Artikel vom 11.05.2024

Wie sollen wir mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine umgehen? Sollen sie weiterhin sofort Bürgergeld beziehen oder zunächst wie Asylbewerber behandelt werden? Ein Gespräch mit einem Familienvater, aufgezeichnet von Oliver Stock.

Zuallererst möchte ich Deutschland und allen Deutschen dafür danken, dass sie mir und meiner Familie Schutz vor dem schrecklichen Krieg gewähren, den Russland mit seinen imperialistischen Ansichten begonnen hat.

Ich bin 40 Jahre alt. Vor eineinhalb Jahren war ich gezwungen, mit meiner Familie die Ukraine zu verlassen. Es war eine schwierige Entscheidung, denn wir mussten alles zurücklassen und gehörten zu den Millionen von Ukrainern, die auf der Suche nach einem sicheren Ort für ihre Kinder ins Ausland gingen.

Die meisten Menschen, die in der Ukraine leben, haben nur ein geringes Einkommen, das kaum ausreicht, um die Fixkosten zu bezahlen und Lebensmittel zu kaufen. Mein Gehalt in der Ukraine betrug zum Beispiel 200 Euro. Fast die Hälfte meines Einkommens musste ich für die Miete aufwenden. Der Rest war für den Lebensunterhalt notwendig. Deshalb sind die Menschen ständig auf der Suche nach einer besseren Arbeit oder einer zusätzlichen Verdienstmöglichkeit. Da wir in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Russland lebten, bekamen wir die „russische Welt" von den ersten Tagen an in Form von Soldaten, Panzern, Flugzeugen und Raketen zu spüren. Jeden Tag wurden wir, die Menschen, die Häuser, die Straßen von russischem Gebiet aus beschossen. Irgendwann verschwinden die Dörfer und Städte und Menschen dann einfach von der Erde.

Meine Tochter hat Diabetes Typ 1 und ist insulinabhängig. Als die Probleme mit der Insulinversorgung in unserer Stadt begannen, blieb keine Zeit zum Nachdenken. Wir beschlossen sofort, ins Ausland zu gehen. Ich bin von Beruf Lehrer und habe einen Universitätsabschluss. Als ich mein Studium abgeschlossen hatte, gab es keine freien Stellen in meinem Fachgebiet, also musste ich mir eine andere Arbeit suchen. So wurde ich vom Lehrer zum Bauarbeiter, zum Angestellten in einer Produktionsstätte im Ausland, zum Fahrer und so weiter.

Was die Männer in der Ukraine betrifft, so gibt es einige Unterschiede. Es gibt eine bestimmte Kategorie von Männern, die der Staat nicht an die Front schickt. Das sind Männer, die gesundheitliche Probleme haben oder deren Familienangehörige nicht gesund sind. Nicht alle Männer können sofort in den Krieg ziehen, denn der Staat muss sie erst militärisch ausbilden und sie materiell und finanziell unterstützen.

Von den ersten Tagen unseres Aufenthalts in Deutschland (die Familie lebt in einer norddeutschen Großstadt, d.Red.) an mussten wir sehr oft verschiedene staatliche Einrichtungen aufsuchen, wie das Sozialamt, das Jobcenter, das Familienamt, die Auslandsbehörde, das Bürgeramt und es ging um unsere Versicherngen. Mit der Beraterin des Jobcenters haben wir immer noch engen Kontakt. Am Anfang war die Kommunikation aufgrund der Sprachbarriere schwierig. Wir mussten uns nach Übersetzern umsehen. Wir möchten den freiwilligen Helfern, die immer bereit waren, uns unentgeltlich zu helfen, unseren aufrichtigen Dank aussprechen. Meine Frau und ich haben sofort mit dem Besuch von Deutsch-Integrationskursen begonnen. Natürlich ist es unmöglich, die Sprache in sechs Monaten vollständig zu beherrschen. Aber mit der Zeit haben wir angefangen, die Deutschen besser zu verstehen, und versuchen nun, uns selbst auf Deutsch zu verständigen.

Ich würde wirklich gerne eine Arbeit finden, die mir ein gutes Einkommen und Zufriedenheit bringt. Vor allem würde ich gerne mein eigenes Geld verdienen und nicht von staatlichen Leistungen abhängig sein. Als wir in Deutschland ankamen, waren meine Frau und ich bereit, sofort irgendeinen Job anzunehmen. Aber als wir von den Sprachkursen erfuhren, beschlossen wir, die Sprache zu lernen, um uns schneller zu integrieren und einen besseren Job zu finden. Aber es stellte sich heraus, dass es auch dann gar nicht so einfach war, einen Job zu finden. Ich habe viele Versuche unternommen, mich auf Stellen zu bewerben. Aber ich wurde überall abgelehnt. Der Grund: Ich bräuchte, so hieß es immer, eine entsprechende Genehmigung, eine Ausbildung oder ein Zertifikat. Einer meiner Wünsche war es zum Beispiel, für ein städtisches Verkehrsunternehmen als Fahrer zu arbeiten. Und die entsprechende Ausbildung in diesem Unternehmen zu bekommen. Ich habe drei Bewerbungen geschrieben, auf die ich jeweils eine Ablehnung erhalten habe. Meiner Meinung nach ist der Grund für die Ablehnung das Fehlen eines entsprechenden Sprachniveaus.

