Bislang ist es ein verschlafener Platz im Charlottenburger Norden: Doch ab April werden an der Sömmeringsstraße und direkt gegenüber an der Quedlinburger Straße 45 mehr als 1000 Flüchtlinge leben.

Im Ostteil der Stadt gibt es zwar nach wie vor mehr Unterkünfte, doch der Fall nahe des Mierendorff-Platzes im Berliner Westen zeigt wieder mal, wie hektisch der Senat derzeit auf die Flüchtlingskrise reagiert.

An der Ecke zur Sömmeringstraße im Charlottenburger Norden steht ein gelb getünchtes Haus, in dem einst gerne Touristen übernachtet haben. Es ist das Hotel Plaza Inn, ehemals Econtel, eine mit drei Sternen bewertete, sogenannte Superior-Unterkunft mit Restaurant sowie einer Bar.

Das Hotel liegt gut zehn Gehminuten vom Schloss Charlottenburg entfernt, im Süden die Spree, umringt von Kanälen. Die Lage ist ruhig auf der Mierendorff-Insel, die Umgebung eher trist. Es gibt kaum Läden, nur einen Supermarkt und einen Anglerladen. Laut sind nur die Bauarbeiten auf dem nah gelegenen Vattenfall-Umspannwerk, wo derzeit Gasspeicher abgerissen werden.

Doch seit November sind die Bewohner im Kiez im Ausnahmezustand. Vorher waren sie schon aufgeschreckt, weil an der Quedlinburger Straße 45 der Bau eines Flüchtlingsheims angekündigt worden war. Und dann durften plötzlich keine Touristen mehr in dem Hotel gegenüber absteigen, deren bereits gebuchten Zimmer wurden storniert.

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Die Berlin-Besucher mussten Flüchtlingen weichen, die seitdem dort leben. 460 sind in dem Hotel untergebracht, es ist eine sogenannte Erstunterbringung, für die die Stadt pro Person 62 Euro am Tag zahlt. Viele aus dem Kiez um den Mierendorffplatz fühlten sich überrumpelt wegen der Nacht- und Nebelaktion des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF). Nicht einmal das Bezirksamt wusste von der spontanen Hotel-Belegung.

Und niemand weiß, wie lange das noch gut gehen wird: Erst sollten die Migranten bis Juni im Hotel bleiben, nun wohl bis Dezember, hieß es aus dem Bezirk. Zeitgleich werden im April 570 Flüchtlinge gegenüber an der Quedlinburger Straße 45 einziehen, der Bau ist inzwischen fertig. „Das sind beinahe ghettohafte Zustände, geballt auf einem Fleck“, sagt ein Anwohner, der hinzufügt: „Ich habe nichts gegen Ausländer und irgendwo müssen Flüchtlinge ja unterkommen, aber man muss es doch mit den Anwohnern absprechen oder die Menschen im Kiez verteilen.“

Der Mann, Mitte 40, möchte seinen Namen nicht nennen, wie viele in dem Kiez hat er Sorge, als rechtsradikal abgestempelt zu werden. Der Berliner befürchtet, dass sich die Mierendorff-Insel noch mehr zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt, vor allem Eltern haben Angst, dass die Drogenszene und Kriminalität wächst. „Viele sind auch verärgert, dass der Wert ihrer Eigentumswohnungen in den Keller gehen könnte. Die Mierendorffinsel entwickelt sich seit Jahren zu einer exklusiven Lage direkt an der Spree, Wohnungen kosten ab 7000 Euro den Quadratmeter aufwärts. “

Eine Frau, die mit Einkaufstüten vorbeikommt, ist gelassener. Sie sehe derzeit kein Problem, sagt sie: „Von den Flüchtlingen in dem Hotel habe ich bisher nichts mitbekommen. Sie verhalten sich ruhig.“

Rainer Leppin wohnt auch dort in der Nähe. Er ist pensionierter Schulleiter und im Vorstand der DorfwerkStadt, ein freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie des vereinfachten Stadtteilmanagements auf der Mierendorff-Insel in Charlottenburg-Wilmersdorf. Als das Hotel Ende 2023 plötzlich zu einer Flüchtlingsunterkunft wurde, fühlten er und seine Mitstreiter sich mächtig vor den Kopf gestoßen. In einem offenen Brief an die Stadt machte der Verein seinem Unmut Luft.

Der Vorwurf an die Stadt: Insgesamt entstünde nun auf engstem Raum ein Ballungszentrum von mehr als 1000 Migranten. „Es bedarf eines umfangreichen Programms, um einer „Ghettoisierung bzw. einer konfrontativen Begegnung mit den unmittelbaren Anwohner*innen entgegenzuwirken“, heißt es in dem Schreiben mit der Forderung: „Hierfür müssen u.a. Begegnungsstätten eingerichtet und das bestehende Nachbarschaftszentrum endlich räumlich ausgebaut und dauerhaft finanziell abgesichert werden.“

Auch Rainer Leppin sagt der Berliner Zeitung: „Niemand sperrt sich gegen Flüchtlinge. Sie müssen untergebracht werden und ich verstehe die Not der Stadt. Uns fehlte aber vor allem die Kommunikation und die Transparenz im Vorfeld“, sagt er. Es gebe allerdings gerade auf der Mierendorff-Insel kaum Infrastruktur für die vielen Menschen. Dabei sei gerade sein Verein bereit, den Menschen bei der Integration zu helfen.

