Artikel vom 10.05.2024

Bundesinnenministerin wurde wegen ihrer Alleingänge von Unions-Kollegen scharf gerügt: "Tönt bloß in der Öffentlichkeit herum". Reaktionen auf den brutalen Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Ecke in Dresden

Schwerer Eklat auf Ministerebene: Nach dem Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden hat es während der Sondersitzung der Innenministerkonferenz (IMK) erheblichen Streit gegeben. Wie die "Welt am Sonntag" (WamS) berichtet, sah sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gezwungen, eine geplante Pressekonferenz und eine Pressemitteilung zurückzuziehen, nachdem diese auf Kritik stießen. Mitarbeiter im Bundesinnenministerium, dem Ressort von Faeser, äußerten: „Das hat es noch nie gegeben.“

Ecke, der dem Europäischen Parlament angehört, war am Freitag voriger Woche (3. Mai) nachts beim Plakatieren von Wahlwerbung im Stadtteil Driesen von vier jungen Männern angegriffen und zusammengeschlagen worden. Der 41-Jährige musste im Krankenhaus wegen eines gebrochenen Jochbeins operiert worden. Ein 17-Jähriger aus Dresden hatte sich in der folgenden Nacht in Begleitung seiner Mutter bei der Polizei gestellt. Auch drei weitere Schläger wurden inzwischen ermittelt. Derzeit werden konkrete Hinweise geprüft, dass einige oder sämtliche Täter zum rechtsextremen Lager gehören.

Faeser hatte daraufhin Maßnahmen zum Schutz von Politikern angekündigt. Das geriet der Sozialdemokratin allerdings zu einem irritierenden Alleingang. Mehrere Unions-Innenminister hätten sich „richtig verärgert“ über dieses Verhalten von Faeser gezeigt. Daher habe es für die Ressortchefin intern einen schweren Rüffel gegeben, so „WamS“. Die Kritik kam vor allem von den Unions-Innenministern, die sich über Faesers Alleingang bei der IMK beschwerten und die Bundesinnenministerin deutlich rügten, wie aus übereinstimmenden Berichten der Konferenzteilnehmer berichtet wurde. Ein CDU-Innenminister bemängelte, Faeser würde nur öffentlich Stellung beziehen, ohne tatsächlich zum Schutz von Politikern beizutragen. „Frau Faeser tönt bloß in der Öffentlichkeit herum, trägt aber selbst nichts zum Schutz von Politikern bei“, zitiert „WamS“ einen namentlich nicht genannten CDU-Innenminister. Die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen, wie eine erhöhte Polizeipräsenz bei Wahlkampfständen und Veranstaltungen, seien laut diesem Ministerkollegen unzureichend und gingen am Ziel vorbei, da direkte Gewaltattacken gegen Politiker relativ selten seien. Viel häufiger würden Wahlkampfplakate zerstört oder abgerissen. Das geschieht erfahrungsgemäß allerdings eher nachts und vergleichsweise selten auf Marktplätzen, wo die Parteien ihre Stände aufgebaut haben.

Faesers Ankündigungen, unter anderem das Meldegesetz zu verändern, damit Adressen von Kommunalpolitikern besser geschützt würden, und im Waffenrecht die Entwaffnung von Extremisten zu erleichtern, war schon zuvor auf erkennbare Skepsis gestoßen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte gesagbt: „Auch bei uns in Bayern mussten wir in den letzten Jahren einen Anstieg der Straftaten zum Nachteil von Mandatsträgern feststellen.“ Die allermeisten davon seien jedoch „Beleidigungsdelikte“ gewesen. Wichtiger als die Verschärfung von Gesetzen sei, dass die Justiz die vorhandenen Regelungen voll ausschöpfe. Im Bundesrat sollten zudem zwei entsprechende Initiativen von Bayern und Sachsen beraten werden.

