Einmal Arbeiterverein, immer Arbeiterverein? Das Fragezeichen ist nicht nur im Fall des 1. FC Union Berlin angebracht. Woher die Eisernen kommen, das ist hinlänglich bekannt. Jeder kennt das Dasein als Fahrstuhlmannschaft in der DDR-Oberliga, als die Männer aus dem Stadion An der Alten Försterei für unten zu gut, für oben aber oft nicht gut genug waren. Auch kennt jeder die Geschichte von den Schlosserjungs aus Oberschöneweide. Und wer nicht, muss vor jedem Heimspiel nur genau hinhören, wenn die Eisern-Hymne im Ballhaus des Ostens ertönt.

„Hart sind die Zeiten und hart ist das Team“ heißt es da. Oder: „Wer spielt immer volles Rohr?“ Am besten aber passt das: „Wo riecht’s nach verbranntem Rasen?“ Das ist eindeutig Maloche. Das ist Schweiß. Das ist die Linie rauf und runter. Das ist Ärmel aufkrempeln und niemals weniger als hundert Prozent.

Ist das angesichts eines für dieses Spieljahr erwarteten Umsatzes von 190,266 Millionen Euro und geplanter Ausgaben für die Lizenzspielerabteilung von 63,493 Millionen Euro überhaupt zeitgemäß? Sollten sie nicht lieber darüber nachdenken, dem Kreis, dem sie seit fünf Jahren angehören, insofern Rechnung zu tragen, dass sie sagen: Ja, auch wir gehören zum Establishment? Eine einzige Wahrheit gibt es, Romantik hin, Kommerz her, sowieso nie. Nie haben die Eisernen diesen Spagat so drastisch erfahren wie in dieser Saison.

Als vor 15 Monaten der Name Isco durch den Südosten der Metropole waberte und der Spanier bereits in der Stadt weilte, glaubten viele an ein Märchen. Dieser Arme-Leute-Verein und ein fünfmaliger Champions-League-Sieger – es blieb beim Phantom. Nachdem vorigen Spätsommer der nächste personelle Griff nach den Sternen folgte und Leonardo Bonucci in Köpenick landete, war die Skepsis nicht mehr ganz so groß. Der Italiener, zwar in die Jahre gekommen, aber aktueller Europameister, galt auch mit 36 als Muster an Solidität und Klasse. Trotzdem endete es als Missverständnis. Dazu kamen in Robin Gosens ein aktueller und Kevin Volland ein gewesener deutscher Nationalspieler; der Gosens, läuft es schlecht für ihn, womöglich nunmehr auch ist.

•gestern

08.04.2024

08.04.2024

•vor 8 Std.

08.04.2024

Von allen haben sich die Köpenicker mehr versprochen. Einen Gewinn an Image, nur war Isco da das womöglich mieseste Beispiel. Ein Plus an Charisma, nur konnte Bonucci das so wenig auf den Platz bringen, wie nunmehr bei Fenerbahce Istanbul, wo er in zwölf Punktspielen nur fünfmal eingesetzt wurde. Einen Schub in der Wahrnehmung, nur springen Gosens und Volland gerade ein wenig unter der Latte durch. Dass Gosens mit sechs Treffern der erfolgreichste Torschütze seines Teams ist, ehrt ihn, zugleich sollte es eher den anderen zu denken geben. Vor allem Vollands Tore in der Liga sind nicht gerade das Gelbe vom Ei, zumal sie sich mit seinen Platzverweisen die Waage halten. In beiden Fällen sind es zwei.

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Es mag Zufall sein, nur ploppt die Frage nach dem Platzverweis von Gosens beim 0:1 gegen Leverkusen mal wieder auf: Verhebt sich der 1. FC Union Berlin an großen Namen? Bei Max Kruse ging es seinerzeit gut. Vielleicht auch war die Erwartungshaltung damals eine andere, zumal Kruse zwar eine künstlerische Note ins Spiel brachte, auf eine Art aber auch Fußball-Arbeiter war. Das sind Gosens und Volland auch. Es bleibt trotzdem ein Warten auf den Knalleffekt.

Was also tun? Noch stärker als ohnehin auf grundsolide Typen wie Rani Khedira, Robin Knoche (auch wenn er es gerade schwer hat), Christopher Trimmel (der Kapitän ist auch mit 37 eine Wucht), Kevin Vogt und Frederik Rönnow (mit das Beste, was zwischen deutschen Pfosten steht) setzen? Wie immer macht es die Mischung. Vielleicht zeigen auch Gosens (geht erst nach seiner Sperre im Heimspiel gegen die Bayern) und Volland (ginge schon am Freitag in Augsburg), wie wertvoll sie für den Köpenicker Arbeiterverein im Endspurt um den Klassenerhalt sein können. Zur Not sogar als Künstler.

QOSHE - 1. FC Union Berlin: Spagat zwischen Romantik und Kommerz ist so groß wie nie - Andreas Baingo
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1. FC Union Berlin: Spagat zwischen Romantik und Kommerz ist so groß wie nie

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10.04.2024

Einmal Arbeiterverein, immer Arbeiterverein? Das Fragezeichen ist nicht nur im Fall des 1. FC Union Berlin angebracht. Woher die Eisernen kommen, das ist hinlänglich bekannt. Jeder kennt das Dasein als Fahrstuhlmannschaft in der DDR-Oberliga, als die Männer aus dem Stadion An der Alten Försterei für unten zu gut, für oben aber oft nicht gut genug waren. Auch kennt jeder die Geschichte von den Schlosserjungs aus Oberschöneweide. Und wer nicht, muss vor jedem Heimspiel nur genau hinhören, wenn die Eisern-Hymne im Ballhaus des Ostens ertönt.

„Hart sind die Zeiten und hart ist das Team“ heißt es da. Oder: „Wer spielt immer volles Rohr?“ Am besten aber passt das: „Wo riecht’s nach verbranntem Rasen?“ Das ist eindeutig Maloche. Das ist Schweiß. Das ist die Linie rauf und runter. Das ist Ärmel aufkrempeln und niemals weniger als hundert Prozent.

Ist das angesichts eines für dieses Spieljahr erwarteten Umsatzes von 190,266 Millionen Euro und geplanter Ausgaben für die Lizenzspielerabteilung von........

© Berliner Zeitung


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