Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland rund 693.000 Kinder geboren. Das ist ein deutlicher Rückgang von 6,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – und der niedrigste Stand seit dem Jahr 2013. Das zeigen neue Auswertungen des Statistischen Bundesamts, die am Donnerstag veröffentlicht wurden.

Dabei ist der Rückgang in den ostdeutschen Bundesländern größer als in Westdeutschland. Denn dort sank die Geburtenzahl von 86.227 auf 78.300, ein Rückgang von 9,2 Prozent. Im Westen war der Rückgang mit 5,9 Prozent deutlich geringer. Auch die Zahl der Eheschließungen in Deutschland (361.000 im Jahr 2023) sank auf den zweitniedrigsten Wert seit 1950, nur im Corona-Jahr 2021 waren es weniger. Auch hier war der Rückgang im Osten mit neun Prozent stärker als im Westen mit 7,4 Prozent.

In Berlin war der Geburtenrückgang besonders stark: Hier wurden im Jahr 2023 laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 33.425 Kinder geboren, das sind 11,6 Prozent weniger als im Vorjahr.

Für Michaela Kreyenfeld, Soziologie-Professorin der Hertie School Berlin, hat der Unterschied zwischen Osten und Westen auch historische Gründe. Nach der Wende seien die Geburtenraten im Osten eingebrochen. „Die niedrige Geburtenrate nach der Wende bestimmt heute, etwa 30 Jahre später, die Zahl der Frauen, die Kinder bekommen können“, sagt sie. Ähnlich sei es bei den Eheschließungen: „Die typische Altersklasse, in der man heiratet, ist dünn besetzt.“

30.04.2024

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30.04.2024

Außerdem haben die zahlreichen Krisen der vergangenen Jahre junge Paare sehr verunsichert. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und der Universität Stockholm vom Anfang des Jahres. Demnach ist die Geburtenrate in Deutschland besonders seit dem Jahr 2022 rückläufig. So fiel die Geburtenrate nach vorläufigen Berechnungen von 1,57 Kindern pro Frau im Jahr 2021 auf nur 1,36 im Jahr 2023.

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Der BiB-Experte für Familie und Fertilität und der Mitverfasser der Studie, Martin Bujard, sagt dazu: „Es sind Krisen, die ganz heftig den Alltag berühren.“ Dazu gehören etwa die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, steigende Energiepreise und eine zeitweise hohe Inflation. Einen weiteren Grund sieht er im Mangel an bezahlbarem Wohnraum: „Familien brauchen auch einfach mehr Zimmer.“ Auch der Fachkräftemangel in Kindergärten stelle Eltern vor große Herausforderungen.

Wenn es viele Krisen gibt, schieben laut Bujard viele Paare die Eheschließung und die Familiengründung auf. „Da treffen Leute seltener Entscheidungen, die etwas Mut brauchen.“

Belastbare Ergebnisse dazu, warum es einen Unterschied zwischen Osten und Westen gibt, gebe es noch nicht. Für Martin Bujard ist jedoch vorstellbar, dass die Krisen der vergangenen Jahre die Menschen in Ostdeutschland etwas stärker belasten. Zum einen sei die „räumliche Nähe Richtung Kriegsgeschehen“ in der Ukraine etwas größer. Zum anderen sei es möglich, dass der Fachkräftemangel in Kindergärten Frauen in Ostdeutschland besonders treffe, weil sie häufiger erwerbstätig sind.

Im Jahr 2022 waren laut Statistischem Bundesamt 76 Prozent der ostdeutschen Frauen mit Kindern unter 18 Jahren erwerbstätig, in den westdeutschen Bundesländern (Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland) waren es 66 Prozent, in Norddeutschland (Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein) 68 Prozent, in den süddeutschen Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg) 70 Prozent.

Insgesamt sei der Geburtenrückgang jedoch „ein europäisches Phänomen“, sagt Bujard. Die Geburtenrate fiel beispielsweise auch in Schweden von 1,67 Kindern pro Frau im Jahr 2021 auf rund 1,45 Kinder im Jahr 2023.

Ist das also der Anfang von einem neuen Abwärtstrend? Laut Martin Bujard sind Prognosen über die Geburtenrate nur schwer zu treffen. Es könne aber etwas nach oben gehen, „wenn sich die Krisen ein bisschen abschwächen.“ Michaela Kreyenfeld von der Hertie School sagt dazu: „Deutschland ist ein Land, das tendenziell altern und schrumpfen wird.“ Allerdings könne es sein, „dass die Geburtenrate, bereinigt um Altersstruktur, bald wieder steigt, wenn sich die ökonomischen Rahmenbedingungen entspannen“.

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Auch für die deutsche Wirtschaft wäre ein Anstieg der Geburtenrate ein gutes Zeichen. Denn eine Studie des Sachverständigenrats für Wirtschaft warnte im Februar 2024 davor, dass eine Überalterung der Gesellschaft das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren und Jahrzehnten deutlich bremsen könnte. So sagt die Studie für dieses Jahrzehnt ein durchschnittliches Wachstum von nur 0,4 Prozent pro Jahr voraus – deutlich weniger als das durchschnittliche jährliche Wachstum von 1,4 Prozent, das Deutschland in den 2010er-Jahren erreichte.

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Geburtenrate sinkt kräftig: Warum ist Ostdeutschland stärker betroffen?

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02.05.2024

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland rund 693.000 Kinder geboren. Das ist ein deutlicher Rückgang von 6,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – und der niedrigste Stand seit dem Jahr 2013. Das zeigen neue Auswertungen des Statistischen Bundesamts, die am Donnerstag veröffentlicht wurden.

Dabei ist der Rückgang in den ostdeutschen Bundesländern größer als in Westdeutschland. Denn dort sank die Geburtenzahl von 86.227 auf 78.300, ein Rückgang von 9,2 Prozent. Im Westen war der Rückgang mit 5,9 Prozent deutlich geringer. Auch die Zahl der Eheschließungen in Deutschland (361.000 im Jahr 2023) sank auf den zweitniedrigsten Wert seit 1950, nur im Corona-Jahr 2021 waren es weniger. Auch hier war der Rückgang im Osten mit neun Prozent stärker als im Westen mit 7,4 Prozent.

In Berlin war der Geburtenrückgang besonders stark: Hier wurden im Jahr 2023 laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 33.425 Kinder geboren, das sind 11,6 Prozent weniger als im Vorjahr.

Für Michaela Kreyenfeld, Soziologie-Professorin der Hertie School Berlin, hat der Unterschied zwischen Osten und Westen auch historische Gründe. Nach der Wende seien die Geburtenraten im Osten eingebrochen. „Die niedrige Geburtenrate nach der Wende bestimmt heute, etwa 30 Jahre später, die Zahl der Frauen,........

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