Nach Abschluss des Integrationskurses lud uns ein Berater des Jobcenters zu einem Gespräch in sein Büro ein. Er gab uns professionelle Ratschläge zur Arbeit in Deutschland. Er sagte, dass ich in Zukunft Jobangebote per Post erhalten würde. In der Tat erhielt ich viele Stellenangebote per Post. Aber die Angebote unterschieden sich nicht besonders. Es handelte sich um eine schlecht bezahlte Arbeit, ausschließlich in Lagerhallen, die mir nicht die Möglichkeit gegeben hätte, meine Familie allein finanziell zu versorgen. Und da ich im Laufe meines Lebens ein gewisses Maß an Sprach- und Berufskenntnissen erworben hatte, suchte ich auf eigene Faust nach vielversprechenderen Stellenangeboten.

Wie die Praxis zeigt, braucht man in Deutschland eine entsprechende Ausbildung oder bestimmte Qualifikationen, um eine Stelle zu finden. Ich hatte weder das eine noch das andere, also war meine Arbeitssuche langwierig. Meiner Meinung nach sollten für Berufe, die keine hohen Qualifikationen erfordern, die Anforderungen für eine Beschäftigung vereinfacht werden. Viele Menschen verfügen über viel Berufserfahrung, haben aber nicht die entsprechende Ausbildung. Das heißt aber nicht, dass die Person die Aufgabe nicht bewältigen kann. Sie können bestimmte Tests machen, in denen eine Person ihr Wissen unter Beweis stellen kann.

Wir erhalten Geld vom deutschen Staat in Höhe von 1500 Euro für eine Familie mit vier Personen (zwei Erwachsene und zwei Kinder). Auch die Miete der Wohnung wird vom Staat finanziert. Alle sechs Monate füllen wir Formulare für die Arbeitsagentur aus, in denen wir alle Vermögenswerte und Einkünfte angeben, die wir in der Ukraine und in Deutschland haben. Auf diese Weise kann der deutsche Staat unsere finanzielle Situation objektiv beurteilen.

Zurzeit habe ich keine Einkünfte, aber seit diesem Monat habe ich angefangen zu arbeiten, ebenso wie meine Frau. Wenn unser gemeinsames Einkommen nicht weniger als das durchschnittliche monatliche Existenzminimum beträgt, dann bekommen wir nichts mehr vom Staat, und wir sind völlig unabhängig. Es könnte klappen.

Dass wir bislang Hilfe vom deutschen Staat bekommen – dafür sind wir sehr dankbar. Es reicht uns, um gut zu essen, uns gut zu kleiden und manchmal die Wünsche unserer Kinder zu erfüllen. Aber nicht für mehr. Wir unterstützen die Menschen zu Hause nur mit freundlichen Worten und Kommunikation. Wir unterstützen sie nicht mit Geld.

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"Ich würde wirklich gern mein eigenes Geld verdienen"

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11.05.2024

Artikel vom 11.05.2024

Wie sollen wir mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine umgehen? Sollen sie weiterhin sofort Bürgergeld beziehen oder zunächst wie Asylbewerber behandelt werden? Ein Gespräch mit einem Familienvater, aufgezeichnet von Oliver Stock.

Zuallererst möchte ich Deutschland und allen Deutschen dafür danken, dass sie mir und meiner Familie Schutz vor dem schrecklichen Krieg gewähren, den Russland mit seinen imperialistischen Ansichten begonnen hat.

Ich bin 40 Jahre alt. Vor eineinhalb Jahren war ich gezwungen, mit meiner Familie die Ukraine zu verlassen. Es war eine schwierige Entscheidung, denn wir mussten alles zurücklassen und gehörten zu den Millionen von Ukrainern, die auf der Suche nach einem sicheren Ort für ihre Kinder ins Ausland gingen.

Die meisten Menschen, die in der Ukraine leben, haben nur ein geringes Einkommen, das kaum ausreicht, um die Fixkosten zu bezahlen und Lebensmittel zu kaufen. Mein Gehalt in der Ukraine betrug zum Beispiel 200 Euro. Fast die Hälfte meines Einkommens musste ich für die Miete aufwenden. Der Rest war für den Lebensunterhalt notwendig. Deshalb sind die Menschen ständig auf der Suche nach einer besseren Arbeit oder einer zusätzlichen Verdienstmöglichkeit. Da wir in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Russland lebten, bekamen wir die „russische Welt" von den ersten Tagen an in Form von Soldaten, Panzern, Flugzeugen und Raketen zu spüren. Jeden Tag wurden wir, die Menschen, die Häuser, die Straßen von russischem Gebiet aus beschossen. Irgendwann verschwinden die Dörfer und Städte und Menschen dann einfach von der Erde.

Meine Tochter hat Diabetes Typ 1 und ist insulinabhängig. Als die Probleme mit der Insulinversorgung in unserer Stadt begannen, blieb keine Zeit........

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