Was wäre möglich gewesen, wenn sich Isaak auf eine richtige Inszenierung eingelassen hätte? So begeisterte er nur mit seiner Stimme und fast auch nur die Juroren, die erkannten, was in dem Neunundzwanzigjährigen steckt. 99 Punkte bekam er von Jurys aus immerhin 23 Ländern, 37 nahmen insgesamt am Eurovision Song Contest (ESC) teil. Die höchste Punktzahl gab es aus Israel: zehn Punkte. Zweimal acht aus Frankreich und Belgien und sieben aus der Ukraine. Aus Österreich und der Schweiz kam nichts, die deutschen Juroren gaben Nemo aus der Schweiz sieben Punkte.

Ausgerechnet der Straßenmusikant Isaak konnte die Zuschauer dagegen wenig begeistern, nur 18 Punkte gingen auf sein Konto, davon vier aus Österreich und drei aus der Schweiz. Das hatte auch damit zu tun, dass der Deutsche eher steif zwischen einigen brennenden Elementen agierte. In Zeiten von Reels und Tiktok erwartet auch das ESC-Publikum inzwischen mehr. Wenn auch nicht zu viel: Als Einziger bekam Olly Alexander aus dem Vereinigten Königreich null Punkte beim Tele-Voting (46 von den Jurys).

Er wollte den „schwulsten“ Auftritt jemals bei einem ESC auf die Bühne bringen, und das tat er auch. Was ihm augenscheinlich schadete. Der ESC ist also ganz gewiss keine „homosexuelle Welt“, wie Lynda Woodruff als vermeintliche Sprecherin der Europäischen Rundfunkunion während der Show in der Malmö-Arena sang. Hinter der fiktiven Figur steckt die schwedische Komikerin Sarah Dawn Finer.

Doch wenigstens ein schlüssiges Konzept sollte man haben, wenn man zum ESC fährt. Und daran hapert es bei Deutschland seit Jahren. Die Künstler bewerben sich und kommen mit einem Lied zum Vorentscheid, erst danach beginnt der Sieger, sich Gedanken über den Auftritt zu machen. Das ist meist zu knapp und zu spät, vor allem wenn man sich nicht intensiv darauf einlässt. Der ESC ist kein reiner Gesangswettbewerb mehr, was man bedauern kann, aber man muss sich den neuen Gegebenheiten stellen, wenn man eine Chance auf einen Platz weit vorne haben will.

Externer Inhalt von Opinary

Um externe Inhalte anzuzeigen, ist Ihre widerrufliche Zustimmung nötig. Dabei können personenbezogene Daten von Drittplattformen (ggf. USA) verarbeitet werden. Weitere Informationen .

Alle elf Künstler vor Isaak hatten eine Inszenierung, die beim Publikum viel besser ankam als sein Auftritt. Am schlechtesten schnitten noch die beiden Norweger Marcus & Martinus für Schweden ab – mit 49 Punkten. Der NDR als für den ESC zuständiger Sender täte gut daran, sich jetzt nicht auf dem zwölften Platz auszuruhen.

Auch die Quote war mit knapp acht Millionen Zuschauern in Deutschland nicht schlecht, das Interesse bei jungen Leuten unter 50 Jahren besonders groß. Doch im Vergleich zu anderen Ländern ist es immer noch gering, weil zu wenig für den ESC getan wird. Die Halbfinale gehören ebenfalls ins Erste und nicht ins Spartenprogramm One, wo sie nur 680.000 und 660.000 Zuschauer hatten.

Vielleicht ist es Isaaks Verdienst, wenigstens etwas Begeisterung für diesen Wettbewerb geweckt zu haben, der gerade in diesen Zeiten so wertvoll ist, der für europäische Werte eintritt wie keine andere Veranstaltung dieser Größe – mit so vielen Zuschauern in aller Welt.

QOSHE - Nicht auf dem zwölften Platz ausruhen! - Peter-Philipp Schmitt
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Nicht auf dem zwölften Platz ausruhen!

42 4
12.05.2024

Was wäre möglich gewesen, wenn sich Isaak auf eine richtige Inszenierung eingelassen hätte? So begeisterte er nur mit seiner Stimme und fast auch nur die Juroren, die erkannten, was in dem Neunundzwanzigjährigen steckt. 99 Punkte bekam er von Jurys aus immerhin 23 Ländern, 37 nahmen insgesamt am Eurovision Song Contest (ESC) teil. Die höchste Punktzahl gab es aus Israel: zehn Punkte. Zweimal acht aus Frankreich und Belgien und sieben aus der Ukraine. Aus Österreich und der Schweiz kam nichts, die deutschen Juroren gaben Nemo aus der Schweiz sieben Punkte.

Ausgerechnet der Straßenmusikant Isaak konnte die Zuschauer dagegen wenig begeistern, nur 18 Punkte gingen auf sein Konto, davon vier aus Österreich und drei aus der Schweiz. Das hatte auch damit zu tun, dass der Deutsche eher steif........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play