Gewalt liegt in der Luft. Das tut sie allerdings schon seit Jahren. Was angesichts einer auffälligen Häufung zu Beginn der Wahlkampfsaison beklagt wird, ist hinlänglich bekannt. Der Mord an Walter Lübcke steht dafür, aber auch regelmäßige Angriffe auf Kommunalpolitiker. Es gab immer – auch in der Bundesrepublik – Zeiten, da sich Parteimitglieder verprügelt, vor Plakatwänden die Eimer mit Kleister über die Köpfe gestülpt und gegenseitig zum Teufel gewünscht haben. Der Unterschied zu heute: Nach den Erfahrungen von Weimar und NS-Diktatur konnte man sich meist wieder die Hand geben und sprach sich nicht gegenseitig das Recht ab, Demokrat zu sein.

Dennoch: Den „Geruch von Weimar“, den Winfried Kretschmann gerochen haben will, verbreitet die Gewaltwelle, die wir erleben, (noch) nicht. Außer Äußerlichkeiten sind kaum Parallelen zu erkennen, selbst wenn man die fließenden Grenzen zwischen Staatsstreichplänen von „Reichsbürgern“ und Hasstiraden von Rechtspopulisten berücksichtigt. Der wichtigste Kontrast sind, wie jetzt in Dresden und Berlin, die schnellen und erfolgreichen Ermittlungen der Polizei, die eindeutigen Reaktionen der öffentlichen Meinung, ist der Schreck, der allen vernünftigen Parteien und Regierungen in die Glieder fährt.

Was so streng riecht, ist etwas anderes: die Ratlosigkeit, wie statt Symptomen endlich Ursachen bekämpft werden könnten. Schluss mit Phrasen und Sprüchen, heißt jetzt die Devise. Aber es kommen dann eben doch nur wieder: Phrasen und Sprüche. Auch diese haben dazu geführt, dass viel zu lange an der bequemen Vorstellung festgehalten wurde, der Alltagsextremismus stecke sozusagen im deutschen Gen und sei am digitalen Stammtisch wieder aus dem fruchtbaren Schoß gekrochen. Das ersparte es den darüber Entsetzten jahrelang, sich an die eigene Nase zu fassen.

Die Ursachen liegen in der Unfähigkeit, auf die Themen einzugehen, die Unzufriedenheit (bei einigen) zur Gewaltbereitschaft treibt. Sie stößt auf die Schläue unter Radikalen, daraus politisches Kapital zu schlagen. Kursänderungen und neue Prioritätensetzungen bleiben aus, weil sie als Opportunismus und als Entschuldigung von Extremismus missverstanden werden könnten. Eine Demokratie steuert auf diese Weise aber in die Sackgasse eines Freund-Feind-Denkens, in der keine Gemeinschaft mehr zu erkennen ist. Es bleibt nur noch das Strafrecht als Politikersatz.

Dieser Irrweg äußerte sich nicht zuletzt darin, wie die Gewalt gegen Politiker und Parteien in Deutschland eingeordnet wird. Seit 2019, dem Beginn aussagekräftiger Erhebungen, ist die AfD das bevorzugte Ziel von Gewalt. Angriffe gegen Politiker, Wahlplakate und Parteibüros – die AfD ist seit Jahren Opfer linker Gewalt. Erst 2022 änderte sich das Bild. Die Grünen wurden nun ähnlich oft angegriffen wie die AfD. Zitiert wurde diese traurige Statistik, die nicht irgendwer, sondern die Bundesregierung vorgelegt hat (auf Initiative der AfD), erst in dem Moment, als in Sachsen ein SPD-Politiker krankenhausreif geschlagen wurde und als sich Angriffe auf Grünen-Politiker häuften.

Innenministerin Nancy Faeser machte daraufhin den Schutz vor ­Gewalt zu einem Privileg „demokratischer Kräfte“. Nach einem Sprachgebrauch, der allen Beteuerungen zuwiderläuft, es gehe in der Demokratie um gesellschaftlichen Zusammenhalt, gehören AfD-Politiker nicht dazu. Erst später ruderte Faeser zurück: Selbstverständlich seien auch Angriffe gegen die AfD nicht hinnehmbar.

Man kann das als lässliche Ungerechtigkeit herunterspielen, dass hier zwischen Gewalt erster Klasse (gegen „Demokraten“), und zweiter Klasse (gegen „Demokratiefeinde“) unterschieden wird. Die Zweiklassengewalt signalisiert aber ungewollt oder gewollt, dass die AfD es eigentlich nicht anders verdient habe. Denn, so auch jetzt die Quintessenz der Verrohungsanalysen, sie sei schließlich der Herd des Übels.

Da ist ja auch etwas dran. Die verbale Radikalität der AfD-Schnauze wirkt wie eine Enthemmungsdroge. Nicht ganz klar ist, ob die AfD damit nur füttert, was schon immer in Köpfen politikunfähiger Tölpel über die Welt der Politik und Politiker herumschwirrte („alles unfähige Idioten“, „eine einzige korrupte Mafia“, „alle an die Wand stellen“). Oder ob die AfD durch ihre Agitation dazu beitrug, dass aus passiven Wutbürgern erst aufgestachelte Politikverächter und dann gewaltbereite Verschwörungstheoretiker wurden.

Entscheidend ist etwas anderes. Indem die gegen die AfD gerichtete Gewalt relativiert wird, begehen deren Gegner genau den Fehler, der das Gift der Gewalt in die demokratische Kultur sickern lässt. Sie bagatellisieren und legitimieren Gewaltbereitschaft, weil die sich gegen angebliche oder tatsächliche Feinde der Verfassung richtet. Warum aber sollten Gegner einer liberalen Ordnung von Gewalt abgehalten werden, wenn deren Stützen ein Auge zudrücken, weil es die „Richtigen“ trifft?

QOSHE - Das Übel der Zweiklassengewalt - Jasper Von Altenbockum
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Das Übel der Zweiklassengewalt

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11.05.2024

Gewalt liegt in der Luft. Das tut sie allerdings schon seit Jahren. Was angesichts einer auffälligen Häufung zu Beginn der Wahlkampfsaison beklagt wird, ist hinlänglich bekannt. Der Mord an Walter Lübcke steht dafür, aber auch regelmäßige Angriffe auf Kommunalpolitiker. Es gab immer – auch in der Bundesrepublik – Zeiten, da sich Parteimitglieder verprügelt, vor Plakatwänden die Eimer mit Kleister über die Köpfe gestülpt und gegenseitig zum Teufel gewünscht haben. Der Unterschied zu heute: Nach den Erfahrungen von Weimar und NS-Diktatur konnte man sich meist wieder die Hand geben und sprach sich nicht gegenseitig das Recht ab, Demokrat zu sein.

Dennoch: Den „Geruch von Weimar“, den Winfried Kretschmann gerochen haben will, verbreitet die Gewaltwelle, die wir erleben, (noch) nicht. Außer Äußerlichkeiten sind kaum Parallelen zu erkennen, selbst wenn man die fließenden Grenzen zwischen Staatsstreichplänen von „Reichsbürgern“ und Hasstiraden von Rechtspopulisten berücksichtigt. Der wichtigste Kontrast sind, wie jetzt in Dresden und Berlin, die schnellen und erfolgreichen Ermittlungen der Polizei, die eindeutigen Reaktionen der öffentlichen Meinung, ist der Schreck, der allen........

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