Daniela Klette, eine seit 30 Jahren gesuchte mutmaßliche RAF-Terroristin, wurde am Dienstag in ihrer Wohnung in Berlin-Kreuzberg verhaftet. Während Politiker von einem „Meilenstein der deutschen Kriminalgeschichte“ reden, mangelt es nicht an Sympathiebekundungen für Klette. Die linksextreme Rote Hilfe spricht von einer „jahrzehntelangen Verfolgungswut und dem staatlichen Rachebedürfnis“. In diesen Tagen hört man Sprüche wie: „Die Polizei soll lieber Jagd auf Nazis machen, statt auf alte Leute, die vor 30 Jahren mal was getan haben!“

Doch moralische Vorstellungen stehen nicht über dem Recht, sofern sie nicht in Gesetze gegossen sind. Moralische Aufgeregtheit wird aber bei allen möglichen Themen über das Gesetz gestellt, etwa wenn es um die Verfolgung noch lebender Nazi-Verbrecher geht: Soll sich ein 95-Jähriger noch vor Gericht verantworten, weil er Teil der Tötungsmaschine in Auschwitz war? Rechtsextremisten nennen das „Opa-Hatz“.

Nun ist es aber so, dass Gesetze für jeden gelten, und Mord in Deutschland nicht verjährt. Die RAF, die 1998 ihre Selbstauflösung erklärte, verübte 33 Morde. Einige sind nicht aufgeklärt, wie das Sprengstoffattentat im Jahr 1989 auf den Vorstandschef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, zu dem sich die RAF bekannte. Oder 1991 die Ermordung des Chefs der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder.

Man wüsste gern, was Daniela Klette zu den Morden zu sagen hat. Oder ihre beiden mutmaßlichen Komplizen Burkhard Garweg (55) und Ernst-Volker Staub (65), von denen angenommen wird, dass sie ebenso in Berlin untergetaucht sind.

28.02.2024

27.02.2024

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Klette wird unter anderem für einen Sprengstoffanschlag 1993 auf ein Gefängnis in Hessen verantwortlich gemacht. Ihr, Garweg und Staub werden neben versuchtem Mord auch bewaffnete Raubüberfälle auf Supermärkte und Geldtransporter zwischen 1999 und 2016 in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen angelastet. Deshalb führt die Ermittlungen formell „nur“ das LKA Niedersachsen und nicht das Bundeskriminalamt, das gleichwohl eingebunden ist. Viele ihrer Raubüberfälle sind nicht verjährt. Die Staatsanwaltschaft in Niedersachsen glaubt, dass die RAF-Rentner die Überfälle verübten, um sich Geld zum Leben zu beschaffen.

Schleyer-Sohn: Klettes unentdecktes Leben „unheimlich“

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RAF-Terroristin Daniela Klette: Darum konnte sie in Berlin so lange untertauchen

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Doch wenn es der guten Sache dient, ist in den Augen der linken Szene das Gesetz der Moral untergeordnet. Und so bleibt das RAF-Logo mit dem Stern und dem Maschinengewehr ein beliebtes modisches Accessoire. In Kreuzberg hängt ein Transparent: „Viel Kraft an Daniela Klette“. Am linksautonomen Zentrum Rote Flora in Hamburg prangt ein Banner: „Solidarität mit Burkhard Daniela Volker“.

Nach Herrhausens Tod las man an einer Kreuzberger Hauswand die hämische Parole, die heute noch ein geflügelter Spruch an manchen Fassaden ist: „Wer das Geld hat, hat die Macht, bis es unterm Auto kracht.“ 2016 forderte ein Demo-Aufruf für die Radikalen-Hochburg Rigaer Straße 94 zur „Solidarität mit Ernst, Daniela und Burkhard“ auf. Die RAF-Leute fanden und finden gerade in Berlin Wohlfühlstrukturen.

Viele Ex-Terroristen blieben nach der Haftentlassung ihrer Ideologie treu. So wie Inge Viett, die wie andere RAF-Leute in der DDR untergetaucht war und denen die Staatssicherheit eine neue Identität gab. In der Zeitung Junge Welt verteidigte sie den RAF-Terror. 2011 forderte sie bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin den Aufbau einer revolutionären kommunistischen Organisation „mit geheimen Strukturen“. Die bürgerliche Rechtsordnung könne kein Maßstab sein. Der aus der Haft entlassene RAF-Terrorist Christian Klar arbeitete später für einen Bundestagsabgeordneten der Linkspartei.

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Evakuierungen in Kreuzberg: Polizei findet Granate in Wohnhaus von RAF-Terroristin Daniela Klette

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Sie bewegen sich in einem Milieu, das sie unterstützt, so wie Daniela Klette, die sich unter dem Alias-Namen „Claudia Ivone“ in Kreuzberg frei bewegte – möglicherweise tun das derzeit auch Garweg und Staub. Der Journalist und RAF-Kenner Stefan Aust sagte im ZDF: Er könne sich nicht vorstellen, dass eine Person mit einem falschen Pass 30 Jahre lang in einer Wohnung lebt und die Miete bezahlen kann, ohne Unterstützung von anderen.

Nancy Faeser, die SPD-Bundesinnenministerin, tönte nach Klettes Verhaftung: „Niemand sollte sich im Untergrund sicher fühlen.“ Doch viele Extremisten können genau das. In der Bundesrepublik sind 600 mit Haftbefehl gesuchte Neonazis untergetaucht. Sie alle haben ein Milieu, das ihnen hilft.

QOSHE - Moral und Milieu: Wie RAF-Terroristen in Berlin unterstützt werden - Andreas Kopietz
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Moral und Milieu: Wie RAF-Terroristen in Berlin unterstützt werden

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01.03.2024

Daniela Klette, eine seit 30 Jahren gesuchte mutmaßliche RAF-Terroristin, wurde am Dienstag in ihrer Wohnung in Berlin-Kreuzberg verhaftet. Während Politiker von einem „Meilenstein der deutschen Kriminalgeschichte“ reden, mangelt es nicht an Sympathiebekundungen für Klette. Die linksextreme Rote Hilfe spricht von einer „jahrzehntelangen Verfolgungswut und dem staatlichen Rachebedürfnis“. In diesen Tagen hört man Sprüche wie: „Die Polizei soll lieber Jagd auf Nazis machen, statt auf alte Leute, die vor 30 Jahren mal was getan haben!“

Doch moralische Vorstellungen stehen nicht über dem Recht, sofern sie nicht in Gesetze gegossen sind. Moralische Aufgeregtheit wird aber bei allen möglichen Themen über das Gesetz gestellt, etwa wenn es um die Verfolgung noch lebender Nazi-Verbrecher geht: Soll sich ein 95-Jähriger noch vor Gericht verantworten, weil er Teil der Tötungsmaschine in Auschwitz war? Rechtsextremisten nennen das „Opa-Hatz“.

Nun ist es aber so, dass Gesetze für jeden gelten, und Mord in Deutschland nicht verjährt. Die RAF, die 1998 ihre Selbstauflösung erklärte, verübte 33 Morde. Einige sind nicht aufgeklärt, wie das Sprengstoffattentat im........

© Berliner Zeitung


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