Für Kanzler Olaf Scholz wird es in diesen Tagen gleich aus mehreren Gründen ungemütlich. Am Donnerstag steht er in einer Halle in Cottbus, um ein Bahn-Instandhaltungswerk zu eröffnen. Während der Kanzler redet, drücken vor der Tür Landwirte lautstark auf die Hupen ihrer Trecker. Scholz geht inhaltlich nicht auf die Proteste ein. „Wir leben ja in aufgeregten Zeiten, ein bisschen haben wir das auch gehört“, sagt er, fügt hinzu: „Und auch das gehört zur Demokratie dazu, dass man sich seine Meinung sagt.“

Die Wut ist den Bauern damit nicht genommen, ganz im Gegenteil. Viele haben sich eine klare Ansage erhofft, dass der Kanzler sie von den Sparplänen befreit. Das macht Scholz nicht, kann er gar nicht. Die Subvention beim Agrardiesel wird gestrichen, inzwischen zwar schubweise, aber mehr kommt die Ampel den Bauern nicht entgegen.

Ein weiterer Termin des Tages ist für Scholz ebenso kein Zuckerschlecken. Nach seinem Abstecher nach Cottbus steht die Klausurtagung der Fraktion an. Es geht um den Absturz der SPD in den Umfragen, darum, dass die Partei vor allem in den ostdeutschen Bundesländern mehr und mehr in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

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Die Partei hat Redebedarf, nicht nur am Donnerstag. Die Genossen suchen nach Erklärungen und Lösungen. Zugelassen sind bei der Klausur die 207 Abgeordneten, keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Man will im möglichst kleinen Kreis diskutieren, heißt es. Klein ist dieser Kreis zwar nicht, aber immerhin ist kurzfristig die Tagesordnung geändert worden. Der „Ausblick auf die zweite Hälfte der Legislaturperiode. Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz“ ist auf zweieinhalb Stunden verlängert worden.

Und selbst das könnte knapp werden, heißt es aus der Partei, in der es seit Monaten rumort. Auch der Unmut über den Kanzler wächst. In den Umfragen ist Scholz der unbeliebteste Kanzler, den es jemals gegeben hat. Ein unrühmlicher Titel – und auch in der Partei kritisieren viele immer offener sein Aussitzen von Problemen (vor ein paar Monaten intern noch als Charakterstärke beschrieben) und dass er keine klare Kante zeige. Hinzu kommt die Debatte darüber, wo die Partei hinwill. Nach links, in die Mitte? Für viele unklar.

Ein SPD-Politiker sagt zur Berliner Zeitung: „Wir sind dabei, uns zu verlieren. Die SPD ist die Partei für Arbeiter und nicht nur für Randgruppen. Ein Übel ist, dass sich unser einstiges Klientel nicht mehr vertreten fühlt.“ Allein, dass die Debatte ums Bürgergeld als alleiniges SPD-Thema wahrgenommen werde, sei fatal. Der Genosse bringt es auf den Punkt: „Viele Stammwähler fühlen sich vor den Kopf gestoßen.“ Und gerade in den ostdeutschen Bundesländern nehme die Partei die Wähler nicht mehr mit, sagt er. Daher sei die Stimmung in der Fraktion gereizt.

„Die Lage der SPD ist derzeit wie die allgemein politische Lage im Land: massiv von Krisen gebeutelt und zutiefst besorgniserregend“, erklärt Juso-Chef Philipp Türmer im Handelsblatt. „Weder die Ampel noch die SPD als führende Partei werden aktuell mit einer positiven Vision für das Land verbunden.“ Stattdessen werde die Regierung von den Nachwehen der Haushaltseinigung belastet.

Fraktionschef Rolf Mützenich mahnt vor der Klausurtagung: „Wir haben drei Landtagswahlen und eine Europawahl, die entscheiden wird, ob sich die EU in der Welt behaupten kann.“ Zur derzeitigen innenpolitischen Krise spricht der SPD-Politiker von einem Strukturwandel, der einen „handlungsfähigen Staat“ brauche. Er sagt auch: „Deutschland ist gut genug aufgestellt, dass neue Schulden tragbar sind.“

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Die Reform der Schuldenbremse, das ist eine Lösung der SPD. Doch wie so vieles ist dieser Plan in der Umsetzung derzeit ziemlich unwahrscheinlich, denn mit dem Koalitionspartner FDP ist das bislang nicht zu machen. SPD-Parteichefin Saskia Esken wirbt neben anderen Genossen seit Tagen außerdem dafür, dass den Menschen wieder mehr Zuversicht gegeben werden müsste, dass die Regierung alle Krisen meistern kann. Und dass die SPD mehr zeige, für was sie steht.

