Stand: 07.05.2024, 03:00 Uhr

Von: Christine Dankbar

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Der CDU-Chef Friedrich Merz wird wohl auch Kanzlerkandidat, was der Partei Probleme bescheren könnte. Der Leitartikel.

Eine Stunde und zwanzig Minuten dauerte die Rede des CDU-Chefs Friedrich Merz beim Bundesparteitag. Und vielen mag sie sogar länger vorgekommen sein. Denn es war harter Stoff, den der Parteichef den Delegierten zumutete – bis hin zu einem Schwenk zum Philosophen Karl Popper. Die stellvertretende Parteivorsitzende Julia Klöckner bezeichnete sie in einem Interview gleich nach dem Ende des immerhin zehnminütigen Applauses tapfer als „staatstragend“.

Die Eigenschaft „staatstragend“ bei Reden in der Politik ist die kleine Schwester von „langweilig“. Der CDU-Vorsitzende hat die Delegierten des ersten großen Parteitages seit zwei Jahren also mit einer eher langweiligen Rede bedacht. Die Frage ist, ob er das absichtlich getan oder zu viel gewollt und dadurch dem Erwartungsdruck eher nicht standgehalten hat. Beides ist denkbar – und genau das ist das größte Problem von und mit Friedrich Merz. Er ist unberechenbar.

Beim Bundesparteitag der CDU 2018 in Hamburg hat Merz mit einer, nun ja, staatstragenden Rede seine Chancen auf die Wahl zum Parteichef in den Sand gesetzt. Damals gewann Annegret Kramp-Karrenbauer. In Berlin im Mai 2024 könnte es aber sein Kalkül gewesen sein, um die Partei weiter zu einen. Dafür spricht, dass er in den gesamten 80 Minuten inhaltlich und sprachlich eher versöhnlich auftrat.

Er lobte nicht nur Boris Rhein, sondern auch seine innerparteilichen Gegner Daniel Günther und Hendrik Wüst für ihre Wahlsiege, erwähnte siegreiche Kandidaten der Basis namentlich und bedankte sich für die Arbeit am Grundsatzprogramm bei Mario Voigt und Serap Güler. Letztere hatte er vor Monaten noch für ihre Unbotmäßigkeit vor aller Augen im Bundestag heruntergeputzt. Am Montag aber stand im Neuköllner Hotel alles auf Harmonie.

Kommentar: Die CDU muss sich bewegen

Inhaltlich sprang kein Funke über – wie sollte er auch bei Sätzen wie „So viele Gesetze wie nötig, so viel Freiheit wie möglich“? Doch die 1001 Delegierten begriffen genau, um was es an diesen ersten von drei Tagen gehen sollte: Einigkeit demonstrieren, denn nur so kommt man zurück ins Kanzleramt. Und so bedachten sie ihren sichtlich gerührten Vorsitzenden mit langem und rhythmischen Beifall, der am Schluss sogar noch in ein paar wenn auch vereinzelte Bravorufe mündete.

Wofür die Partei steht, erfährt die politisch interessierte Öffentlichkeit von Dienstag an, wenn das Grundsatzprogramm verabschiedet, aber vorher noch mal über Wehrpflicht und die Frage diskutiert wird, wie viel Islam zu Deutschland gehört. Dann wird es vermutlich etwas konkreter werden als bei der Rede des Vorsitzenden zum Auftakt. Doch die CDU ist keine Programmpartei. Das derzeit gültige Grundsatzprogramm ist immerhin schon 17 Jahre alt und wird vor allem deshalb durch ein deutlich konservativeres ersetzt, weil man die Merkel-Jahre hinter sich lassen will.

Die Alt-Kanzlerin ist mittlerweile so etwas wie der Lord Voldemort der Partei, deren Name nicht genannt werden darf. Sie kam nicht zum Parteitag in Estrel. Natürlich nicht – die Entfremdung zwischen ihr und der CDU und vor allem zu Merz ist legendär und führt auch bei wohlmeinenden Parteifreunden (alle männlich) zu Kopfschütteln. Angela Merkel kann es egal sein, sie ist im politischen Ruhestand. Doch das Nicht-Verhältnis der beiden zeigt eine weitere Schwäche des mit 90 Prozent wiedergewählten Parteichefs Friedrich Merz. Er ist nicht nur unberechenbar, sondern auch dünnhäutig und nachtragend.

Die Frage ist: Sind das günstige Eigenschaften für einen Kanzlerkandidaten? Die CDU will die K-Frage zwar erst im Herbst, nach den Landtagswahlen in den drei ostdeutschen Bundesländern, klären. Doch klar ist: Sollte Friedrich Merz ein gutes Ergebnis bei seiner Wiederwahl als Parteivorsitzender einfahren, dürfte ihm die Kandidatur zumindest in der CDU kaum jemand streitig machen.

Das könnte den Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr zu einer spannenderen Sache machen, als der Partei lieb ist. Bundeskanzler Olaf Scholz wird mit Sicherheit nichts unversucht lassen, um Merz zu provozieren, wo er nur kann. Der SPD-Politiker ist geradezu schussfest, was Attacken gegen seine Person betrifft, kann aber selbst gut austeilen.

Selbst Markus Söder, den in seiner Selbstgefälligkeit so schnell nichts erschüttern kann, hat sich schon entnervt über Scholz’ „schlumpfiges Grinsen“ empört. Dem Oppositionsführer Friedrich Merz hat Scholz kürzlich im Bundestag erst genüsslich vorgeworfen, dass er wohl ein Glaskinn habe. Merz hat das übel genommen, wie man hört. Er wird sich auf mehr davon gefasst machen müssen. Ausgang: offen. (Christine Dankbar)

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Das Merz-Problem: Wirklich der richtige Kandidat?

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07.05.2024

Stand: 07.05.2024, 03:00 Uhr

Von: Christine Dankbar

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Der CDU-Chef Friedrich Merz wird wohl auch Kanzlerkandidat, was der Partei Probleme bescheren könnte. Der Leitartikel.

Eine Stunde und zwanzig Minuten dauerte die Rede des CDU-Chefs Friedrich Merz beim Bundesparteitag. Und vielen mag sie sogar länger vorgekommen sein. Denn es war harter Stoff, den der Parteichef den Delegierten zumutete – bis hin zu einem Schwenk zum Philosophen Karl Popper. Die stellvertretende Parteivorsitzende Julia Klöckner bezeichnete sie in einem Interview gleich nach dem Ende des immerhin zehnminütigen Applauses tapfer als „staatstragend“.

Die Eigenschaft „staatstragend“ bei Reden in der Politik ist die kleine Schwester von „langweilig“. Der CDU-Vorsitzende hat die Delegierten des ersten großen Parteitages seit zwei Jahren also mit einer eher langweiligen Rede bedacht. Die Frage ist, ob er das absichtlich getan oder zu viel gewollt und dadurch dem Erwartungsdruck eher nicht standgehalten hat. Beides ist denkbar – und genau das ist das größte Problem von und mit Friedrich Merz. Er ist unberechenbar.

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