Manchester/München - Die Geisterstunde war gerade angebrochen, da machten sich die Herren in den Bordeaux-roten Trainingsanzügen von dannen. Ab auf die Zimmer, die Bayern-Profis wollten unter sich sein. An der Ausgangstür des Ballsaals des noblen Hotels Kimpton Clocktower in Manchesters Oxford Road hatten sich Autogrammjäger postiert.

Mathys Tel ließ keinen Wunsch aus, Harry Kane meinte lachend zu einem Fan: "Du hattest doch schon eins!" Der Mittelstürmer musste lernen: Oans geht no. Um 0.18 Uhr machte sich auch Tisch eins, die Müller-Runde, auf den Weg: Thomas und sein Bruder Simon, der bei Bayern arbeitet, dazu Frau Lisa und ein paar Freunde. Thomas hatte sich den beigen, ausladenden Schal seiner Gattin um den Hals geworfen, trug – ganz Gentleman – ihr schwarzes Handtäschchen. Obwohl: wer weiß? Nein, für einen Kicker-Kulturbeutel hatte das Glitzerteil recht feminine Züge.

Müllers Laune, obwohl erneut nur als Joker eingesetzt, war prächtig. Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen hatte den Routinier bei seiner Rede erwähnt und Extra-Applaus provoziert. Schließlich sei der 1:0-Siegtreffer bei Manchester United erst nach Müllers Einwechslung und wegen dessen Pass auf Kane, der zu Kingsley Coman durchsteckte, gefallen. Dreesens Laune als sehr gut zu beschreiben, wäre eine krasse Untertreibung.

"Ihr, liebe Mannschaft, habt es gezeigt: In der Champions League sind wir immer da", rief er und sagte: "Wir haben die Gruppenphase bravourös überstanden und gezeigt, dass wir zurecht einer der großen Klubs sind, die Ambitionen auf den Sieg haben. Das wollen wir in der K.o.-Phase beweisen." Buffet (Lachs und Makrele, jeweils geräuchert sowie Putenbrust Ballotine oder langsam gegartes Rindfleisch) eröffnet, hoch die Tassen.

Speziell auf zwei Geburtstagskinder – jung und alt. Dreesen ließ U19-Spieler Lennard Becker hochleben, der in seinen 18. Geburtstag hineinfeierte und von den Teamkollegen, die am Nachmittag die K.o.-Runde der Youth League erreicht hatten, lautstark gefeiert wurde.

Der zweite Jubilar Walter Mennekes, seines Zeichens zweiter Vize-Präsident, erreichte frisch die 76. Der Unternehmer, ein amüsanter Entertainer, gab den VIPs und Sponsoren einen Witz zum Besten. Der ging so: Kommt ein Mann in einen Schreibwarenladen und fragt nach einem Adventskalender von 1972. Sagt der Verkäufer: "Guter Mann, habe ich nicht. Aber: Haben sie noch alle?" Antwortet der Kunde: "Ja, aber genau den nicht." Okay, mutig. Da war sogar das Spiel besser.

Als die Bankett-Gemeinde von Dreesen angestimmt den Jubilaren ein Happy Birthday-Ständchen sang, griff Thomas Tuchel mit Sitznachbar Christoph Freund am Tisch 19 der Großkopferten zur riesigen weißen Stoffserviette und ließ diese über seinem Kopf ausgelassen kreisen. Überhaupt wirkte der 50-Jährige gelöst, völlig losgelöst. Der Cheftrainer erfüllt lächelnd jeden Selfiewunsch, genehmigte sich Pommes und Cola. Sage noch einer, Tuchel sei ein Kostverächter, der prinzipientreu auf seine Linie achtet. Nur an der Seitenlinie.

Beseelt vom kontrollierten Spiel seiner Mannschaft nahezu ohne Fehler ("Team-Level auf dem höchsten Niveau! Unser bestes Spiel in der Gruppenphase – hat Spaß gemacht!") herzte und umarmte Tuchel als einer der geselligsten Gäste der Party (okay nach Conférencier Dreesen, der angeregt mit einigen Fans um Kurvenvorsänger Fabian Stammberger quatschte) nahezu jeden, naschte feixend Süßes im Stehen und setzte sich zu späterer Stunde noch an einen anderen Tisch. Aus dem süßesten Grund. Von seiner Lebensgefährtin Natalie gab's ein Küsschen. Da waren Saarbrücken und Frankfurt weit weg, Didi und Lothar sowieso.

"Der Trainer hat gesagt, dass er echt stolz gewesen sei, uns bei einem tollen Fußballspiel zuzusehen", erklärte Manuel Neuer Tuchels Happiness.

Als Hansi Gehrlein, der omnipräsente Präsi des Fanclubs "13 Höslwanger" vom Chiemsee, zu Tuchel kam und gewohnt charmant wie ungeniert losprudelte, aß der Coach zunächst weiter. Freund, der Österreicher, nickte beim Vortrag des Mannes im Retro-Trikot mit der Nummer fünf (Der Kaiser) immer wieder. Dann klatschten Gehrlein und Tuchel lauthals lachend ab. Zwei Herzen und zwei Seelen.

QOSHE - Pommes, Cola, Küsse: Bayern-Trainer Tuchel im Überschwang der Gefühle - Patrick Strasser
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Pommes, Cola, Küsse: Bayern-Trainer Tuchel im Überschwang der Gefühle

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13.12.2023

Manchester/München - Die Geisterstunde war gerade angebrochen, da machten sich die Herren in den Bordeaux-roten Trainingsanzügen von dannen. Ab auf die Zimmer, die Bayern-Profis wollten unter sich sein. An der Ausgangstür des Ballsaals des noblen Hotels Kimpton Clocktower in Manchesters Oxford Road hatten sich Autogrammjäger postiert.

Mathys Tel ließ keinen Wunsch aus, Harry Kane meinte lachend zu einem Fan: "Du hattest doch schon eins!" Der Mittelstürmer musste lernen: Oans geht no. Um 0.18 Uhr machte sich auch Tisch eins, die Müller-Runde, auf den Weg: Thomas und sein Bruder Simon, der bei Bayern arbeitet, dazu Frau Lisa und ein paar Freunde. Thomas hatte sich den beigen, ausladenden Schal seiner Gattin um den Hals geworfen, trug – ganz Gentleman – ihr schwarzes Handtäschchen. Obwohl: wer weiß? Nein, für einen Kicker-Kulturbeutel hatte das Glitzerteil recht feminine Züge.

Müllers Laune, obwohl erneut nur als Joker eingesetzt, war prächtig. Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen hatte den Routinier bei seiner Rede........

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