Doch dafür müsste die SPD selbst die eigenen Richtungsstreitigkeiten beenden – auch im Umgang mit Migration und Bürgergeld. Wird die SPD wirklich rigoros abschieben, wie es der Kanzler vollmundig angekündigt hat? Gerade das Thema brennt vielen Wählern unter den Nägeln, für sie handelt die Regierung nicht konsequent genug. Eine weitere Frage: Wie geht es weiter beim Bürgergeld? Trägt es die Fraktion mit, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil Arbeitsverweigerern bald das Bürgergeld für zwei Monate streichen möchte? Viele in der SPD sind dagegen. Genauso in dem Punkt, dass die Bundesregierung 2023 mehr Rüstungsexporte genehmigt hat als je zuvor.

Doch die Zeit drängt für die Partei auf der Suche nach sich selbst. Im September stehen drei Landtagswahlen an, in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Überall liegt die AfD in den Umfragen vorn. Einer jüngsten Forsa-Umfrage für das RTL/n-tv-Trendbarometer zufolge, könnte die AfD in Brandenburg mit 32, in Sachsen mit 34 und in Thüringen mit 36 Prozent der angegebenen Stimmen rechnen.

In Thüringen, wo derzeit die Linke unter Ministerpräsident Bodo Ramelow mit SPD und Grünen eine Minderheitsregierung bildet, käme die CDU der Umfrage nach aktuell auf 20, die Linke auf 17, die SPD auf 9 und die Grünen auf 5 Prozent der Stimmen.

In Sachsen könnte die jetzige Dreier-Koalition bestehen bleiben: Dort kommt die CDU auf 30, die SPD auf 7 und die Grünen auf 8 Prozent – vergangene Woche noch kam die SPD in einer Umfrage auf nur 3 Prozent. In Brandenburg kann die SPD mit 22, die CDU mit 16 und die Grünen mit 7 Prozent rechnen.

Nächster Stimmungstest ist die Nachwahl am 11. Februar in Berlin, auch dort könnten die Sozialdemokraten einen Dämpfer erhalten. Bei der Europawahl im Juni droht die SPD ihr historisch schlechtes Ergebnis von 2019 noch zu unterbieten.

Hinzu kommt: Die Proteste gegen die Ampel ebben nicht ab und machen es für die Regierungsparteien nicht leichter. Am kommenden Montag wollen die nach wie vor wütenden Landwirte gemeinsam mit vielen weiteren Gruppen zum vorerst letzten Mal in Berlin demonstrieren und dann so richtig Lärm gegen die Haushaltspolitik der Ampel machen.

Bis dahin rollen die Traktoren weiter durch andere Städte. Die aktuellen Demos dürften nicht die einzigen bleiben, warnen Experten. Es drohe ein Wut-Jahr. Dies in den Griff zu bekommen, dürfte für die Regierung schwierig werden.

QOSHE - Miese Umfragen für die SPD im Osten: Wie kann sich die Partei noch retten? - Anne-Kattrin Palmer
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Miese Umfragen für die SPD im Osten: Wie kann sich die Partei noch retten?

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12.01.2024

Für Kanzler Olaf Scholz wird es in diesen Tagen gleich aus mehreren Gründen ungemütlich. Am Donnerstag steht er in einer Halle in Cottbus, um ein Bahn-Instandhaltungswerk zu eröffnen. Während der Kanzler redet, drücken vor der Tür Landwirte lautstark auf die Hupen ihrer Trecker. Scholz geht inhaltlich nicht auf die Proteste ein. „Wir leben ja in aufgeregten Zeiten, ein bisschen haben wir das auch gehört“, sagt er, fügt hinzu: „Und auch das gehört zur Demokratie dazu, dass man sich seine Meinung sagt.“

Die Wut ist den Bauern damit nicht genommen, ganz im Gegenteil. Viele haben sich eine klare Ansage erhofft, dass der Kanzler sie von den Sparplänen befreit. Das macht Scholz nicht, kann er gar nicht. Die Subvention beim Agrardiesel wird gestrichen, inzwischen zwar schubweise, aber mehr kommt die Ampel den Bauern nicht entgegen.

Ein weiterer Termin des Tages ist für Scholz ebenso kein Zuckerschlecken. Nach seinem Abstecher nach Cottbus steht die Klausurtagung der Fraktion an. Es geht um den Absturz der SPD in den Umfragen, darum, dass die Partei vor allem in den ostdeutschen Bundesländern mehr und mehr in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

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© Berliner Zeitung


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