Bundesinnenministerin Nancy Faeser sorgte jüngst mit einem neuen Vorstoß für Verwunderung: Kritikern ihres 13-Punkte-Plans gegen Rechtsextremismus entgegnete sie, Hasskriminalität entschiedener bekämpfen zu wollen. Juristen fürchteten prompt einen Rückfall in Gesinnungsjustiz, sollte ein solcher Tatbestand hierzulande Eingang ins Strafgesetzbuch finden.

Gar nicht so abwegig ist die Sorge, denn in einem anderen Land gilt das bereits: In Schottland ist am 1. April ein verschärftes Gesetz gegen Hasskommentare in Kraft getreten, das für große Diskussionen sorgt. Das Gesetz mit dem Namen „Hasskriminalität und öffentliche Ordnung“ stellt das Schüren von Hass auf der Basis von Alter, Behinderung, Religion, sexueller Orientierung und Transidentität unter Strafe. Wer dagegen verstößt, kann bis zu sieben Jahre ins Gefängnis gehen.

Seitdem schlagen die Wogen hoch, auch Prominente wie Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling oder Tesla-Chef Elon Musk laufen gegen das Gesetz Sturm und fürchten um die Redefreiheit. Dabei geht es in der Debatte vor allem um die Balance, wo provokative Meinungen enden und wo strafbares Schüren von Hass anfängt. Wie kritisch darf man sich nun in Schottland beispielsweise über Religionen äußern? Kommt man ins Gefängnis, wenn man eine Transfrau als „Mann“ bezeichnet?

Autorin Joanne K. Rowling, die gegenüber der Trans-Bewegung als besonders kritisch gilt, schrieb auf X (ehemals Twitter) : „Frauen erhalten keinen zusätzlichen Schutz.“ Dann forderte sie öffentlich ihre Verhaftung inklusive umfassender Ermittlungen gegen sich selbst.

Könnte das schottische Gesetz auch zum Vorbild für Deutschland werden? Noch winkt das Bundesinnenministerium ab – denn dafür bräuchte sie wie in Schottland einen eigenen Straftatbestand. Bislang gelte „Hasskriminalität“ in Deutschland lediglich als Oberbegriff für „Straftaten, die durch gruppenbezogene Vorurteile motiviert begangen werden“, wie das Bundesinnenministerium auf seiner Webseite schreibt. Zwischen 2021 und 2022 habe es bei diesen Straftaten einen Anstieg von 9,7 Prozent gegeben.

•vor 4 Std.

31.03.2024

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Der Versuch, den Kampf gegen Rechtsextremismus als Eingriff in die Meinungsfreiheit zu diskreditieren, ist eine Verdrehung der Tatsachen. Wir bekämpfen Hasskriminalität, weil sie zu mörderischer Gewalt wie dem Attentat auf Dr. Walter Lübcke geführt hat. pic.twitter.com/p8QQMmTVZR

Das Bundesinnenministerium sagt auf Anfrage, Hasskriminalität sende eine „einschüchternde Botschaft“ an betroffene Gruppen und habe so „Zustimmungs- oder sogar Aufforderungscharakter an potentielle Täter mit ähnlichen Vorurteilen“. Damit gefährde Hasskriminalität „die Grundfeste einer demokratischen Gesellschaft in besonderem Maße“. Der Kampf gegen Hasskriminalität diene also auch dem „Schutz unserer Demokratie“.

Bei einer entsprechenden, vorurteilsgeleiteten Motivation könnten daher grundsätzlich alle Straftatbestände Hasskriminalität sein, so das Ministerium. Neben Äußerungsdelikten wie Volksverhetzung, Beleidigung und Bedrohung können darunter auch Gewaltdelikte wie beispielsweise Tötungs- und Körperverletzungsdelikte sowie Brandstiftungen fallen. Häufig sind auch Sachbeschädigungen vorurteilsgeleitet, wie zum Beispiel diskriminierende „Schmierereien“.

Ein Bedarf, die derzeit bestehenden Regelungen im Strafgesetzbuch zu ergänzen, bestehe derzeit jedoch nicht, heißt es aus der Faeser-Behörde.

