Tausende Flüchtlinge sollen mit gefälschten Pässen oder anderen Betrugsmaschen Bürgergeld erschlichen haben. Die Wogen schlagen hoch – und heizen die Debatte um die Sozialleistung erneut an.

Ein Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bestätigte am Montag der Berliner Zeitung, dass der Behörde insgesamt 5609 Verdachtsfälle aus den Bundesländern gemeldet worden sind. Hiervon 2846 Fälle aus Bayern, 1980 Fälle aus Baden-Württemberg, 697 Fälle aus Thüringen, 81 Fälle aus Niedersachsen, vier Fälle aus Hessen sowie einer aus Sachsen-Anhalt. Berlin ist nach vorläufigem Stand nicht dabei.

Der Hintergrund: Zuerst war es wohl baden-württembergischen Behörden aufgefallen, dass einige mutmaßliche ukrainische Kriegsflüchtlinge noch eine zweite Staatsbürgerschaft besaßen – etwa die ungarische oder rumänische – diese aber bei der Einreise verschwiegen.

Die Migranten wollten sich auf diesem Weg, so der Verdacht, deutsche Sozialleistungen erschleichen. Denn die gelten eigentlich nur für Flüchtlinge, die in der Ukraine gelebt haben. Dazu gehört auch das Privileg, sofort Bürgergeld zu erhalten. Für EU-Ausländer, die nur zusätzlich die ukrainische Staatsbürgerschaft besitzen, gilt dieses Privileg nicht.

Der mögliche Sozialbetrug heizt die Debatte um das Bürgergeld weiter an: Seit Monaten streitet die Ampel darüber, wie viel Sozialstaat noch bezahlbar ist. Vor Monaten ging es noch um die Erhöhung des Bürgergelds zum 1. Januar 2024 um 61 Euro. Grüne und SPD verteidigten diese bis zum Schluss vehement – zum Unmut ihres liberalen Koalitionspartners FDP.

24.02.2024

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Die Sicht der FDP, die am Bürgergeld sparen möchte: Es setze falsche Anreize und verführe die Menschen zum Nichtstun. Geht es nach den Liberalen, wird es 2025 eine Nullrunde beim Bürgergeld geben. Die Union sieht das genauso.

Teile der FDP setzen sich inzwischen sogar für Bezahlkarten für Bürgergeld- und Sozialhilfeempfänger ein. Leon Köhler von der Sachsen FDP fordert die Einführung von Bezahlkarten für Sozialhilfe und Bürgergeld Bezieher, schrieb auf „X“ (ehemals Twitter): „Was spricht eigentlich gegen eine Bezahlkarte für alle Empfänger staatlicher Sozialhilfen?“

Hintergrund: Bund und Länder hatten sich im November vergangenen Jahres darauf geeinigt, einheitliche Zahlkarten für Asylbewerber einzuführen.

Die SPD hält dagegen. Fraktionschef Rolf Mützenich sagte jüngst im „Bericht aus Berlin“ der ARD, dass seine Partei an der Bürgergeld-Erhöhung festhalte. Eines seiner Argumente: Jeder fünfte Beschäftigte müsse heute mit Bürgergeld aufstocken, weil er sich sonst seinen Lebensunterhalt nicht mehr leisten könne.

2023 war es laut Bundesagentur für Arbeit ein Fünftel (803.000) der 3,9 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die ihr Einkommen mit Bürgergeld aufstocken mussten. Davon waren 92 Prozent abhängig beschäftigt. Acht Prozent gingen einer selbstständigen Tätigkeit nach – manche davon auch zusätzlich zu einer abhängigen Beschäftigung.

Vor allem Alleinerziehende sind betroffen, die im Niedriglohnsektor arbeiten oder Minijobs haben. Von den 2,9 Millionen „Bedarfsgemeinschaften“ – darunter versteht die Agentur für Arbeit verschiedene Formen des gemeinsamen Wohnens – sind rund 550.000 Alleinerziehende. Das bedeutet in den meisten Fällen, dass sich Frauen allein um ihre Kinder kümmern.

