Noch nie gab es beim 1. FC Union Berlin einen Trainer, der seinen Dienst mit einem Spiel in der Champions League begann. Wie auch, schon klar. Es ist am Mittwoch bei Portugals Tabellenvierten Sporting Braga schließlich erst der fünfte Auftritt der Eisernen in Europas Königsklasse. Mit diesem Wettbewerb, das ist nach drei Niederlagen und einem Unentschieden, dem 1:1 zuletzt in Neapel, längst kein Geheimnis mehr, fremdeln die Köpenicker. Trotzdem: Den Coach, der sie dorthin geführt hat und in den ersten vier Partien dort betreute, werden sie nie vergessen und seinen Namen fortan entweder voller Ehrfurcht flüstern oder enthusiastisch skandieren: Urs-Fi-scher-Fuß-ball-gott!

Über allem, auch über Nenad Bjelica, seit Sonntag der Neue auf dem leer gewordenen Stuhl des Cheftrainers, schwebt weiterhin der fast riesengroße Schatten des Schweizers, im Stadion An der Alten Försterei jahrelang das Nonplusultra eines Übungsleiters. Es wird schwierig genug für den Kroaten, von dort herauszutreten, die eigene Handschrift zu zeigen und die Sympathie, die Fischer nicht nur von der Waldseite, vor allem aber von da, umschmeichelte, auf seine Seite zu ziehen.

Champions League als Start für Bjelica, na gut. Es kann klappen, es kann aber auch floppen. Wer weiß das schon. Es gibt undankbarere erste Spiele. Klar geht es noch um etwas, ums internationale Überwintern. In der Europa League, die die Eisernen aus der vorigen Saison bereits kennen, ist das noch möglich. Dafür sollte es ein Sieg sein, auch wenn findige Rechner längst herausgefunden haben, dass es auch mit einem Unentschieden noch ginge, nämlich so: Die Eisernen putzen danach Real Madrid, Braga verliert in Neapel. Bingo! Realistischer klingt das so: Träumt weiter!

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Andererseits ist Bjelica in Sachen Champions League nicht ganz unbeleckt. Doch was will das schon heißen bei der Serie, die die Eisernen gerade hinlegen. Trotzdem greifen sie nach jedem Strohhalm, und die Hoffnung darauf, den freien Fall zu stoppen, flackert ein ums andere Mal auf. Man sollte Folgendes nicht auf die Goldwaage legen, auch mag es Urs Fischer gegenüber gemein sein, doch das Abschneiden lässt solche Verbindungen, selbst wenn sie quer und ziemlich schräg sind, Augenzwinkern inklusive, nun einmal zu. Und an was klammert man sich als Union-Fan in diesen Tagen nicht alles. Eines hat Bjelica dem Trainer-Denkmal aus der Schweiz nämlich voraus: Er hat als Coach in der Champions League sowohl Austria Wien im Herbst 2013 als auch sechs Jahre später Dinamo Zagreb zu jeweils einem Sieg geführt. Fischer war das weder 2016 mit dem FC Basel (zwei Unentschieden, vier Niederlagen) noch eben jetzt mit dem 1. FC Union Berlin gelungen.

Bjelica coachte Austria Wien im Heimspiel gegen Zenit St. Petersburg zu einem satten 4:1. Doppeltorschütze damals im Ernst-Happel-Stadion war mit Philipp Hosiner einer, der später auch in Köpenick für Tore sorgte. Mit Dinamo Zagreb gelang gegen Atalanta Bergamo gar ein 4:0. Bei den Italienern kickte einer mit, den der neue Union-Trainer nun in seinem Team hat: Robin Gosens. Vielleicht schließt sich ja ein Kreis.

Irgendwie stecken die Eisernen trotzdem in einer Zwickmühle. Natürlich hilft jeder Sieg, um den Kopf zu lüften, um sich aus der Nach-unten-Spirale zu befreien, um endlich mal wieder eine etwas breitere Brust zu bekommen. Die Krux dabei ist nur: Was ist wichtiger, das Weiterkommen in Europa oder das Rauskommen aus dem Bundesliga-Keller? Optimisten, die es im eisernen Fanlager selbst in der verzwicktesten Lebenslage haufenweise gibt, sind um eine Antwort nicht verlegen. Ihre lautet: Beides. Die Realos sind durchaus bescheidener. Ihr Favorit, auch wenn der Gegner drei Tage nach Braga ebenfalls mit B anfängt, dabei aber eine deutlich größere Nummer ist, Bayern nämlich, heißt Bundesliga.

Diesen Spagat hinzukriegen, das wird verdammt heikel. Leicht jedenfalls war gestern, heute ist, egal ob in Europa, in München oder in Köpenick, schwierig.

QOSHE - 1. FC Union Berlin in der Zwickmühle: Leicht war gestern, heute ist heikel - Andreas Baingo
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1. FC Union Berlin in der Zwickmühle: Leicht war gestern, heute ist heikel

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29.11.2023

Noch nie gab es beim 1. FC Union Berlin einen Trainer, der seinen Dienst mit einem Spiel in der Champions League begann. Wie auch, schon klar. Es ist am Mittwoch bei Portugals Tabellenvierten Sporting Braga schließlich erst der fünfte Auftritt der Eisernen in Europas Königsklasse. Mit diesem Wettbewerb, das ist nach drei Niederlagen und einem Unentschieden, dem 1:1 zuletzt in Neapel, längst kein Geheimnis mehr, fremdeln die Köpenicker. Trotzdem: Den Coach, der sie dorthin geführt hat und in den ersten vier Partien dort betreute, werden sie nie vergessen und seinen Namen fortan entweder voller Ehrfurcht flüstern oder enthusiastisch skandieren: Urs-Fi-scher-Fuß-ball-gott!

Über allem, auch über Nenad Bjelica, seit Sonntag der Neue auf dem leer gewordenen Stuhl des Cheftrainers, schwebt weiterhin der fast riesengroße Schatten des Schweizers, im Stadion An der Alten Försterei jahrelang das Nonplusultra eines Übungsleiters. Es wird schwierig genug für den Kroaten, von dort herauszutreten, die eigene Handschrift zu........

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