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Selbst wenn die Innenministerin ein solches Gesetz wollte, dürfte sie es in ihrer Regierung schwer haben. In der FDP wird derzeit jedenfalls kein Bedarf gesehen, einen separaten Straftatbestand einzuführen. „Für den Kampf gegen Hasskriminalität ist Deutschlands Strafrecht bereits heute gut aufgestellt“, sagt Manuel Höferlin, innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, zur Berliner Zeitung. Deutschland könne allerdings bei der Verfolgung solcher Straftaten besser werden. „Hier sind besonders die Länder gefragt, in deren Zuständigkeit die Polizeien fallen.“

Auch in der SPD wird die derzeitige Rechtslage als ausreichend eingeschätzt. „Das deutsche Strafrecht stellt menschenverachtende Hetze bereits sehr umfassend unter Strafe“, sagt Sonja Eichwede, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundesfraktion. Besonders im Internet würden nationale Gesetze jedoch an ihre Grenzen stoßen. Deshalb brauche es Regeln über Deutschland hinaus, wie etwa den Digital Service Act der EU. Dieser soll digitale Dienstleister wie Facebook oder Instagram dazu verpflichten, gegen rechtswidrige Inhalte vorzugehen. Zur Umsetzung in Deutschland habe man vor kurzem im Plenum das Digitale-Dienste-Gesetz verabschiedet.

Berlins Queer-Beauftragter Alfonso Partisano sieht das ähnlich: Bei der Strafverfolgung von Hasskriminalität gegen Mitglieder der Regenbogen-Community „müssen wir nicht nach Schottland schauen“. Das Strafgesetzbuch sehe bereits Strafschärfungen bei menschenfeindlichen Motiven vor.

Trotzdem gebe es Nachbesserungsbedarf, bei dem Tatbestand der Volksverhetzung zum Beispiel. Hier sollten laut Pantisano „sexuelle Orientierung und geschlechtsspezifische Gründe ausdrücklich aufgezählt werden“. Für die Verfolgung von Hasskriminalität brauche es eine höhere Anzeigenbereitschaft und Änderungen bei der Polizei, etwa durch bessere Schulungen oder die Einführung von Ansprechpersonen. „Da ist Berlin bereits sehr weit, doch auf Bundesebene gibt es noch sehr viel Verbesserungs- und Nachholbedarf.“

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Für ein Gesetz nach schottischem Vorbild ist auch die Opposition derzeit nicht zu haben. Dieses sei „in mehrfacher Hinsicht problematisch“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete und Jurist Carsten Müller zur Berliner Zeitung. Das Gesetz kläre nicht, wo genau die Grenze zwischen Meinungsäußerung und dem Schüren von Hass liege. Von dem Gesetz seien nicht nur Äußerungen auf sozialen Medien, sondern potenziell auch Aussagen im eigenen Zuhause betroffen. In diesem „grundsätzlich geschützten Raum“ sollten auch kritische Äußerungen weiterhin geschützt sein, so Müller.

Außerdem sei es kritisch zu beurteilen, dass nach dem schottischen Gesetz eine strafrechtliche Verfolgung des sogenannten Misgenderns nicht ausgeschlossen werden könne. Darunter wird verstanden, dass Transpersonen nicht mit den Pronomen oder Namen des Geschlechts angesprochen werden, dem sie sich zugehörig fühlen. In Deutschland soll das Verbot, Transpersonen mit falschem Geschlecht anzusprechen, als „Offenbarungsverbot“ im sogenannten Selbstbestimmungsgesetz verankert werden. Beides – sowohl eine mögliche strafrechtliche Verfolgung des „Misgenderns“ in Schottland als auch die Pläne der Ampel zum „Offenbarungsverbot“ – lehnt die Union laut Müller ab.

An example of why it is so important to preserve freedom of speech https://t.co/xcuZLR1VX5

„Hasskriminalität an sich wäre als Straftatbestand sehr unspezifisch“, sagt auch Josephine Ballon, Geschäftsführerin der Organisation HateAid, die sich für Menschenrechte im digitalen Raum einsetzt. In Deutschland gebe es stattdessen die Straftatbestände der Volksverhetzung und der verhetzenden Beleidigung, mit denen unter anderem Beleidigungen und Verleumdungen auf Basis von nationaler, rassischer, religiöser oder ethnischer Herkunft, Weltanschauung, Behinderung oder sexueller Orientierung bestraft werden können.

