München – Was für ein Leben. So reich und intensiv, dass es eigentlich für viele Leben reichen würde. Nun hat dieses außergewöhnliche Leben mit 78 Jahren ein Ende gefunden. Franz Beckenbauer ist tot – Deutschland, nein vielmehr die ganze Welt, trauert um den "Kaiser".

Details zu seinem Tod sind nicht bekannt, seine Familie machte am Montag um 17.12 Uhr nur folgendes Statement öffentlich: "In tiefer Trauer teilen wir mit, dass mein Mann und unser Vater Franz Beckenbauer am gestrigen Sonntag im Kreise seiner Familie friedlich eingeschlafen ist. Wir bitten, in Stille trauern zu können und von allen Fragen abzusehen."

Auch wenn sich Franz Beckenbauer schon vor Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte und seine gesundheitlichen Probleme bekannt waren, kommt der Tod des wahrscheinlich besten deutschen Fußballers aller Zeiten am Ende doch überraschend und wird die vielen, vielen Beckenbauer-Fans in Deutschland und überall sonst auf der Welt tief im Herzen treffen.

Denn der Franz war anders, er war nicht einfach nur ein begnadeter Fußballer – davon gab und gibt es viele –, Beckenbauer war Legende und Lebemann zugleich, Weltstar und Visionär, Weltmeister (als Spieler) und Weltmeister (als Trainer) – und zuletzt auch noch der Macher des deutschen Sommermärchens. Eigentlich viel zu viel für ein einziges Leben, aber eben nicht zu viel für eine Lichtgestalt wie Franz Beckenbauer.

Als Teenager bereits Vater wider Willen. Als Fußballer d e r Franz, leichtfüßig und lässig, von den Medien zum Kaiser ernannt. Das Aushängeschild des FC Bayern und der Nationalelf, Seriensieger, Trophäensammler, Weltmeister, deutsches Allgemeingut.

Nach dem Wechsel in die USA, einer Flucht vor Steuer- und Eheproblemen in der Heimat, hieß er "the Kaiser", stieg endgültig zum Popstar auf, zur weltweiten Werbe-Ikone, zum Goldesel. Den Karriereweg Trainer beschritt er ebenfalls wider Willen, als Teamchef ohne Erfahrung und ohne Lizenz.
Dank akribischer Arbeit, führte er, zu gleichen Teilen Genie und Grantler, den DFB zum WM-Titel. Die Lichtgestalt des deutschen Fußballs war geboren. Einer, der über Wasser gehen konnte, so schien es. Beckenbauer erlangte den Status eines Nationalheiligen, einer Kultfigur, wurde aber auch Ehebrecher, erneut Vater, bald Opa.

Everybody’s Franz, dieser Schlawiner, mutierte zum Geschäftsmann, Entertainer, TV-Experten und Funktionär. Ein Getriebener, sorglos und naiv wie eh und je. Aber auch gerissen und berechnend? Ein korrupter Betrüger, weil angeklagt im Zuge des Sommermärchen-Skandals? Ein Schlawiner im negativen Sinne? Auf jeden Fall einer, der die Statue seines Lebenswerkes selbst ins Wanken brachte, gar zerstörte?

Auf die Lichtgestalt fiel ein Schatten. Zuletzt war Franz Beckenbauer gesundheitlich angeschlagen, fast wie einer, den das Lebensglück verlassen hat. Könnte man meinen.

Er habe "ein so schönes Leben, dass ich für immer dankbar sein werde", sagte Beckenbauer der "Bild". Nach vier Söhnen bekam er mit 58 noch eine Tochter. Beckenbauer war zuletzt quasi Rentner, lebte zurückgezogen in Salzburg, gemeinsam mit seiner 19 Jahre jüngeren Frau Heidi und den gemeinsamen Kindern Joel (24) und Francesca (20).

"Jetzt ist es nicht mehr ganz so aufregend und hektisch wie früher. Ich wünsche mir inzwischen mehr Ruhe", befand er. Die brauchte er auch dringend. Zwei Herz-Operationen 2016 und 2017, mehrere Bypässe, eine künstliche Hüfte, ein Augeninfarkt, der seine Sehkraft auf dem rechten Auge beinahe komplett einschränkte: "Mein Körper hat richtig angefangen zu streiken."

2015 war ein Schicksalsjahr für Beckenbauer. Im Verfahren gegen ihn und drei ehemalige Top-Funktionäre des Deutschen Fußball-Bundes ging es um bis heute nicht geklärte Zahlungen von umgerechnet 6,7 Millionen Euro rund um die Vergabe der WM an Deutschland – übrigens nur mit einer Stimme Mehrheit.

Das Sommermärchen, die fünfwöchige Party namens WM 2006, in der sich Deutschland als perfekter, weil unerwartet bunter und heiterer Gastgeber präsentierte, bekam nachträglich Risse. Für die scheinbar ehrenamtliche Tätigkeit des Kaisers als Organisationschef und Botschafter seines Heimatlandes, der auf Stimmenfang die ganze Welt bereist hatte und mit seiner Entourage von Staats- und Regierungschefs empfangen wurde, soll er 5,5 Millionen Euro erhalten haben.

