Eine Trendumkehr von CO₂-Emissionen in der Atmosphäre ist nicht abzusehen. Die globalen Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energien, die unsere Erde aufheizen, nehmen weiter zu.

Zwar werden auch immer mehr erneuerbare Energien erzeugt, da aber insgesamt der globale Energiehunger wächst, verharrt der Anteil von Gas, Öl und Kohle weltweit bei über 80 Prozent am Primärenergiebedarf.

Weder die Reduktionsziele der internationalen Klimapolitik, wie sie etwa im Kyoto-Protokoll 1997 vereinbart wurden, noch das Ziel, die durchschnittliche Temperatur auf unserem Planeten zu begrenzen, konnten eingehalten werden. Laut Copernicus, dem Erdbeobachtungdienst der Europäischen Union, lag die globale Durchschnittstemperatur in den Monaten von Februar 2023 bis Januar 2024 erstmals über ein ganzes Jahr hinweg über 1,5 Grad Celsius oberhalb der im vorindustriellen Zeitalter

Die nationale und internationale Klimapolitik ist in Erklärungs- und vor allem in Handlungsnot, wo doch bei der Klimakonferenz Ende 2023 in Dubai eine „Abkehr von fossilen Energien“ beschlossen wurde. Nur hat das wenig mit der Realität zu tun. Selbst im Klimaschutzland Deutschland werden die erlaubten Jahresemissionsmengen gemäß dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) nicht durchweg eingehalten. Dies betrifft etwa den Wärme- und Verkehrsbereich. In der chemischen Industrie oder der Stahlindustrie ist der Einsatz von Heizöl von 2021 bis 2022 sogar deutlich angestiegen.

Der Ausweg wird deshalb vor allem in „Negativemissionen“ gesucht. Die Idee dahinter: Die Emissionen werden zwar erzeugt, aber wieder aus der Atmosphäre entfernt und tief im Untergrund oder unter dem Meeresboden eingelagert. In der Summe, so die Vorstellung, beeinflussen die Emissionen das Klima nicht. Noch aber sind das vor allem Narrative, die alles und nichts bedeuten können. Denn die Machbarkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz der Techniken sind alles andere als erwiesen. Dennoch will sie die Bundesregierung in Zukunft erlauben. Aber auf welcher Grundlage soll diese Entscheidung getroffen werden?

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09.04.2024

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Ein kurzer Blick zurück: Im Rahmen der internationalen Klimapolitik werden immer wieder neue Narrative entwickelt, Erzählungen, die eine effektive Bekämpfung der Erderwärmung verkünden. In Dubai 2023 wurde mit „Abkehr von fossilen Energien“ nur das wiederholt, was bereits beim G7-Gipfel 2015 in Elmau als „Dekarbonisierung“ der Weltwirtschaft gefeiert wurde. Bei den vorhergehenden Klimakonferenzen wurde noch alle Hoffnung auf marktwirtschaftliche Instrumente und das Narrativ des globalen Emissionshandels gesetzt.

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Aber der Weltmarkt kann es ganz offensichtlich nicht richten und auch die Politik steht in der Kritik. Der Expertenrat für Klimafragen beklagt die nicht hinreichenden Bemühungen der Bundesregierung und fordert diese auf, ein schlüssiges Gesamtkonzept zum Klimaschutz zu erarbeiten. Anstatt ein solches zu entwickeln, wird auf Technik gesetzt.

Die Techniken bekommen zunächst einmal wissenschaftlich Abkürzungen: CCS (Carbon Capture and Storage; Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid), CCUS (Carbon Capture, Utilisation and Storage; Wiederverwertung des Kohlendioxids) oder CCTS (Carbon Capture, Transport and Storage; hier wird darauf verwiesen, dass auch der Transport problemlos möglich ist).

Solche Ansätze, mit denen negative Effekte – wie sie etwa durch die Eisen- und Stahlindustrie entstanden sind – korrigiert oder neutralisiert werden sollen, werden auch als Technofixes bezeichnet. Demnach sind Umwelt- und Klimaprobleme technisch stets lösbar. Dabei sind der groß-industrielle Einsatz und die Potenziale zur Emissionsminderung von CCS noch nicht ausreichend erforscht; eine positive Wirkung auf das Weltklima ist weder genau abzuschätzen noch garantiert.

Der Weltklimarat warnte in einem Sonderbericht vor der hochriskanten Technologie, sieht allerdings deren Einsatz aufgrund der globalen Emissionsentwicklung als nicht mehr vermeidbar. Das Umweltbundesamt sieht das ähnlich und empfiehlt, die Technik erst an Müllverbrennungsanlagen eingehend zu testen. Aber lassen sich die nachfolgend genannten Bedenken überhaupt ausräumen?

