Kommentar
Klimawandel: In der Krise erweisen sich die deutschen Grünen als Schönwetter-Partei
Lange schien ohne die Ökopartei nichts zu gehen. Nun könnte sie in den Augen potenzieller Koalitionspartner toxisch werden, sollte sie sich in der Migrationspolitik nicht rasch bewegen.
Hansjörg Friedrich Müller, Berlin 17.11.2023, 05.00 Uhr Drucken Teilen
Lange vom Zeitgeist verwöhnt: Aussenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck, die beiden Galionsfiguren der deutschen Grünen.
Bild: Hannibal Hanschke/EPA
Über Jahre hinweg schien den deutschen Grünen nahezu alles zu gelingen. Allenfalls, wer sie an ihren eigenen Ansprüchen mass, konnte grössere Misserfolge erkennen: Dass die Partei 2021 mit einer Kanzlerkandidatin in den Bundestagswahlkampf zog, erwies sich im Nachhinein als vermessen. Ein Rekordergebnis erzielten die Grünen gleichwohl.
Der Zeitgeist spielte ihnen in die Hände: Der Klimawandel beschäftigte die Leute. Die kulturelle Hegemonie hatte die Ökopartei ohnehin inne, wie sich an der wohlwollenden Berichterstattung der meisten Medien zeigte.
Zwar hatte das Land auch schon vor ein paar Jahren andere Sorgen als jene, welche die Grünen bewirtschafteten, doch waren dies eben Probleme, die bei der Kernwählerschaft der Partei wenn überhaupt mit Verspätung ankamen: Wer grün wählt, gehört oft zur akademischen Mittelschicht und leidet weniger stark unter der Inflation als ein Fabrikarbeiter oder eine Kassiererin. Das erklärt, warum die Grünen in den Umfragen auch heute noch passabel dastehen, während ihre Koalitionspartner, die Sozialdemokraten und die Liberalen, leiden.
Für die Bürgerlichen tun sich neue Optionen auf
Auch machtpolitisch schienen die Bäume für die Ökopartei in den Himmel zu wachsen. Der Aufstieg der AfD half ihr: Da Christdemokraten und Liberale nicht mit den Rechtsradikalen koalieren wollen, waren sie vielerorts auf die Grünen angewiesen. Entsprechend anschmiegsam verhielten sich die Bürgerlichen. Wer einigen CDU- oder CSU-Politikern zuhörte, konnte meinen, diese wollten die besseren Grünen sein.
Dies scheint sich nun zu ändern: Dass sich der christdemokratische hessische Ministerpräsident Boris Rhein vergangene Woche entschieden hat, nicht länger mit den Grünen zu regieren, sondern stattdessen ein Bündnis mit den Sozialdemokraten einzugehen, ist für die Partei Baerbocks und Habecks ein schlechtes Zeichen. Nicht nur die CDU ist nach rechts gerückt, sondern auch die SPD.
Entsprechend tun sich für die bürgerlichen Parteien neue Optionen auf. Grüne Positionen pflegen sie ohnehin nur so lange, wie sie meinen, die Grünen zu brauchen. Markus Söder, der bayrische Ministerpräsident und Chef der Christsozialen, ist das beste Beispiel: Als er Kanzler werden wollte, biederte er sich bei den Grünen an, wo er nur konnte. Heute, da er in München mit den Freien Wählern regieren kann, kommt er in keiner Bierzeltrede ohne polemische Spitzen gegen die Ökopartei aus.
Abschied vom Multikulturalismus
Der politische Klimawandel, der für die Grünen einen Temperatursturz bedeutet, hängt vor allem mit der Einwanderungsfrage zusammen: Seit in deutschen Städten Kundgebungen stattfinden, deren grossteils arabischstämmige Teilnehmer den Angriff der Hamas auf Israel feiern, ertönt der Ruf nach einer restriktiveren Migrationspolitik immer lauter.
Der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz hat erkannt, dass er das Thema nicht länger der AfD überlassen kann. Scholz strebt nun mehr Ausschaffungen an. Verantwortungsethik ist bei den Sozialdemokraten an die Stelle von Gesinnungsethik getreten.
Der Multikulturalismus vergangener Tage wirkt nun naiv, wenn nicht verantwortungslos. Das trifft vor allem die Grünen: Eben noch von fast allen anderen Parteien umworben, befinden sie sich plötzlich in einer Lage, in der sie in den Augen potenzieller Partner toxisch werden könnten, sollten sie nicht rasch einige ihrer Glaubensgrundsätze aufgeben. Selbst ein vorzeitiges Ende der Ampelkoalition halten manche Beobachter mittlerweile für möglich. Der Beweis, dass grüne Politik mehr als ein Luxus ist, den sich das Land in guten Zeiten leisten kann, steht noch aus.
