Stand: 06.05.2024, 15:52 Uhr

Von: Michael Herl

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Meine Erfüllung waren drei Stunden in einer für mich fremden Welt, die mich fasziniert staunen ließ. Aber die meisten wollen im Autohaus nur ihr Auto reparieren lassen.

Eigentlich, liebe Leute von der Autofirma, könntet Ihr mir ja egal sein. Die von Euch hergestellten Produkte passen schon lange nicht mehr in mein Daseinsportfolio (sagt man doch so in Eurer Marketingabteilung, oder?), also geht es mir am Bobbes vorbei, wie ihr mit Euren Kunden umgeht.

Andererseits kann es mir auch nicht egal sein, denn ich habe eine Ahnung. Ihr seid womöglich von Greenpeace und bekämpft den Autowahn an seiner Wurzel, nämlich bei den Produzenten und deren Gefolgschaft. Sollte das so sein, wäre das genial. Aber der Reihe nach.

Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, aus Gründen der Gefälligkeit mich um ein mir nicht gehörendes Kraftfahrzeug zu kümmern, das unter einer Verkorksung litt. Der Hersteller hatte Mist gebaut und irgendein Teil, das nichts taugte, irgendwo hingebaut. Das sollte nun im Rahmen einer „Rückrufaktion“ ausgetauscht werden.

Ich rief also in dem zuständigen Autohaus an und erreichte im 173. Versuch eine sich für diese Angelegenheit kompetent erklärende Person. Ich sei nun daheim, sagte ich der Person, sie könne jemanden schicken, das Auto abzuholen.

Daraufhin erfuhr ich, dass das ja wohl ein Unding sei und man für so etwas keine Leute habe – oder wer das denn machen solle? Da ich das dortige Personal nicht näher kannte, sah ich mich außerstande, diese Frage zu beantworten und begab mich samt Kraftfahrzeug persönlich zu dem Autohaus.

Dort angekommen, betrat ich einen „Showroom“, in dem Menschen an Schreibtischen neben Autos saßen. Ich begriff nun, warum man niemanden abstellen konnte, um Kundenfahrzeuge abzuholen. Die Autos wurden nämlich von emsigen jungen Männern immerzu hin und her bewegt und gelegentlich auch zwischen zwei Schreibtischen rückwärts eingeparkt.

Ich vermute, dass man damit auf die Harmlosigkeit der Abgase hinweisen wollte. In der Tat davon beeindruckt, gab ich meinen Autoschlüssel ab, erfuhr, dass die Maßnahme am Mobil minimalinvasiv sei und „vielleicht eine Stunde“ in Anspruch nehme. Wohlan, dachte ich mir und begab mich zu einer Sitzgruppe.

Bei jener handelte es sich gewiss um sündhaft teure Designerfauteuils, denn man saß darin wie hingeschissen. Zwei Meter weiter stieß ich auf eine Maschine, die funktionierte und beachtlich hervorragenden Kaffee bereitete. Auch Wasser stand zur Verfügung, gekühlt und ungekühlt, mit Kohlensäure und ohne. Zum Ausgleich für den guten Kaffee hatte man daneben eine kleine Anlage aufgebaut, aus der in Endlosschleife etwas tönte, das man wohlwollend als miserable Kopie von Richard Clayderman bezeichnen könnte. Im übertragenen Sinn also so etwas wie Laminatimitat.

Aus der veranschlagten Stunde wurden dann drei. Im Gegenzug trank ich sieben Kaffee und fünf Fläschchen Wasser und sah mich damit ausreichend entschädigt. In einem innerstädtischen Szeneetablissement hätte ich dafür mit Trinkgeld etwa 55 Euro bezahlt. Das ergibt einen Stundenlohn von 27,50 Euro. Da kann man nicht meckern – vorausgesetzt, man bringt zu dem Termin eine gehörige Portion nahezu buddhistischen Langmut mit.

Mein Ziel war der Weg. Und meine Erfüllung waren die drei Stunden in einer für mich fremden Welt, die mich fasziniert staunen ließ. Aber die meisten wollen halt nur ihr Auto reparieren lassen.

Michael Herl ist Theatermacher und Autor.

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Buddhistischer Langmut

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06.05.2024

Stand: 06.05.2024, 15:52 Uhr

Von: Michael Herl

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Meine Erfüllung waren drei Stunden in einer für mich fremden Welt, die mich fasziniert staunen ließ. Aber die meisten wollen im Autohaus nur ihr Auto reparieren lassen.

Eigentlich, liebe Leute von der Autofirma, könntet Ihr mir ja egal sein. Die von Euch hergestellten Produkte passen schon lange nicht mehr in mein Daseinsportfolio (sagt man doch so in Eurer Marketingabteilung, oder?), also geht es mir am Bobbes vorbei, wie ihr mit Euren Kunden umgeht.

Andererseits kann es mir auch nicht egal sein, denn ich habe eine Ahnung. Ihr seid womöglich von Greenpeace und bekämpft den Autowahn an seiner Wurzel, nämlich bei den Produzenten und deren Gefolgschaft. Sollte das so sein, wäre das genial. Aber der Reihe nach.

Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, aus........

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