An diesem Montag wird das Oberverwaltungsgericht Münster ein wichtiges Urteil verkünden. Es wird entscheiden, ob die AfD vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ eingestuft werden durfte. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wartet schon länger auf dieses Urteil. Wenn das Gericht den „Verdachtsfall“ genehmigt, lautet die Erwartung in Sicherheitskreisen, dass das Bundesamt in nächster Zeit die AfD bundesweit als „gesichert rechtsextrem“ einstuft. Die AfD wäre dann nicht mehr vielleicht verfassungsfeindlich, sondern ganz sicher. Sie hätte es amtlich, auf einer Stufe mit der NPD zu stehen.

Diese ganze Bürokratie ist natürlich sehr deutsch. Wahrscheinlich gibt es kaum ein Land, das seine Extremisten so akkurat verwaltet. Jeder Spinnerverein bekommt einige Beamte, eine Materialsammlung und ein Bearbeitungsverfahren zur Seite gestellt. Mit behördlichem Stempel wird entschieden, welche Meinung noch legitim und welche schon staatsgefährdend ist. Damit sind auch Hoffnungen verbunden.

In großer Ehrfurcht vor bürokratischen Prozessen denken wir, ein Behördenbescheid könnte die politischen Realitäten verändern. In anderen Ländern ist das unvorstellbar, wohl auch, weil es dort weniger Grund gibt, dem Urteil von Beamten zu vertrauen. In Deutschland aber sind selbst AfD-Politiker beeindruckt. Sie tönen immer, der Verfassungsschutz sei politisiert, aber das amtliche Etikett „gesichert rechtsextrem“ ist ihnen trotzdem unangenehm.

Leider ist es mit den Zauberwörtern nicht wie im Märchen. Man kann mit ihnen keinen Bann lösen, keinen Fluch vertreiben, keine Schlafenden aufwecken. Die Erfahrung aus Bundesländern, in denen die AfD schon als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wurde, lautete, dass es den AfD-Wählern egal war. Es gibt schon lange kein Missverständnis mehr zwischen den Wählern und den Gewählten der Partei. Wer mit Anhängern spricht, hört eher Ideen, die weit über das hinausgehen, was die AfD offiziell fordert. Ihre Anhänger sind also keine Hypnotisierten, denen vorgegaukelt wurde, es gehe um Salonkonservativismus. Sie wollen, dass jemand etwas gegen Ausländer, Muslime und Linke macht, ganz konkret und radikal. Aber wo kein Missverständnis besteht, kann der Verfassungsschutz auch keines aufklären.

Den eigentlichen Denkfehler begehen die anderen, die AfD-Gegner. Sie möchten die Auseinandersetzung an den Verfassungsschutz delegieren. Die Behörde soll als neutraler Schiedsrichter auftreten und die AfD verdammen. Theoretisch könnte der Verfassungsschutz diese Rolle spielen, denn seine Einstufungen sind gerichtlich überprüfbar, und er hat der AfD immer die Chance gelassen, ihr Ex­tremismusproblem anzugehen.

Praktisch aber funktioniert das nicht mehr. Mit der Autorität des Verfassungsschutzes wurde so oft argumentiert, dass sie sich abgenutzt hat. Daran sind Menschen, die sich hinter dem Verfassungsschutz versteckt haben, nicht ganz unschuldig. Es hatte etwas Entlastendes, in der Konfrontation mit AfD-Anhängern zu sagen, der Verfassungsschutz sei dieser oder jener Meinung. Man kann die Aus­einandersetzung mit Populisten, die den Staat für korrupt halten, aber nicht dem Staat überlassen. Das schürt nur das Misstrauen. Die viel mächtigeren Verfassungsschützer sind die Wähler selbst. Sie brauchen keine Verdachtsfallbearbeitung zu machen und keine Materialsammlung anzulegen. Es reicht, wenn sie einfach ihre Meinung sagen. Als das Volk, das die Populisten vorgeben zu vertreten.

QOSHE - Den Streit mit der AfD darf man nicht Beamten überlassen - Justus Bender
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Den Streit mit der AfD darf man nicht Beamten überlassen

39 10
13.05.2024

An diesem Montag wird das Oberverwaltungsgericht Münster ein wichtiges Urteil verkünden. Es wird entscheiden, ob die AfD vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ eingestuft werden durfte. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wartet schon länger auf dieses Urteil. Wenn das Gericht den „Verdachtsfall“ genehmigt, lautet die Erwartung in Sicherheitskreisen, dass das Bundesamt in nächster Zeit die AfD bundesweit als „gesichert rechtsextrem“ einstuft. Die AfD wäre dann nicht mehr vielleicht verfassungsfeindlich, sondern ganz sicher. Sie hätte es amtlich, auf einer Stufe mit der NPD zu stehen.

Diese ganze Bürokratie ist natürlich sehr deutsch. Wahrscheinlich gibt es kaum ein Land, das seine Extremisten so akkurat verwaltet. Jeder Spinnerverein bekommt einige Beamte, eine Materialsammlung und ein Bearbeitungsverfahren zur Seite gestellt.........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play