Franz, der sonst so mitteilsame, eigentlich unantastbare Charmeur zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Auch aus einem anderen, schrecklichen Grund. Ihm widerfuhr 2015 das Schlimmste, was einem Vater passieren kann: Sein Sohn Stephan, ein ehemaliger Fußballer, damals Cheftrainer der B-Junioren des FC Bayern, verstarb mit erst 46 Jahren an den Folgen eines Hirntumors, nachdem er zwei Jahre lang gegen die Krankheit gekämpft hatte.

"Der Tod von Stephan war der größte Verlust in meinem Leben. Ich weiß nicht, ob man das jemals verarbeiten kann. Wahrscheinlich nicht", sagte Beckenbauer. So etwas verjährt nicht, die Zeit heilt nicht alle Wunden.
Auch wenn er tapfer sagte: "Das ist das Leben. Es ist passiert. Es ist nicht nur mir passiert, es ist in vielen Familien auf der ganzen Welt genau das Gleiche passiert."

Auf die Frage, wie es ihm gehe, sagte der einzige Deutsche, der für sein Land als Spieler (1974) und Trainer (1990) Weltmeister wurde, in einem späten Interview mit der "Bild": "Den Umständen entsprechend. Was da alles war in den letzten Jahren. Mit all den Operationen und auch mit der Geschichte 2006. Das hat mich schon sehr mitgenommen. Ich sehe zwar, dass mittlerweile akzeptiert wird, dass da nichts war, aber die letzten Jahre waren schon hart."

Bis ihm sein unglaubliches Talent eine kaum vergleichbare Karriere als Fußballer ermöglichte, hatte es der kleine Franz ebenfalls nicht leicht. "Wir sind in einer unwahrscheinlich armseligen Gegend aufgewachsen", erzählt Walter Beckenbauer, der ältere Bruder, in der sehenswerten ZDF-Dokumentation "Mensch, Beckenbauer!" Sie waren Straßenkinder, Straßenfußballer, Nachkriegsbubis.

Aufgewachsen am Bonifatius-Platz in Giesing, im traditionell vom TSV 1860 dominiertem Stadtteil, einem sozialdemokratisch geprägten Arbeiterviertel. Der Fußballplatz des SC 1906 München lag direkt gegenüber dem Elternhaus, einer Vierzimmerwohnung.

"Es war eine arme Zeit, kurz nach dem Krieg. Es gab nichts, keiner hatte was, es brauchte auch keiner auf den anderen neidisch zu sein. Meine Großmutter ließ meine Eltern, meinen Bruder und mich damals bei sich leben", erinnert sich der Jüngste und Kleinste, von seinem Vater daher "Stumpen" gerufen.

Franz Senior begann als Aushilfssortierer bei der Post, arbeitete sich hoch zum Posthauptsekretär und riet seinem Filius Franz von einer Karriere als Berufsfußballer stets ab. Also absolvierte der brav eine Lehre als Versicherungskaufmann.

Mutter Antonie (†2006 mit 92 Jahren) war verständnisvoller. Sie war die wichtigste Frau in Beckenbauers Leben – trotz dreier Ehefrauen und einer langjährigen Lebenspartnerin. "Egal, wo ich war, ich habe sie jeden Tag angerufen", erzählt er, "wenn ich meinen Besuch angekündigt habe, fragte sie immer: ,Bub, was willst du essen?"

Seine Mama war es auch, der er sich anvertraute, als er im Alter von zarten, aber doch nicht unschuldigen 17 Jahren eine Kollegin bei seinem Arbeitgeber Allianz geschwängert hatte. Sohn Thomas kam als uneheliches Kind zur Welt, damals ein Skandal. Weshalb Sepp Herberger, der gestrenge Herbergsvater der 54er-Helden von Bern, den Jungvater Beckenbauer aus den Junioren-Auswahlmannschaften schmiss.

Dettmar Cramer, Herbergers Assistent, rettete die Karriere des Talents, indem er vorschlug: "Legen Sie den Franz zu mir ins Doppelzimmer. Dann passiert nichts." Mit 18 feierte Beckenbauer 1964 während der Aufstiegsrunde sein Debüt in Bayerns Profi-Mannschaft, damals als Linksaußen mit Tordrang. Ein Jahr später mit 19 als Aufsteiger seine Premiere in der Bundesliga und schließlich mit 20 in der Nationalelf: Im September 1965 beim 2:1 in Schweden, nun als Libero.

1966 dann der erste Titel mit den Münchnern, der Gewinn des DFB-Pokals, drei Jahre später gelang das Double. Es folgten weitere acht Meisterschaften (noch drei mit Bayern, drei ab 1977 mit Cosmos New York, eine mit dem Hamburger SV 1982, zwei Jahre nach seiner Rückkehr aus den USA).