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Lange schien ohne die Ökopartei nichts zu gehen. Nun könnte sie in den Augen potenzieller Koalitionspartner toxisch werden, sollte sie sich in der Migrationspolitik nicht rasch bewegen.
Über Jahre hinweg schien den deutschen Grünen nahezu alles zu gelingen. Allenfalls, wer sie an ihren eigenen Ansprüchen mass, konnte grössere Misserfolge erkennen: Dass die Partei 2021 mit einer Kanzlerkandidatin in den Bundestagswahlkampf zog, erwies sich im Nachhinein als vermessen. Ein Rekordergebnis erzielten die Grünen gleichwohl.
Der Zeitgeist spielte ihnen in die Hände: Der Klimawandel beschäftigte die Leute. Die kulturelle Hegemonie hatte die Ökopartei ohnehin inne, wie sich an der wohlwollenden Berichterstattung der meisten Medien zeigte.
Zwar hatte das Land auch schon vor ein paar Jahren andere Sorgen als jene, welche die Grünen bewirtschafteten, doch waren dies eben Probleme, die bei der Kernwählerschaft der Partei wenn überhaupt mit Verspätung ankamen: Wer grün wählt, gehört oft zur akademischen Mittelschicht und leidet weniger stark unter der Inflation als ein Fabrikarbeiter oder eine Kassiererin. Das erklärt, warum die Grünen in den Umfragen auch heute noch passabel dastehen, während ihre Koalitionspartner, die Sozialdemokraten und die Liberalen, leiden.
Auch machtpolitisch schienen die Bäume für die Ökopartei in den Himmel zu wachsen. Der Aufstieg der AfD half ihr: Da Christdemokraten und Liberale nicht mit den Rechtsradikalen koalieren wollen, waren sie vielerorts auf die Grünen angewiesen. Entsprechend anschmiegsam verhielten sich die Bürgerlichen. Wer einigen CDU- oder CSU-Politikern zuhörte, konnte meinen, diese wollten die besseren Grünen sein.
Dies scheint sich nun zu ändern: Dass sich der christdemokratische hessische Ministerpräsident Boris Rhein vergangene Woche entschieden hat, nicht länger mit den Grünen zu regieren, sondern stattdessen ein Bündnis mit den Sozialdemokraten einzugehen, ist für die Partei Baerbocks und Habecks ein schlechtes Zeichen. Nicht nur die CDU ist nach rechts gerückt, sondern auch die SPD.
Entsprechend tun sich für die bürgerlichen Parteien neue Optionen auf. Grüne Positionen pflegen sie ohnehin nur so lange, wie sie meinen, die Grünen zu brauchen. Markus Söder, der bayrische Ministerpräsident und Chef der Christsozialen, ist das beste Beispiel: Als er Kanzler werden wollte, biederte er sich bei den Grünen an, wo er nur konnte. Heute, da er in München mit den Freien Wählern regieren kann, kommt er in keiner Bierzeltrede ohne polemische Spitzen gegen die Ökopartei aus.
Der politische Klimawandel, der für die Grünen einen Temperatursturz bedeutet, hängt vor allem mit der Einwanderungsfrage zusammen: Seit in deutschen Städten Kundgebungen stattfinden, deren grossteils arabischstämmige Teilnehmer den Angriff der Hamas auf Israel feiern, ertönt der Ruf nach einer restriktiveren Migrationspolitik immer lauter.
Der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz hat erkannt, dass er das Thema nicht länger der AfD überlassen kann. Scholz strebt nun mehr Ausschaffungen an. Verantwortungsethik ist bei den Sozialdemokraten an die Stelle von Gesinnungsethik getreten.
Der Multikulturalismus vergangener Tage wirkt nun naiv, wenn nicht verantwortungslos. Das trifft vor allem die Grünen: Eben noch von fast allen anderen Parteien umworben, befinden sie sich plötzlich in einer Lage, in der sie in den Augen potenzieller Partner toxisch werden könnten, sollten sie nicht rasch einige ihrer Glaubensgrundsätze aufgeben. Selbst ein vorzeitiges Ende der Ampelkoalition halten manche Beobachter mittlerweile für möglich. Der Beweis, dass grüne Politik mehr als ein Luxus ist, den sich das Land in guten Zeiten leisten kann, steht noch aus.