Der geplante öffentliche Auftritt von Faeser wurde aufgrund der Kritik abgesagt, es kam zu einer Korrektur. Eigentlich sollte die Pressekonferenz zusammen mit Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) im Hamburger Rathaus stattfinden. In der ursprünglichen Einladung hatte es geheißen, nach der Videokonferenz der 16 Landesinnenminister zu dem Fall Ecke würden Faeser und Grote „die Ergebnisse im Rahmen eines Statements einordnen“.

Stattdessen wurde daraus eine Online-Pressekonferenz mit digitalem Zugangscode. Auf ihr sprachen der IMK-Vorsitzende, Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU), und Herrmann als Sprecher der Unions-Innenminister, wie die "Welt" berichtete. Die Einladung ins Rathaus in der City, zunächst ausgesprochen von der Hamburger Innenbehörde, wurde kurzfristig geändert, um „gemeinsam über die Ergebnisse der Sonder-IMK“ zu informieren, wurde erklärt. Der Titel der Einladung an die Vertreter der Presse lautete nun ganz anders: „!!! Achtung Formatänderung !!! Gemeinsame Statements nach Sonder-IMK.“ Und statt für 19.15 Uhr, wie es Faeser und Grote geplant hatten, fand die Pressebegegnung nun eine Viertelstunde später statt, so "WamS".

Der Angriff auf Ecke war besonders brutal, aber es handelte sich um keinen Einzelfall. In dichter zeitlicher Nähe zu dieser Gewalttat wurde auch aus Essen ein Angriff auf einen Politiker gemeldet. Die Täter, die den Grünen Rolf Fliß und den ihn begleitenden Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring beleidigten ("Ihr grünen Faschos") und Fliß Schläge "mit der flachen Hand gegen den Hals und die Stirn« versetzten, wurden laut "Bild" als arabischstämmig ("südländischer Phänotyp") beschrieben. Fliß, dritter Bürgermeister der Stadt Essen, wurde vor Ort medizinisch behandelt, musste aber nicht ins Krankenhaus.

Grüne sind ausgesprochen häufig Opfer gewaltsamer Angriffe ­– noch häufiger treffen derartige Taten allerdings Mitglieder und Wahlkämpfer der AfD. Das ergibt sich aus Zahlen für das Jahr 2023. Da wurden im ersten Halbjahr jeden Monat mehr als 100 politisch motivierte Straftaten bundesweit gegen Mtglieder und Büros deutscher Parteien erfasst. Über ein Drittel dieser Fälle richten sich gegen die Grünen. Von Körperverletzungsdelikten war hingegen am häufigsten die AfD betroffen. Die Zahlen beruhten auf der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion, über die seinerzeit "Welt" berichtete.

Die Landeskriminalämter der Bundesländer hätten für diesen Zeitraum 349 Körperverletzungs-, Eigentums-, Bedrohungs-, Beleidigungs- und Verleumdungsdelikte gegen Politiker und Parteimitglieder erfasst. Mit 96 Vorfällen waren am häufigsten Mitglieder der Grünen von diesen Delikten betroffen, gefolgt von Mitgliedern der AfD mit 82 Vorfällen. Die Straftaten richteten sich häufig gegen Kommunalpolitiker und lokale Wahlkampfhelfer.

Hingegen waren AfD-Mitglieder zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2023 nach dieser Regierungsantwort am häufigsten von Körperverletzungs- und Eigentumsdelikten betroffen. Von 24 gemeldeten Körperverletzungen betrafen 19 AfD-Mitglieder. In 14 Fällen handelte es sich um Körperverletzung und fünfmal um gefährliche Körperverletzung. Von drei Delikten dieser Art waren Mitglieder der Partei Die Linke betroffen, dabei ging es zweimal um Körperverletzung und einmal um gefährliche Körperverletzung. Zweimal waren Grünen-Mitglieder die Opfer, jeweils einmal in Form von Körperverletzung und von gefährlicher Körperverletzung. Auch Versuche fallen unter diese Auflistung, so der "Welt"-Artikel.

