Laura M. (Name geändert) ist Friseurin. Als ihre zwei Kinder noch klein waren, arbeitete sie in Teilzeit. Seit zehn Jahren steht sie wieder täglich acht Stunden in einem Salon in Berlin und verdient 1500 Euro brutto im Monat. Sie sagt zur Berliner Zeitung: „Jetzt schon weiß ich kaum, wie ich alles bezahlen soll. Aber wenn ich in Rente gehe, werde ich arm sein.“

Der Berlinerin aus Hellersdorf ist dieser Tage wieder bewusst geworden, dass sie zu jenen gehört, über die alle reden: die, die in der Armutsfalle sitzen. Jetzt schon fühlt sie sich dazugehörig, allein wegen der teuren Lebensmittel und höheren Energiepreise, und im Alter wird es nicht besser sein, ist sie sicher. Erschwerend kommt hinzu, dass sie besonders betroffen ist, wie sie es jüngst wieder schwarz auf weiß gelesen hat. Eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes ergab, dass es vor allem im Alter für jede zweite Frau nicht zum Leben reicht.

24.01.2024

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Demnach kommt etwa jeder vierte Rentenempfänger (26,4 Prozent) auf weniger als 1000 Euro. Besonders häufig haben Frauen eine besonders niedrige Rente: 53,5 Prozent, also mehr als jede zweite Rentnerin, bekommen weniger als 1250 Euro im Monat, so das Statistische Bundesamt auf Anfrage des Linke-Abgeordneten Dietmar Bartsch, der gleich reagierte und von einem „Armutszeugnis für unser Land“ sprach. Und auch für Berlin sieht es nicht gut aus: Von denen, die Rente beziehen und weniger als 1250 Euro erhalten, sind 31 Prozent Männer und 39 Prozent Frauen.

Für Bartsch sind die Rentenempfänger „die Hauptverlierer der Inflation“. 2024 drohe ihnen das vierte Jahr in Folge mit realem Kaufkraftverlust: Er fordert: „Wir brauchen in diesem Jahr eine einmalige und zusätzliche Rentenerhöhung um zehn Prozent, um zumindest die Inflation auszugleichen.“

Doch woran liegt es, dass nach wie vor besonders Frauen benachteiligt sind? VdK-Präsidentin Verena Bentele hat darauf eine eindeutige Antwort. Sie sagt zur Berliner Zeitung: „Die Altersrente ist ein Spiegelbild des Erwerbslebens: Die Höhe der Altersrente hängt von der Zahl der Erwerbsjahre und der Höhe des Einkommens ab – beides ist bei Frauen oft niedriger als bei Männern.“

Grund dafür sei, so die Verbandschefin, dass Frauen nach wie vor weniger verdienen und häufig den größeren Teil der Care-Arbeit, also beispielsweise die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Verwandten übernehmen. Daher sei jede fünfte Frau und weniger als jeder sechste Mann im Rentenalter von Armut bedroht.

Frauen müssen in Verhältnissen arbeiten, die ihre Existenz auch im Alter sichert.

Die VdK-Präsidentin kritisiert: „Nicht nur, dass Frauen so weniger gesetzliche Rente bekommen, die profitieren zudem seltener von einer betrieblichen Alterssicherung und haben im Erwerbsalter weniger finanzielle Mittel, in eine ausreichende private Alterssicherung zu investieren. Die unter Frauen verbreitete Altersarmut ist daher nicht verwunderlich.“

Um das zu bekämpfen, fordert der Sozialverband beispielsweise, prekäre Beschäftigungen einzudämmen. „Frauen müssen in Verhältnissen arbeiten, die ihre Existenz auch im Alter sichert“, so Bentele. Wiedereinstieg und Fortführung der Erwerbstätigkeit bei verstärkter familiärer Verantwortung für kleine Kinder oder pflegebedürftige Angehörige müssten zusätzlich mehr gefördert werden.

„Außerdem muss die Übernahme familiärer Verantwortung honoriert werden. Drei Jahre Kindererziehungszeit pro Kind müssen jeder Mutter rentenrechtlich anerkannt werden, und die Pflege von Angehörigen muss denselben Stellenwert bekommen wie die Kindererziehung“, so Bentele.

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Die Bundesregierung sei „extrem langsam, insbesondere das Familienministerium“, sagt ein Mitarbeiter der frauenpolitischen Sprecherin der Linken, Heidi Reichinnek, zur Berliner Zeitung. Höhere Löhne, die zu höheren Renten führen, seien dringend notwendig. Es bräuchte eine „vernünftige Kinderbetreuung, die auch kostenfrei und flächendeckend zur Verfügung steht“. Frauen dürften durch eine Familiengründung nicht in die Teilzeitfalle geraten.