Erstens fehlen wissenschaftliche Langzeitstudien, die Auskunft darüber geben, welche unvorhersehbaren Risiken für unsere Ökosysteme bestehen. Zwar kommt die Technik in Ländern wie Norwegen oder Dänemark bereits zum Einsatz. Aber die Technik ist aufgrund der unterschiedlichen Beschaffenheiten der Erdkruste nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragbar.

Womöglich werden Grundwasserleiter verunreinigt oder der Druck, der beim Verpressen aufgebaut wird, verändert im Laufe der Zeit die geologischen Deckschichten über den Lagerstätten. Der Wiederaustritt des CO₂ aus den Speichern in den nächsten hundert oder tausend Jahren lässt sich nicht völlig ausschließen.

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Zweitens reagiert die Bevölkerung ablehnend, wenn CCS – also die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid – in der nahen Umgebung zum Einsatz kommen soll. Die Versuche von Energieversorgungsunternehmen, CCS in Deutschland zu etablieren, sind jedenfalls früh schon am gesellschaftlichen Protest und den politischen Rahmenbedingungen gescheitert. Vattenfall etwa hat seine Forschung am brandenburgischen Industriestandort Schwarze Pumpe 2014 eingestellt. Ähnlich ist es im Übrigen fast allen staatlich geförderten Projekten innerhalb der EU widerfahren. Zwar weisen Forschungsprojekte darauf hin, dass den Vorbehalten und Ängsten in der Bevölkerung mit einer konsequenten, offenen Kommunikation begegnet werden soll. Risiken und berechtigte Ängste lassen sich jedoch nie gänzlich wegreden.

Ein Beispiel für berechtigte Vorbehalte: Wenn die Verpressung im Boden unter der Nordsee erfolgt, so wie es die Bundesregierung plant, sind laut internationalen Konventionen umfassende Risikobewertungen vorgeschrieben. Dadurch werden vielleicht – aber nur vielleicht – die Proteste geringer ausfallen. Weil aber CO₂ auch im Meer ökologische Schäden anrichten kann, sind Widerstände aus der Fischereiindustrie nicht ausgeschlossen. Und schließlich läuft alles auf die Übernutzung der Nordsee hinaus, weil dort bereits bis zu einem Viertel der Wirtschaftszone für Windparks eingeplant ist.

Es kann aber drittens wenig darüber gesagt werden, welche Kosten beim industriellen Großeinsatz der Technik oder der Verpressung im Nordseeboden oder andernorts entstehen; und wer diese am Ende übernimmt. Bei den derzeitig niedrigen CO₂-Preisen beim Emissionshandel dürften sich solche Ausgaben kaum lohnen; ohne staatliche Subventionen ist CCS kaum zu haben.

Viertens ist längst nicht geklärt, ob sich eine positive Energiebilanz einstellen wird, denn die Abscheidung, der Transport und die Verpressung sind energieintensiv. Dafür müssten zusätzliche erneuerbare Energien erzeugt werden, die dann an anderer Stelle fehlen. Am deutschen Pilotstandort zum geologischen CO₂-Speicher in Ketzin (2004–2017), 40 Kilometer westlich von Berlin, wurde nicht ermittelt, ob der Energieaufwand am Ende dem Klimaschutz gedient hat. In einem Pilotprojekt der Schweiz wurden die im Land erzeugten Emissionen nach Island gebracht. Die Energiebilanz wurde in diesem Fall durch den Transport mittels Lastwagen, der Bahn und per Seefracht erheblich getrübt.

Die Europäischen Union will bis 2050 klimaneutral werden. Anfang 2024 hat die Kommission das Etappenziel verkündet, bis 2030 mindestens 55 Prozent der Emissionen im Vergleich zu 1990 einzusparen. Weil die Reduktion der Emissionen jedoch nicht im nötigen Umfang erfolgt, werden Technofixes förmlich zum Heilsversprechen hochstilisiert. Die Botschaft ist doppelt fatal: Der Ausstieg aus den fossilen Emissionen wird zum Ziel erklärt, nicht der Ausstieg aus den fossilen Energien selbst.

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Die Technik ist in das fossile Energiesystem wie in die vorherrschende Wachstumslogik leicht zu integrieren. Die Ursachen des Klimawandels, sprich die vorherrschenden Produktions-, Konsum- und Lebensweisen vor allem des globalen Nordens, werden nicht adressiert. Bereits die Erzählungen über die Technik haben das Potenzial, das auf Gas, Öl und Kohle basierende Geschäftsmodell in die Länge zu ziehen. Dahinter verbergen sich stets auch Profitabsichten von Industrien, die sich nur zu gerne der Erzählung des Klimaschutzes bedienen.

