Rutschmadame

Verletzte Zwiebeln

Woche für Woche nimmt die Rutschmadame das regionale Geschehen aus dem Blickwinkel des nahen Elsass aufs Korn. Diese Woche: Warum die Zwiebelwähe gegen den Fasnachts-Knigge verstösst.

Martina Rutschmann 03.02.2024, 05.00 Uhr

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Zibelewaie ist nicht jedermanns Sache.

Bild: Nicole Nars-Zimmer

Mein Mann mag keine Zwiebelwähe. Für mich ist Zwiebelwähe das Grösste. Ich könnte ständig Zwiebelwähe essen. Sogar auf den Malediven würde ich mir eine Zwiebelwähe herbeisehnen, würde ich dort je am Strand liegen. Oft habe ich damit geliebäugelt, entgegen den Abneigungen meines Mannes eine Zwiebelwähe zu backen.

Vor einigen Tagen schliesslich habe ich in Rezepten gestöbert und Zutaten gekauft. Gottlob hat das Fasnachts-Comité just in dem Moment, als ich den Ofen vorwärmen wollte, seinen Knigge veröffentlicht. Ich war – peng! – geläutert! Ohne die «Verhaltensregeln» dieser feinfühligen Subventionszahler hätte ich einen Andersdenkenden herabgewürdigt!

Reumütig setzte ich mich an den Küchentisch. Fasnacht dürfe sprachlos machen, las ich. Andersdenkende und -fühlende aber dürften nicht herabgewürdigt werden. Das widerspreche dem Fasnachtsgeist. Ich knallte die Zwiebeln an die Wand. Wegen euch riskiere ich einen seelisch verletzten Ehemann, schrie ich die Zwiebeln an. Nach einer Weile fragte ich mich, wo eigentlich ich bleibe in dieser anders-denk-würdigen Geschichte. Auch ich könnte mich herabgewürdigt fühlen, da ich, aus Rücksicht auf meinen kulinarisch zweifelhaften Mann, meine Zwiebelgedanken verwerfe. Das Comité, schnaubte ich, gehört gesprengt!

Wie damals, als die Kuttlebutzer vor exakt fünfzig Jahren das Comité mit Rauch und Petarden sinnbildlich in die Luft sprengten. Es war der Höhepunkt dieser Clique, die sich stets gegen die Zeigefinger-Herren auflehnte. Sie verhöhnte eine ganze Stadt in ihren anders gefühlten Gefühlen. Doch schon damals hat sich kein Mensch gefragt, wie sehr sich die Clique ihrerseits unverstanden gefühlt haben muss, bis sie Sprengchef Jean Tinguely auf den Plan rief.

Ich hob die Zwiebeln auf, entschuldigte mich bei ihnen und buk drauflos. Als mein Mann kam, fragte er: Was stinkt da? Ich schlug die Comité-Thesen an die Wand, von der noch Zwiebelsaft tropfte, als mein Mann plötzlich eine Käsewähe aus der Tasche zog. Die Mahlzeit befriedigte keinen von uns, verletzte aber auch niemandes Gefühle. Dem neuen Fasnachtsgeist zuliebe warf ich meine Zwiebelwähe aus dem Fenster. Mein Mann und ich dachten und fühlten individuell vor uns hin. Sprachlos – und mit demütigem Blick auf den Comité-Knigge.

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Reumütig setzte ich mich an den Küchentisch. Fasnacht dürfe sprachlos machen, las ich. Andersdenkende und -fühlende aber dürften nicht herabgewürdigt werden. Das widerspreche dem Fasnachtsgeist. Ich knallte die Zwiebeln an die Wand. Wegen euch riskiere ich einen seelisch verletzten Ehemann, schrie ich die Zwiebeln an. Nach einer Weile fragte ich mich, wo eigentlich ich bleibe in dieser anders-denk-würdigen Geschichte. Auch ich könnte mich herabgewürdigt fühlen, da ich, aus Rücksicht auf meinen kulinarisch zweifelhaften Mann, meine Zwiebelgedanken verwerfe. Das Comité, schnaubte ich, gehört gesprengt!

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