Was waren das für Zeiten, als die Kandidaten des Euro­vision Song Contest (ESC) noch auf offenen Booten durch Rotterdam oder Belgrad schipperten und auf der Straße vor ihren Hotels Autogramme verteilten! Damals war noch etwas zu spüren von einem Wett­bewerb, in dem es zwar auch um Leistung und Konkurrenz ging, aber eben musikalisch, auf friedliche Art. Der „Grand Prix Eurovision de la Chanson“, wie er bis 2001 in Deutschland hieß, soll die Menschen schließlich zusammen­bringen – über alle Grenzen von Nation, Hautfarbe, Sprache, Geschlecht, Weltanschauung und Musik­geschmack hinweg.

Da ist es ein trauriges Zeichen für den Zustand Europas, dass ausgerechnet der ESC an diesem Samstag in Malmö zum Schauplatz einer politischen Auseinandersetzung wird. Am Donnerstag forderten etwa 10.000 Menschen unter Mitwirkung Greta Thunbergs den Ausschluss Israels vom Wettbewerb und skandierten teils antisemitische Parolen. Bei einer Veranstaltung, die Diversität feiert, gibt es immer politische Konflikte.

Aber Malmö ist ohne Beispiel: Die israelische Kandidatin Eden Golan muss um ihre Sicherheit fürchten und sich an un­bekanntem Ort aufhalten, eine öffentliche Partymeile wurde abgesagt, die Polizei in der an Konflikte gewöhnten südschwedischen Stadt holt Verstärkung aus Dänemark und Norwegen. Außer von Israel-Hassern geht auch von Antifa, Clankriminellen und ­Koran-Verbrennern Gefahr aus.

Die Politisierung der Universitäten macht es vor: Universalistische Anschauungen weichen der Durchsetzung von Partikularinteressen. Nicht einmal mehr an einem Samstag im Frühling kann man sich auf den minimalen Konsens eines friedlichen Fests einigen. Dabei liefern die so schön doppeldeutigen Worte Unterhaltung und Entspannung die besten Vor­lagen: Die leichte Muse muss man nicht für politischen Streit missbrauchen, wenn man sich entspannt unterhalten kann. Aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs wurde der völkerverbindende Abend geboren – da sollte er am Krieg nicht scheitern.

QOSHE - Der ESC ist politisch unter Druck – muss das sein? - Alfons Kaiser
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Der ESC ist politisch unter Druck – muss das sein?

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10.05.2024

Was waren das für Zeiten, als die Kandidaten des Euro­vision Song Contest (ESC) noch auf offenen Booten durch Rotterdam oder Belgrad schipperten und auf der Straße vor ihren Hotels Autogramme verteilten! Damals war noch etwas zu spüren von einem Wett­bewerb, in dem es zwar auch um Leistung und Konkurrenz ging, aber eben musikalisch, auf friedliche Art. Der „Grand Prix Eurovision de la Chanson“, wie er bis 2001 in Deutschland hieß, soll die Menschen schließlich zusammen­bringen – über........

© Frankfurter Allgemeine


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