Die Befürworter und Förderer müssen die oben genannten Bedenken nicht widerlegen. Das Techniknarrativ CCS funktioniert schon, wenn die damit verbundenen Möglichkeiten hinreichend schöngeredet und die erheblichen Ungewissheiten, Kosten und Risiken, die damit verbunden sind, unerwähnt bleiben sowie die Ängste und Sorgen in der Bevölkerung nicht ernst genommen werden. Auch der Bundesregierung reicht es anscheinend, an den klimaschützenden Einsatz der Technik zu glauben.

Dienen die Begriffe Negativemissionen oder Klimaneutralität vor diesem Hintergrund dazu, die Fehler der Vergangenheit und die Sünden der Gegenwart beim Klimaschutz zu übertünchen? Dienen die Narrative zum Greenwashing der Gas-, Kohle und Öl-Lobby und fossiler Industriebranchen, die ihr Geschäftsmodell längst noch nicht aufgegeben haben? Oder beruhigt es die Bevölkerung, dass technische Lösungen den Klimaschutz erheblich voranbringen, ohne dass wir unseren Lebensstil ändern müssen?

Seit dem Pariser Klimaabkommen 2015 sind mehr als 70 Großprojekte zur Förderung fossiler Energien an den Start gegangen und die Exploration von neuen Fördergebieten schreitet stetig voran. Den Interessen von machtvollen Akteuren auf diesem Entwicklungspfad kommt es da sehr entgegen, dass Negativemissionen Hochkonjunktur haben. Dass die Erdkruste im großen Stil zur Müllhalde wird, bleibt in solchen Narrativen ungesagt.

Achim Brunnengräber ist Politikwissenschaftler am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin.

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Verfehlter Klimaschutz: Die Erdkruste als Müllhalde?

11 0
11.04.2024

Eine Trendumkehr von CO₂-Emissionen in der Atmosphäre ist nicht abzusehen. Die globalen Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energien, die unsere Erde aufheizen, nehmen weiter zu.

Zwar werden auch immer mehr erneuerbare Energien erzeugt, da aber insgesamt der globale Energiehunger wächst, verharrt der Anteil von Gas, Öl und Kohle weltweit bei über 80 Prozent am Primärenergiebedarf.

Weder die Reduktionsziele der internationalen Klimapolitik, wie sie etwa im Kyoto-Protokoll 1997 vereinbart wurden, noch das Ziel, die durchschnittliche Temperatur auf unserem Planeten zu begrenzen, konnten eingehalten werden. Laut Copernicus, dem Erdbeobachtungdienst der Europäischen Union, lag die globale Durchschnittstemperatur in den Monaten von Februar 2023 bis Januar 2024 erstmals über ein ganzes Jahr hinweg über 1,5 Grad Celsius oberhalb der im vorindustriellen Zeitalter

Die nationale und internationale Klimapolitik ist in Erklärungs- und vor allem in Handlungsnot, wo doch bei der Klimakonferenz Ende 2023 in Dubai eine „Abkehr von fossilen Energien“ beschlossen wurde. Nur hat das wenig mit der Realität zu tun. Selbst im Klimaschutzland Deutschland werden die erlaubten Jahresemissionsmengen gemäß dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) nicht durchweg eingehalten. Dies betrifft etwa den Wärme- und Verkehrsbereich. In der chemischen Industrie oder der Stahlindustrie ist der Einsatz von Heizöl von 2021 bis 2022 sogar deutlich angestiegen.

Der Ausweg wird deshalb vor allem in „Negativemissionen“ gesucht. Die Idee dahinter: Die Emissionen werden zwar erzeugt, aber wieder aus der Atmosphäre entfernt und tief im Untergrund oder unter dem Meeresboden eingelagert. In der Summe, so die Vorstellung, beeinflussen die Emissionen das Klima nicht. Noch aber sind das vor allem Narrative, die alles und nichts bedeuten können. Denn die Machbarkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz der Techniken sind alles andere als erwiesen. Dennoch will sie die Bundesregierung in Zukunft erlauben. Aber auf welcher Grundlage soll diese Entscheidung getroffen werden?

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09.04.2024

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Ein kurzer Blick zurück: Im Rahmen der internationalen Klimapolitik werden immer wieder neue Narrative entwickelt, Erzählungen, die eine effektive Bekämpfung der Erderwärmung verkünden. In Dubai 2023 wurde mit „Abkehr von fossilen Energien“ nur das wiederholt, was bereits beim G7-Gipfel 2015 in Elmau als „Dekarbonisierung“ der Weltwirtschaft gefeiert wurde. Bei den vorhergehenden Klimakonferenzen wurde noch alle Hoffnung auf marktwirtschaftliche Instrumente und das Narrativ des globalen Emissionshandels gesetzt.

Internationale Energieagentur: CO2-Ausstoß erreichte 2022........

© Berliner Zeitung


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