Die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Silvia Breher, sagt zur Berliner Zeitung: „Wir brauchen ganzheitliche Konzepte, insbesondere beim Blick auf die geschlechtsspezifische Rentenlücke. Dabei müssen wir die Geschlechtergerechtigkeit im gesamten Lebenslauf berücksichtigen.“

Es fange ganz vorne im Leben an und starte mit gleichen Chancen für Mädchen und junge Frauen. „Wir brauchen zudem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und endlich deutlich bessere Schritte hin zu einer paritätischen Aufteilung der häuslichen Care-Arbeit“, fordert die CDU-Politikerin Breher.

Laut dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat die Regierung allerdings in den letzten Jahren „eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um die soziale Sicherung zu stärken und angemessen entlohnte, sichere Beschäftigung zu fördern“, sagt eine Sprecherin zur Berliner Zeitung. Sie nennt hier beispielsweise die Erhöhung des Mindestlohns auf 12,41 Euro. Ein höherer Lohn bedeute auch höhere Beiträge für die Altersvorsorge, so die Rechnung.

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Laut BMAS erkennt die zum 1. Januar 2021 in Kraft getretene Grundrente die Lebensleistung von Menschen an, die langjährig in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen pflichtversichert waren. „Wer jahrzehntelang mit einem unterdurchschnittlichen Verdienst gearbeitet und verpflichtend Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, kann eine höhere Rente erhalten.“

Auch wurden Rentenzahlungen zum Stichtag 31. Dezember 2022 durch einen individuell berechneten Zuschlag aufgestockt, heißt es. „Hiervon profitieren überdurchschnittlich viele Frauen“, versichert eine Sprecherin des Bundesministeriums. Zudem befinde sich das Ministerium in regierungsinternen Gesprächen zu einem Tariftreuegesetz.

Dies solle garantieren, dass Aufträge des Bundes nur noch an tarifgebundene Unternehmen gegeben werden. Frauen würden an dieser Stelle besonders profitieren, da die tarifgebundenen Löhne und Gehälter in Deutschland im Durchschnitt höher sind als nicht tarifgebundene.

Für Laura M. muss endlich was geschehen. Sie sagt: „Es ist jetzt schon schwer, meinen Lebensunterhalt zu bezahlen. Meine Miete beträgt schon 650 Euro, die ich alleine stemmen muss. An meine Rentenzeit in knapp 20 Jahren möchte ich gar nicht denken, dann werde ich höchstens 800 Euro zur Verfügung haben, wenn überhaupt.“ Sie lächelt verbittert.

Und fügt hinzu: „Wir reden hier immer von Fortschritt, davon, dass mehr Menschen arbeiten sollen. Doch für die, die das auch tun, kommt unterm Strich kaum etwas raus.“

QOSHE - Berliner Friseurin (46) mit 1500 Euro brutto: „Wenn ich in Rente bin, werde ich arm sein“ - Anne-Kattrin Palmer
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Berliner Friseurin (46) mit 1500 Euro brutto: „Wenn ich in Rente bin, werde ich arm sein“

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26.01.2024

Laura M. (Name geändert) ist Friseurin. Als ihre zwei Kinder noch klein waren, arbeitete sie in Teilzeit. Seit zehn Jahren steht sie wieder täglich acht Stunden in einem Salon in Berlin und verdient 1500 Euro brutto im Monat. Sie sagt zur Berliner Zeitung: „Jetzt schon weiß ich kaum, wie ich alles bezahlen soll. Aber wenn ich in Rente gehe, werde ich arm sein.“

Der Berlinerin aus Hellersdorf ist dieser Tage wieder bewusst geworden, dass sie zu jenen gehört, über die alle reden: die, die in der Armutsfalle sitzen. Jetzt schon fühlt sie sich dazugehörig, allein wegen der teuren Lebensmittel und höheren Energiepreise, und im Alter wird es nicht besser sein, ist sie sicher. Erschwerend kommt hinzu, dass sie besonders betroffen ist, wie sie es jüngst wieder schwarz auf weiß gelesen hat. Eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes ergab, dass es vor allem im Alter für jede zweite Frau nicht zum Leben reicht.

24.01.2024

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Demnach kommt etwa jeder vierte Rentenempfänger (26,4 Prozent) auf weniger als 1000 Euro. Besonders häufig haben Frauen eine besonders niedrige Rente: 53,5 Prozent, also mehr als jede zweite Rentnerin, bekommen weniger als 1250 Euro im Monat, so das Statistische Bundesamt auf Anfrage des Linke-Abgeordneten Dietmar Bartsch, der gleich reagierte und von einem „Armutszeugnis für unser Land“ sprach. Und auch für Berlin sieht es nicht gut aus: Von denen, die Rente beziehen und weniger als 1250 Euro erhalten, sind 31 Prozent Männer und 39 Prozent Frauen.

Für Bartsch sind die Rentenempfänger „die Hauptverlierer der Inflation“. 2024 drohe ihnen das vierte Jahr in Folge mit realem Kaufkraftverlust: Er fordert: „Wir........

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