Diese Daten bestätigen frühere Erhebungen. So hatte die Bundesregierung 2019 in ihrer Antwort (19/10403) auf eine ähnliche Kleine Anfrage der AfD-Fraktion (19/9862) mitgeteilt, im ersten Quartal 2019 seien 217 Straftaten gemeldet worden, die sich gegen Repräsentanten oder Mandatsträger von Parteien richteten. 114 dieser Straftaten, also etwas mehr als die Hälfte, wurden seinerzeit laut den Parlamentsnachrichten des Deutschen Bundestags gegen Mitglieder oder Mandatsträger der AfD verübt. 21 Straftaten betrafen Repräsentanten oder Mandatsträger der SPD, 19 der Grünen, 16 der Unionsparteien, und neun Politiker der Linken. Hinzu kamen vier Straftaten, die Repräsentanten oder Mandatsträgern anderer Parteien zugeordnet wurden.

Opfer des schlimmsten Falls von politischer Gewalt in jüngerer Zeit wurde in jenem Jahr 2019 allerdings der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke. Der CDU-Politiker wurde am 1. Juni in der Stadt Wolfenhagen von einem inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilten Rechtsextremisten erschossen. Lübcke war zum Ziel des Täters geworden, weil er die Flüchtlingspolitiker der damaligen Bundesregierung öffentlich verteidigt und für "Weltoffenheit" geworben hatte.

QOSHE - Blamage für Nancy Faeser: Pressestatement zum Fall Ecke abgesagt - Olaf Hürtgen
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Blamage für Nancy Faeser: Pressestatement zum Fall Ecke abgesagt

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10.05.2024

Artikel vom 10.05.2024

Bundesinnenministerin wurde wegen ihrer Alleingänge von Unions-Kollegen scharf gerügt: "Tönt bloß in der Öffentlichkeit herum". Reaktionen auf den brutalen Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Ecke in Dresden

Schwerer Eklat auf Ministerebene: Nach dem Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden hat es während der Sondersitzung der Innenministerkonferenz (IMK) erheblichen Streit gegeben. Wie die "Welt am Sonntag" (WamS) berichtet, sah sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gezwungen, eine geplante Pressekonferenz und eine Pressemitteilung zurückzuziehen, nachdem diese auf Kritik stießen. Mitarbeiter im Bundesinnenministerium, dem Ressort von Faeser, äußerten: „Das hat es noch nie gegeben.“

Ecke, der dem Europäischen Parlament angehört, war am Freitag voriger Woche (3. Mai) nachts beim Plakatieren von Wahlwerbung im Stadtteil Driesen von vier jungen Männern angegriffen und zusammengeschlagen worden. Der 41-Jährige musste im Krankenhaus wegen eines gebrochenen Jochbeins operiert worden. Ein 17-Jähriger aus Dresden hatte sich in der folgenden Nacht in Begleitung seiner Mutter bei der Polizei gestellt. Auch drei weitere Schläger wurden inzwischen ermittelt. Derzeit werden konkrete Hinweise geprüft, dass einige oder sämtliche Täter zum rechtsextremen Lager gehören.

Faeser hatte daraufhin Maßnahmen zum Schutz von Politikern angekündigt. Das geriet der Sozialdemokratin allerdings zu einem irritierenden Alleingang. Mehrere Unions-Innenminister hätten sich „richtig verärgert“ über dieses Verhalten von Faeser gezeigt. Daher habe es für die Ressortchefin intern einen schweren Rüffel gegeben, so „WamS“. Die Kritik kam vor allem von den Unions-Innenministern, die sich über Faesers Alleingang bei der IMK beschwerten und die Bundesinnenministerin deutlich rügten, wie aus übereinstimmenden Berichten der Konferenzteilnehmer berichtet wurde. Ein CDU-Innenminister bemängelte, Faeser würde nur öffentlich Stellung beziehen, ohne tatsächlich zum........

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