Auch werde die Mierendorff-Grundschule an ihre Grenzen stoßen. „Sie hat heute schon zu viele Schüler“, sagt er. Die Schule ist einzige Grundschule auf der Mierendorff-Insel und platze jetzt schon „aus allen Nähten“, so Leppin.

Es gibt auch andere Stimmen. So beschwert sich seit langem die Bürgerinitiative Quedlinburger Straße 45, die vor allem um den Wertverlust ihrer Wohnungen fürchten. Die Argumentation: Wenn nahezu 600 Menschen, die zum Teil durch die Geschehnisse in ihrer alten Heimat traumatisiert seien, in einem Betonklotz, wie er auf dem sogenannten Grundstück Q 45 entstehen soll, kaserniert werden, trage das zu keinem Zusammenleben bei. „In einem Wohnblock, in dem ausschließlich Menschen mit einem Migrationshintergrund untergebracht werden, wird diese Begegnung unterbunden. Man bleibt für sich!“, heißt es.

Die Sorgen im Mierendorff-Kiez stehen exemplarisch für das Dilemma der ganzen Stadt: Immer mehr Flüchtlinge kommen seit Jahren nach Berlin, weil viele vor Krieg und Elend fliehen, und die Stadt sucht dringend Unterkünfte in den Bezirken, die oft auch nicht mehr wissen, wie sie das stemmen sollen. All das ist begleitet von Protesten und Widerstand. Von den horrenden Kosten ganz zu schweigen.

Das Quartier an der Quedlinburger Straße 45 ist eines von 117 Gebäuden für Asylsuchende, die meisten davon sind allerdings in den Ostbezirken. Allein in Lichtenberg gibt es laut Liste des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) zwölf Unterkünfte, in Marzahn-Hellersdorf neun.

Elf sind es in Pankow. Dort wehren sich seit Monaten Anwohner, Naturschützer und der Bezirk gegen zwei Neubauten mit insgesamt 99 Wohnungen für 400 Geflüchtete am Schlosspark Schönhausen. Ein Grund: Für den Bau müssen zwei begrünte Innenhöfe gerodet werden. Im Januar verfügte das Berliner Verwaltungsgericht, dass die Wohnungsbaugesellschaft mit der Rodung der Höfe beginnen kann. Die Wut ebbt nicht ab.

In Charlottenburg wäre es mit der Quedlinburger Straße die siebte Unterkunft. Weitere Neubauten überall in der Stadt kommen in diesem Jahr hinzu: Am Askanierring in Spandau (Juli, 566 Plätze), in der Kirchstraße in Pankow (Juli 320 Plätze), der Rudower Straße in Neukölln (September, 105 Plätze) sowie dem Bohnsdorfer Weg in Treptow-Köpenick (Jahresende, 300 Plätze).

Auch mietete die Stadt zahlreiche Hotels, Hostels, Pensionen und sogar Seniorenwohnheime an, um Migranten unterzubringen. Auch in der ehemaligen Klinik Heckeshorn in Wannsee sollen demnächst weitere 500 Migranten einziehen. 200 leben schon in einem Bettenhaus. Dazu gibt es die Erstaufnahmelager wie in Tegel, in denen Asylsuchende bis zu anderthalb Jahre festsitzen. 5000 Menschen sollen dort derzeit wohnen, 3000 weitere sollen hinzukommen. Auch auf dem früheren Flughafen Tempelhof werden die Kapazitäten massiv erweitert.

Zurück zum Mierendorffplatz. Das eiserne Tor an der Quedlinbuger Straße 45 ist dieser Tage noch geschlossen. Wer rein möchte in den Gebäudekomplex, muss klingeln. An der Pforte sitzt Sicherheitspersonal. Es gibt einen Innenhof mit hohen Mauern, die 146 Apartments haben rote Balkone.

Der Komplex ist von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft WBM hochgezogen worden, das LAF hat es vorerst für zehn Jahre angemietet. Danach könnten die Apartments „normal“ vermietet werden, heißt es.

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In den Wohnungen stehen schon die Betten, darauf eingerollte blaue Matratzen. Jedes Apartment hat ein Bad und eine Küche inklusive Herd und Kühl-Gefrierkombination. Es gibt Fußbodenheizung. Im Erdgeschoss befindet sich neben Aufenthaltsräumen für Personal und Bewohner, ein Spielzimmer für Kinder, eine Waschküche. Im Hof stehen Tischtennisplatten, eine öffentliche Kita trägt zur sozialen Infrastruktur bei. Dort sollen auch Flüchtlingskinder einen Platz finden können.

