applaus der Delegierten. „Für uns ist das Geld der Steuerzahler nicht eine beliebige Verteilungsmasse - das ist der große Unterschied zu der Betrachtungsweise, die einige in dieser Koalition haben.“

Der zweitägige Parteitag in Berlin habe das Unbehagen der FDP in der Ampel-Koalition deutlich gemacht, sagte Djir-Sarai. „Das ist kein Parteitag einer Oppositionspartei, aber auch kein Parteitag einer Regierungspartei, die sagt: weiter so“, fuhr er fort. „Wir haben klar gemacht, welche Punkte wir für zentral halten, damit Deutschland wieder zu wirtschaftlicher Stärke zurückfinden kann.“ (AFP)

Und nun? Lindner ist erfahren und realistisch genug, die Schmerzpunkte bei SPD und Grünen einschätzen zu können. Doch noch viel genauer kennt er die Nöte der eigenen Partei, die in den Umfragen bei vier Prozent dümpelt, in der der Frust über die Ampel wie das Bedürfnis nach einem Befreiungsschlag groß ist.

Die potenzielle Unruhe innerhalb der FDP ist kaum zu unterschätzen. Schon die Mitgliederbefragung zum Jahreswechsel zeigte, wie groß der Unmut über das Regieren mit SPD und Grünen ist. Sollte die FDP bei der Europawahl im Juni bei unter fünf Prozent landen, dürften die Fliehkräfte abermals zunehmen. Im September stehen der FDP im Osten drei heftige Wahlschlappen ins Haus.

Nach all den Rufen der FDP nach einem Kurswechsel müssen die Liberalen nun in der ungeliebten Ampel-Koalition signifikante Erfolge erreichen. Ein maues Wachstumschancengesetz II wird kaum genügen, um den Ankündigungen der FDP-Spitze und den Anforderungen der eigenen Basis gerecht zu werden. Lindner kann es sich, nachdem er nun als Tiger gesprungen ist, nicht leisten, als Bettvorleger zu landen.

Gewiss, viele Gründe sprechen gegen einen Ausstieg der FDP aus der Ampel-Koalition. Die Bundesregierung ausgerechnet in der größten Krise Europas nach dem Zweiten Weltkrieg zu sprengen, würde der FDP als Flucht aus der Verantwortung ausgelegt. Sie müsste sich die Frage gefallen lassen, warum es sie in die Opposition zieht, wo sie doch angeblich Deutschland wirtschaftlich wieder fit machen wollte.

Das Image der FDP als unverlässliche Umfaller, wie nach dem Koalitionswechsel 1982, würde sich womöglich auf Jahre verfestigen. Ganz abgesehen davon: Würde ein Ampel-Exit der FDP garantieren, bei der Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden? Zumal wenn sie wieder „nicht regieren statt schlecht regieren“ will, sprich: lieber in der Opposition Papiere für den Papierkorb verfassen möchte? Schwarz-Gelb ist schließlich schon mathematisch eine Illusion.

Je länger der Kanzler die miese Lage schönredet, desto berechtigter ist die Frage, warum die FDP all das so lange mitmacht.

Zur Bewährungsprobe wird für die Liberalen der Haushalt 2025, für den die Finanzminister bis zu diesem Donnerstag ihre Sparvorschläge vorlegen sollen. Wenn Lindner, der übrigens bisher praktisch nie gespart hat, nach seinem „Wirtschaftswende“-Ruf kein erkennbar neuer Kurs bei der Haushaltspolitik mit SPD und Grünen gelingt, muss er eigentlich die Notbremse ziehen.

Je länger Deutschland wirtschaftlich stagniert, je länger der Kanzler die miese Lage schönredet, je länger die Koalition nur weiter wurschtelt, desto berechtigter ist die Frage, warum die FDP all das so lange mitmacht.

Wer ein Ampel-Aus heute für unwahrscheinlich bis unmöglich hält, wer viele, viele rationale Gründe auflistet, die gegen einen solchen Schritt der FDP sprechen, unterschätzt gegenläufige Kräfte. Die politische Stimmung ist volatil, Parteien können eine gewaltige Eigendynamik entfalten. Und Politik folgt nicht per se rationalen Maßstäben.

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FDP in der Lindner-Falle : Gut gebrüllt – und jetzt?

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28.04.2024

© dpa/Hannes P Albert

„Kein Weiter-so“ war die klare Botschaft aus dem FDP-Parteitag. Christian Lindner muss in der Ampel einen Kurswechsel durchsetzen. Wenn er das nicht schafft, muss er aus der Koalition aussteigen.

Heute, 13:54 Uhr

Die FDP hat sich festgelegt. Sie will einen anderen Kurs, nicht nur in ihrer eigenen Programmatik, sondern ebenso für die Regierungspolitik der Ampel-Koalition. „Kein Weiter-so“ lautet die Ansage der FDP angesichts der wirtschaftlichen Stagnation. So oder so ähnlich sagen es alle führenden Liberalen, so klingt die „Wirtschaftswende“.

Die „Wirtschaftswende“, also die zwölf Forderungen nach grundlegenden Reformen, um Deutschland wieder wachsend und wettbewerbsfähig zu machen, seien kein Projekt der Liberalen um ihrer selbst willen, sagte Christian Lindner am Wochenende auf dem FDP-Parteitag. Es sei „unverantwortlich“, wenn sich in Deutschland nichts ändere. Von einem „Agenda-Moment“ spricht FDP-Vize Johannes Vogel.

Das ist ein Auftrag an die eigene Regierung. Dabei ist kaum zu erwarten, dass SPD und Grüne bereit sein werden, die Rente mit 63 und den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, den Sozialetat für drei Jahre lang einzufrieren und das deutsche Lieferkettengesetz auszusetzen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat sein Festhalten an der Rente mit 63 nach den Tönen der FDP am........

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