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Und auch das Bürgergeld für ukrainische Flüchtlinge steht schon lange im Fokus. Jetzt, nachdem der Betrugsverdacht bekannt geworden ist, wird der Ruf nach Änderungen umso lauter.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann wird deutlich und spricht von einem „hausgemachten Problem“. Zur Berliner Zeitung sagt sie: „Auch die über 5600 Fälle von möglichem Sozialbetrug mit ukrainischen Pässen zeigen: Es war ein Fehler, dass die ukrainischen Flüchtlinge sofort Bürgergeld statt Asylbewerberleistungen erhalten.“ Das Bürgergeld sei doppelt schädlich, so die Politikerin: „Es setzt Fehlanreize, macht Arbeit unattraktiv und lädt zum Betrug ein.“

Sozialämter und Jobcenter funkten seit Monaten SOS, sagt Connemann. „Das Bürgergeld ist zu hoch und nimmt den Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen.“ Aber die Ampel reagiere nicht. „Dabei sprechen die Zahlen für sich. In Deutschland geht nur etwa jeder fünfte ukrainische Flüchtling einer Tätigkeit nach. In Nachbarländern wie den Niederlanden oder Polen dagegen zwei von drei.“

Sie fordert: „Diese Fehler müssen korrigiert werden. Flüchtlinge müssen zukünftig ausschließlich unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Und das Bürgergeld muss als Fehlkonstrukt abgeschafft werden. Denn Leistung lohnt sich nicht mehr.“

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Der Deutsche Städte- und Gemeindebund drängt ebenfalls auf Lösungen, schlägt vor, die Höhe des Bürgergeldes für ukrainische Kriegsflüchtlinge an die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme zu koppeln. Auch für Hauptgeschäftsführer André Berghegger sprechen die Zahlen eindeutig dafür.

Er verwies auch auf die im Vergleich zu Nachbarländern niedrige Beschäftigungsquote unter Ukrainern in Deutschland. „Dort sind die Anreize höher, arbeiten zu gehen“, sagte Berghegger der Neuen Osnabrücker Zeitung. Daran müsse sich auch Deutschland orientieren. „Den Kriegsflüchtlingen sollten Arbeitsangebote unterbreitet werden. Wer dann aus nicht nachvollziehbaren Gründen diese Arbeit ablehnt, dem sollten dann auch die Sozialleistungen gekürzt werden.“

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor zwei Jahren flohen etwa 1,14 Millionen Ukrainer nach Deutschland. Im Januar 2024 waren bei der Bundesagentur für Arbeit rund 519.000 als erwerbsfähig gemeldet, gut 206.400 davon waren als arbeitslos registriert. 124.467 ukrainische Staatsangehörige nahmen laut Statistik im Januar an einem Integrationskurs teil.

QOSHE - Millionen-Betrug beim Bürgergeld: Keine Sozialleistungen mehr für Ukrainer? - Anne-Kattrin Palmer
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Millionen-Betrug beim Bürgergeld: Keine Sozialleistungen mehr für Ukrainer?

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26.02.2024

Tausende Flüchtlinge sollen mit gefälschten Pässen oder anderen Betrugsmaschen Bürgergeld erschlichen haben. Die Wogen schlagen hoch – und heizen die Debatte um die Sozialleistung erneut an.

Ein Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bestätigte am Montag der Berliner Zeitung, dass der Behörde insgesamt 5609 Verdachtsfälle aus den Bundesländern gemeldet worden sind. Hiervon 2846 Fälle aus Bayern, 1980 Fälle aus Baden-Württemberg, 697 Fälle aus Thüringen, 81 Fälle aus Niedersachsen, vier Fälle aus Hessen sowie einer aus Sachsen-Anhalt. Berlin ist nach vorläufigem Stand nicht dabei.

Der Hintergrund: Zuerst war es wohl baden-württembergischen Behörden aufgefallen, dass einige mutmaßliche ukrainische Kriegsflüchtlinge noch eine zweite Staatsbürgerschaft besaßen – etwa die ungarische oder rumänische – diese aber bei der Einreise verschwiegen.

Die Migranten wollten sich auf diesem Weg, so der Verdacht, deutsche Sozialleistungen erschleichen. Denn die gelten eigentlich nur für Flüchtlinge, die in der Ukraine gelebt haben. Dazu gehört auch das Privileg, sofort Bürgergeld zu erhalten. Für EU-Ausländer, die nur zusätzlich die ukrainische Staatsbürgerschaft besitzen, gilt dieses Privileg nicht.

Der mögliche Sozialbetrug heizt die Debatte um das Bürgergeld weiter an: Seit Monaten streitet die Ampel darüber, wie viel Sozialstaat noch bezahlbar ist. Vor Monaten ging es noch um die Erhöhung des Bürgergelds zum 1. Januar 2024 um 61 Euro. Grüne und SPD verteidigten diese bis zum Schluss vehement – zum Unmut ihres........

© Berliner Zeitung


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