Die, die jetzt dort in der Unterkunft einziehen sollen, „sind schon länger in Berlin und haben erste Schritte wie einen ersten Spracherwerb und Integrationskurse schon hinter sich gebracht“, sagt Sascha Langenbach, Sprecher vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten. Es sollen vor allem Familien dort wohnen. Die meisten dieser Menschen kommen aus Syrien und Afghanistan, lebten bislang in Gemeinschaftsunterkünften oder in Containern. Für sie sei es endlich mal eine Unterkunft, in der sie aufatmen könnten, sagt er. „Bei vielen fällt eine Last ab.“

Er räumt allerdings auch ein, dass es zu Konflikten mit den Nachbarn kommen könnte. Wenn die Kinder Fußball spielen oder lärmend über den Hof rennen beispielsweise. Fast jede neue Unterkunft löse Diskussionen aus. „Überall, wo wir auftauchen, hält sich die Begeisterung in Grenzen“, sagt Langenbach. Doch irgendwo müssten die Menschen ja untergebracht werden. Die Flüchtlingskrise stelle die Stadt vor Herausforderungen.

Die Zahl der Asylsuchenden in Berlin ist 2023 im Vergleich zum Vorjahr erneut gestiegen. So wurden 16.762 Asylbewerber aufgenommen, wie der neue Präsident des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), Mark Seibert, vor Kurzem erläuterte. 2022 waren es 14.704. Die fünf häufigsten Herkunftsländer waren die Türkei, Syrien, Afghanistan, Moldau und Georgien.

Die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine, die in Berlin erfasst und erstversorgt wurden, lag den Angaben zufolge bei 15.144 und damit deutlich unter den Zahlen von 2022 mit 68.194. Außerdem kamen 846 Flüchtlinge über sogenannte Sonderaufnahmeprogramme nach Berlin. Sie müssen keinen Asylantrag stellen und werden ebenfalls vom LAF untergebracht. Diese Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr (2022: 1308) um gut ein Drittel zurückgegangen. Damit wurden im vergangenen Jahr 32.752 Geflüchtete (Asyl, Ukraine und Aufnahmeprogramme) in Berlin aufgenommen.

In der Quedlinburger Straße 45 in Charlottenburg soll es bei der Einweihung am 22. März einen Tag der offenen Tür geben. Anwohner Rainer Leppin und viele andere hoffen, dass man sich dann besser kennenlernen könnte. Leppin: „Ich sehe das positiv. Es soll Führungen für alle Bürger durch das Gebäude geben und die sozialen Träger stellen ihre Programme vor. Das begrüße ich, so kommt man sich näher. “

QOSHE - Neues Flüchtlingsheim in Charlottenburg: Angst vor einem Ghetto, Drogen und Lärm - Anne-Kattrin Palmer
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Bislang ist es ein verschlafener Platz im Charlottenburger Norden: Doch ab April werden an der Sömmeringsstraße und direkt gegenüber an der Quedlinburger Straße 45 mehr als 1000 Flüchtlinge leben.

Im Ostteil der Stadt gibt es zwar nach wie vor mehr Unterkünfte, doch der Fall nahe des Mierendorff-Platzes im Berliner Westen zeigt wieder mal, wie hektisch der Senat derzeit auf die Flüchtlingskrise reagiert.

An der Ecke zur Sömmeringstraße im Charlottenburger Norden steht ein gelb getünchtes Haus, in dem einst gerne Touristen übernachtet haben. Es ist das Hotel Plaza Inn, ehemals Econtel, eine mit drei Sternen bewertete, sogenannte Superior-Unterkunft mit Restaurant sowie einer Bar.

Das Hotel liegt gut zehn Gehminuten vom Schloss Charlottenburg entfernt, im Süden die Spree, umringt von Kanälen. Die Lage ist ruhig auf der Mierendorff-Insel, die Umgebung eher trist. Es gibt kaum Läden, nur einen Supermarkt und einen Anglerladen. Laut sind nur die Bauarbeiten auf dem nah gelegenen Vattenfall-Umspannwerk, wo derzeit Gasspeicher abgerissen werden.

Doch seit November sind die Bewohner im Kiez im Ausnahmezustand. Vorher waren sie schon aufgeschreckt, weil an der Quedlinburger Straße 45 der Bau eines Flüchtlingsheims angekündigt worden war. Und dann durften plötzlich keine Touristen mehr in dem Hotel gegenüber absteigen, deren bereits gebuchten Zimmer wurden storniert.

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Und niemand weiß, wie lange das noch gut gehen wird: Erst sollten die Migranten bis Juni im Hotel bleiben, nun wohl bis Dezember, hieß es aus dem Bezirk. Zeitgleich werden im April 570 Flüchtlinge gegenüber an der Quedlinburger Straße 45 einziehen, der Bau ist inzwischen fertig. „Das sind beinahe ghettohafte Zustände, geballt auf einem Fleck“, sagt ein Anwohner, der hinzufügt: „Ich habe nichts gegen Ausländer und irgendwo müssen Flüchtlinge ja unterkommen, aber man muss es doch mit den Anwohnern absprechen oder die Menschen im Kiez verteilen.“

Der Mann, Mitte 40, möchte seinen Namen nicht nennen, wie viele in dem Kiez hat er Sorge, als rechtsradikal abgestempelt zu........

© Berliner Zeitung


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