Mit seinem Förderer Cramer, ab 1975 Bayern-Trainer, gewann er nach 1974 direkt noch zwei weitere Mal den Henkelpott, den Europapokal der Landesmeister. Europameister 1972, zwei Jahre darauf Weltmeister, vier Mal Deutschlands Fußballer des Jahres, zwei Mal sogar europaweit. Die Auszeichnung zum Weltfußballer gab’s damals noch nicht.

Die Weltkarriere übrigens hing am seidenen Faden, an einer Watschn. Der FC Bayern, gegründet in Schwabing, beheimatet in Harlaching, war für den Teenager Franz, den Giesinger, weit weg – und zu der Zeit auch wenig interessant, ein Provinzklub. Seine Idole waren die Löwen. Bei einem Spiel mit der Schülermannschaft des SC 1906 gegen 1860 verpasste Gegenspieler Gerhard König dem 12-Jährigen eine schallende Ohrfeige. Für den zornigen Franz, der zu den Löwen wechseln wollte, stand fest: "Zu dem Verein gehe ich nicht!" Heute sagt der Kaiser: "Es war keine schlechte Entscheidung im Nachhinein, denke ich." Bayern-Fans atmen bei dieser Anekdote noch heute tief durch.

Beckenbauer war Perfektionist – in allem, was er tat. Und verlangte das von seinen Mitstreitern. Andernfalls kam der Jähzorn durch beim ansonsten höflichen, feinfühligen und liebenswerten Menschen, der vor allem zu den einfachen Leuten immer freundlich und hilfsbereit ist. Der der bekennende Katholik, der an die Wiedergeburt, glaubt, sagte einmal: "Das Ergebnis eines jeden Lebens sollte sein, dass der Mensch ein guter Mensch geworden ist. Ich arbeite daran."

Man darf sich sicher sein, auch das ist dem Kaiser noch gelungen – wie immer in diesem so erfüllten Leben.

QOSHE - "So ein schönes Leben, dass ich für immer dankbar sein werde": Ein ... - Patrick Strasser
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"So ein schönes Leben, dass ich für immer dankbar sein werde": Ein ...

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09.01.2024

München – Was für ein Leben. So reich und intensiv, dass es eigentlich für viele Leben reichen würde. Nun hat dieses außergewöhnliche Leben mit 78 Jahren ein Ende gefunden. Franz Beckenbauer ist tot – Deutschland, nein vielmehr die ganze Welt, trauert um den "Kaiser".

Details zu seinem Tod sind nicht bekannt, seine Familie machte am Montag um 17.12 Uhr nur folgendes Statement öffentlich: "In tiefer Trauer teilen wir mit, dass mein Mann und unser Vater Franz Beckenbauer am gestrigen Sonntag im Kreise seiner Familie friedlich eingeschlafen ist. Wir bitten, in Stille trauern zu können und von allen Fragen abzusehen."

Auch wenn sich Franz Beckenbauer schon vor Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte und seine gesundheitlichen Probleme bekannt waren, kommt der Tod des wahrscheinlich besten deutschen Fußballers aller Zeiten am Ende doch überraschend und wird die vielen, vielen Beckenbauer-Fans in Deutschland und überall sonst auf der Welt tief im Herzen treffen.

Denn der Franz war anders, er war nicht einfach nur ein begnadeter Fußballer – davon gab und gibt es viele –, Beckenbauer war Legende und Lebemann zugleich, Weltstar und Visionär, Weltmeister (als Spieler) und Weltmeister (als Trainer) – und zuletzt auch noch der Macher des deutschen Sommermärchens. Eigentlich viel zu viel für ein einziges Leben, aber eben nicht zu viel für eine Lichtgestalt wie Franz Beckenbauer.

Als Teenager bereits Vater wider Willen. Als Fußballer d e r Franz, leichtfüßig und lässig, von den Medien zum Kaiser ernannt. Das Aushängeschild des FC Bayern und der Nationalelf, Seriensieger, Trophäensammler, Weltmeister, deutsches Allgemeingut.

Nach dem Wechsel in die USA, einer Flucht vor Steuer- und Eheproblemen in der Heimat, hieß er "the Kaiser", stieg endgültig zum Popstar auf, zur weltweiten Werbe-Ikone, zum Goldesel. Den Karriereweg Trainer beschritt er ebenfalls wider Willen, als Teamchef ohne Erfahrung und ohne Lizenz.
Dank akribischer Arbeit, führte er, zu gleichen Teilen Genie und Grantler, den DFB zum WM-Titel. Die Lichtgestalt des deutschen Fußballs war geboren. Einer, der über Wasser gehen konnte, so schien es. Beckenbauer erlangte den Status eines Nationalheiligen, einer Kultfigur, wurde aber auch Ehebrecher, erneut Vater, bald Opa.

Everybody’s Franz, dieser Schlawiner, mutierte zum Geschäftsmann, Entertainer, TV-Experten und Funktionär. Ein Getriebener, sorglos und naiv wie eh und........

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