Jüdische Warnhinweise werden oft runtergespielt, weil man den Juden gern Paranoia und Befindlichkeiten unterstellt. Dass wir jüdische Anliegen nicht ernst nehmen, ist gefährlich für uns alle.

Antisemitismus zeigt sich oft in Nuancen. Es ist dann die Summe der Ereignisse, die ihn enttarnen. Seit dem 7. Oktober erlebt das die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz genauso wie die israelische Bevölkerung. Beide Gemeinschaften klagen seit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel ihr Leid und auf der ganzen Welt wurden diese Klagen heruntergespielt, ignoriert oder in ihrer Richtigkeit angezweifelt.

Israel hat seit dem 7. Oktober die ausbleibende Solidarität mit weiblichen Opfern von sexualisierter Gewalt durch die Hamas kritisiert. Die Kritik richtete sich vor allem an Frauenrechtsorganisationen, wie UN Women. Vergewaltigten Frauen glaubt man. Vergewaltigten Israelinnen nicht. Seit dieser Woche zeigt ein UN-Bericht: «Im Zusammenhang mit dem koordinierten Angriff der Hamas stellte das UN-Missionsteam fest, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass es an mehreren Orten zu konfliktbedingter sexueller Gewalt gekommen ist.»

Zu Beginn des Krieges wurde das Al Schifa-Krankenhaus in Gaza getroffen. Israel wurde sofort öffentlich an den Pranger gestellt, obwohl die IDF sogleich jede Verantwortung von sich wies. Natürlich ist Israel eine Kriegspartei und es gilt deshalb, sorgfältig Aussagen zu prüfen und infrage zu stellen. Aber die sofortige Vorverurteilung, die vor allem zu Beginn des Krieges massgeblich zur antiisraelischen und antisemitischen Stimmung beitrug, zeigt ein Verhaltensmuster. Die Version der IDF erwies sich als richtig.

Auch in Bezug auf das palästinensische Flüchtlingshilfswerk UNRWA wurde Israel lange überhört. Dass UNRWA-Schulen Hetze gegen Juden vermitteln ist in Israel ein offenes Geheimnis. Auch dass Spendengelder an die Palästinenser von der Hamas unterschlagen werden. Erst Ende Januar, als amerikanische Medien über die Verwicklungen der Hamas in die UNWRA berichtet hatten, wurde der Druck gross genug, dass sich die UN jetzt mit den Missständen der UNRWA auseinandersetzt.

Und jetzt erleben wir dasselbe in der Schweiz. Seit Oktober lesen wir Bericht über Bericht zum steigenden Antisemitismus. Seit Oktober versuchen jüdische Verbände die Bevölkerung und Regierung wachzurütteln. An pro-palästinensischen Demonstrationen – die in ihrer Essenz natürlich ihre Berechtigung haben – wird seit Monaten ein antisemitisches Narrativ auf den Strassen geduldet. Hetzredner dürfen in der Schweiz ihr Gedankengut verbreiten, wie jüngst Samidoun in Zürich. Das Newsportal Baba-News, das aktuell durch aktivistischen Antiisraelismus und Antisemitismus auffällt, wird trotz Protest aus jüdischen Kreisen für «Stop Hate Speech»-Kurse an eine Berner Schule eingeladen. Und seit Oktober warnen jüdische Verbände von Parolen wie «From the River to the Sea», welche die Auslöschung Israel implizieren. Die Liste von Warnhinweisen, die den Nährboden für offenen Antisemitismus geschaffen haben, ist lang.

Jüdische Warnhinweise werden systematisch ausgeblendet

Am Samstag ist es um Haaresbreite zum ersten jüdischen Todesopfer gekommen. Die jüdische Gemeinschaft ist über diesen Angriff in Zürich genauso schockiert wie der Rest der Schweiz. Aber längst nicht gleich überrascht. Im Gegenteil: Ein antisemitischer Mordversuch hätte bereits viel früher geschehen können.

Jüdische Warnhinweise werden generell oft runtergespielt, weil man den Juden gern Paranoia und Befindlichkeiten unterstellt. Doch das Ausmass des Misstrauens, welches international den Jüdinnen und Juden entgegengebracht wird, war nie so klar erkennbar wie seit dem 7. Oktober. Und das ist nicht nur unrecht, sondern auch gefährlich, und zwar für uns alle, denn Jüdinnen und Juden bilden lediglich die erste Reihe für jene, die Demokratien zerstören wollen. Und das gilt sowohl für Nahost als auch für die Schweiz.

QOSHE - Juden glaubt man systematisch nicht - Joëlle Weil
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Juden glaubt man systematisch nicht

12 1
07.03.2024

Jüdische Warnhinweise werden oft runtergespielt, weil man den Juden gern Paranoia und Befindlichkeiten unterstellt. Dass wir jüdische Anliegen nicht ernst nehmen, ist gefährlich für uns alle.

Antisemitismus zeigt sich oft in Nuancen. Es ist dann die Summe der Ereignisse, die ihn enttarnen. Seit dem 7. Oktober erlebt das die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz genauso wie die israelische Bevölkerung. Beide Gemeinschaften klagen seit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel ihr Leid und auf der ganzen Welt wurden diese Klagen heruntergespielt, ignoriert oder in ihrer Richtigkeit angezweifelt.

Israel hat seit dem 7. Oktober die ausbleibende Solidarität mit weiblichen Opfern von sexualisierter Gewalt durch die Hamas kritisiert. Die Kritik richtete sich vor allem an Frauenrechtsorganisationen, wie UN Women. Vergewaltigten Frauen glaubt man. Vergewaltigten Israelinnen nicht. Seit dieser Woche zeigt ein UN-Bericht: «Im Zusammenhang mit dem koordinierten Angriff der Hamas stellte........

© Aargauer Zeitung


Get it on Google Play