200.000 Euro für die Neugründung einer Kita: Im Saal 1101 des Amtsgerichts Tiergarten sitzt am Donnerstag Alexander K. auf der Anklagebank. Er soll, gemeinsam mit seiner Frau, Geld von Bekannten gesammelt haben, um eine Kita zu eröffnen. Eine Täuschung, laut Anklage, denn die Kita gab es nie. Stattdessen soll das Paar das Geld für sich behalten haben.

Die Staatsanwaltschaft spricht zum Anfang des Prozesses von einer „Legende“, die Alexander K. und seine Frau zwischen Mai 2017 und September 2020 aufrechterhalten haben sollen. Vier Personen haben dem Paar Geld geliehen und seien dadurch in wirtschaftliche Not geraten, so die Anklage. Dabei geht es um Beträge zwischen 9000 und 100.000 Euro, die die Geschädigten an den Angeklagten und seine Frau gezahlt haben sollen.

Doch Alexander K. sitzt an diesem Tag allein neben seinem Anwalt, seine Frau befindet sich bereits in Haft. Wegen „ähnlicher Delikte“, heißt es, das Verfahren im aktuellen Fall wurde deshalb eingestellt. Er trägt eine blaue Jeans und einen Blazer, dem Richter hört er mit verschränkten Händen aufmerksam zu.

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Der 48 Jahre alte Alexander K. spricht durch einen Dolmetscher, seine Muttersprache ist Russisch. Im Jahr 2010 sei der Mechatroniker mit seiner Frau nach Deutschland gekommen, erzählt er. „Mich hielt auch nicht viel da, in der Heimat.“ Er habe inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Selbst zu den Vorwürfen äußern will er sich nicht und lässt stattdessen seinen Anwalt ein Statement vorlesen.

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„Ich habe die vorgeworfenen Taten nicht begangen“, heißt es darin. Seine Frau sei Erzieherin, Alexander K. habe „mit Pädagogik nichts zu tun“. Vor allem sei er selbst getäuscht worden, weil er davon ausging, dass seine Frau wirklich die Eröffnung einer Kita plane. „Ich habe sie dabei auch nicht wesentlich unterstützt.“ An diesem Tag dreht sich also alles um eine Frage: Was und wie viel wusste Alexander K. über die Pläne seiner Frau?

Die erste Zeugin ist eine 58 Jahre alte Bekannte des Paares, auch sie spricht überwiegend russisch. Ihr Sohn, so beschreibt sie es, sei mit der Tochter des Angeklagten in einen Tanzkurs gegangen, die Familien seien gute Bekannte gewesen. Im Jahr 2017 sei die Frau des Angeklagten dann auf sie zugekommen, mit der Idee, eine Gesellschaft zu gründen, die dann eine Kita betreiben solle. Für eine Summe von 12.500 Euro könne die Zeugin ebenfalls als Gesellschafterin einsteigen.

Nach eigener Aussage ist die Zeugin zunächst skeptisch, doch ihr Freund überzeugt sie. „Mach das, das ist eine gute Idee, Kindergärten werden gebraucht“, soll er zu ihr gesagt haben. Dann habe er ihr das Geld geliehen. Das sei jedoch nur der Anfang gewesen. Auch angebliche Dokumente wie eine Betriebserlaubnis habe die Frau des Angeklagten vorgelegt und mit der Zeugin einen Arbeitsvertrag abgeschlossen.

In den darauffolgenden Jahren gibt die Zeugin laut eigener Aussage der Frau des Angeklagten immer wieder Geld, mal einige Hundert Euro, andere Male mehrere Tausend, für Kitamöbel oder auch angebliche Geschenke an Mitglieder des Senats. Insgesamt sei so eine Summe von rund 60.000 Euro zusammengekommen. Das Geld stammt laut Zeugin von ihrem Freund, ihrer Schwester, ihrem Vater, sogar einem Nachbarn des Vaters. Eigene Ersparnisse habe sie kaum.

Lange wird vor Gericht diskutiert, ob der Angeklagte Alexander K. bei den Treffen von seiner Frau und der Zeugin anwesend war, denn an Details erinnert sich die Zeugin nicht. Meistens habe Alexander K. jedoch im Auto gewartet. „Es war mein Eindruck, dass sie das zusammen tun“, sagt sie, im Verlauf der Zeit habe sie jedoch gedacht, die Frau des Angeklagten würde „das alles steuern“. Alexander K. habe eher die Rolle eines „Kraftfahrers“ eingenommen.

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Was genau in dem Arbeitsvertrag stand, den sie mit der Frau des Angeklagten geschlossen hat, weiß die Zeugin nicht mehr. Auch kann sie vor Gericht nicht sagen, wann genau sie das geliehene Geld zurückbekommen sollte. Als der Anwalt des Angeklagten wissen möchte, warum sie der Frau überhaupt immer wieder Geld geliehen hat, sagt die Zeugin: „Sie hat ständig um Geld gebeten.“

Bis zum Ende sei sie davon ausgegangen, dass es wirklich eine Kita-Gründung gebe. „Ich habe ihr einfach dumm vertraut.“ Erst durch eine Bekannte habe sie schließlich von einem Gerichtsverfahren gegen die Frau von Alexander K. erfahren und sich entschlossen, zur Polizei zu gehen.

Auch ein zweiter Zeuge beschreibt an diesem Tag, dass er als Gesellschafter an dem Betrieb der Kita beteiligt sein sollte. Gespräche habe er aber mit der Frau des Angeklagten geführt, Alexander K. habe er meistens nur kurz gesehen. Trotzdem ist er „überzeugt“, dass Alexander K. von den Plänen seiner Frau wusste. „Ich lebe auch mit einer Frau zusammen“, sagt er. Die müsse ihm doch davon erzählt haben. Konkrete Beweise nennt er nicht.

Die Erinnerungslücken der Zeugin und die vielen Details, die geklärt werden müssen, kosten viel Zeit. Wer hat wann mit wem gesprochen? Wie funktionierte die Geldübergabe? Bei welchen Treffen genau war Alexander K. dabei? Nach etwa zwei Stunden steht schließlich eine weitere Zeugin in der Tür. „Ich muss mein Kind abholen!“, sagt sie verzweifelt.

Die Verhandlung wird also ein anderes Mal fortgesetzt. Zuerst am 6. Mai, wenn das nicht reicht, wird es noch einen weiteren Termin geben.

QOSHE - Berliner Prozess um betrügerische Kita-Gründung: „Ich habe ihr einfach dumm vertraut“ - Anika Schlünz
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Berliner Prozess um betrügerische Kita-Gründung: „Ich habe ihr einfach dumm vertraut“

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17.04.2024

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© Berliner Zeitung


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