„Ähnlich wie in Schottland hat man jedoch das Geschlecht ausgelassen, was kaum nachvollziehbar ist“, so Ballon zur Berliner Zeitung. „Die Transidentität ist in der verhetzenden Beleidigung nicht erfasst, da das Geschlecht im Gegensatz zur sexuellen Orientierung ausgelassen wurde.“ Ein separates Gesetz zum Schutz vor Frauenfeindlichkeit wird derzeit allerdings noch im schottischen Parlament diskutiert.

Sehr ablehnend äußert sich die Landes-Polizeigewerkschaft in Hamburg zu dem schottischen Gesetz. Auf X kommentierte die Gewerkschaft einen Artikel der Welt, dem zufolge das „Misgendern“ nach dem neuen Gesetz potenziell bestraft werden könne, mit einem empörten „What?“ Dazu teilte die Gewerkschaft ein Zitat der schottischen Polizeigewerkschaft aus einem BBC-Interview: „Das wird das Vertrauen in die Polizei in Schottland zerstören.“

#DPolGHH #Hasskriminalität »Zuvor hatte #Schottland|s zuständige Staatssekretärin Siobhian Brown in einem BBC-Interview nicht ausgeschlossen, dass auch das sogenannte Misgendern strafrechtlich verfolgt werden könne.« WHAT? https://t.co/uZrLAOguny

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Schottland: Gefängnis bei Beleidigung einer Transfrau – auch in Deutschland denkbar?

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03.04.2024

Bundesinnenministerin Nancy Faeser sorgte jüngst mit einem neuen Vorstoß für Verwunderung: Kritikern ihres 13-Punkte-Plans gegen Rechtsextremismus entgegnete sie, Hasskriminalität entschiedener bekämpfen zu wollen. Juristen fürchteten prompt einen Rückfall in Gesinnungsjustiz, sollte ein solcher Tatbestand hierzulande Eingang ins Strafgesetzbuch finden.

Gar nicht so abwegig ist die Sorge, denn in einem anderen Land gilt das bereits: In Schottland ist am 1. April ein verschärftes Gesetz gegen Hasskommentare in Kraft getreten, das für große Diskussionen sorgt. Das Gesetz mit dem Namen „Hasskriminalität und öffentliche Ordnung“ stellt das Schüren von Hass auf der Basis von Alter, Behinderung, Religion, sexueller Orientierung und Transidentität unter Strafe. Wer dagegen verstößt, kann bis zu sieben Jahre ins Gefängnis gehen.

Seitdem schlagen die Wogen hoch, auch Prominente wie Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling oder Tesla-Chef Elon Musk laufen gegen das Gesetz Sturm und fürchten um die Redefreiheit. Dabei geht es in der Debatte vor allem um die Balance, wo provokative Meinungen enden und wo strafbares Schüren von Hass anfängt. Wie kritisch darf man sich nun in Schottland beispielsweise über Religionen äußern? Kommt man ins Gefängnis, wenn man eine Transfrau als „Mann“ bezeichnet?

Autorin Joanne K. Rowling, die gegenüber der Trans-Bewegung als besonders kritisch gilt, schrieb auf X (ehemals Twitter) : „Frauen erhalten keinen zusätzlichen Schutz.“ Dann forderte sie öffentlich ihre Verhaftung inklusive umfassender Ermittlungen gegen sich selbst.

Könnte das schottische Gesetz auch zum Vorbild für Deutschland werden? Noch winkt das Bundesinnenministerium ab – denn dafür bräuchte sie wie in Schottland einen eigenen Straftatbestand. Bislang gelte „Hasskriminalität“ in Deutschland lediglich als Oberbegriff für „Straftaten, die durch gruppenbezogene Vorurteile motiviert begangen werden“, wie das Bundesinnenministerium auf seiner Webseite schreibt. Zwischen 2021 und 2022 habe es bei diesen Straftaten einen Anstieg von 9,7 Prozent gegeben.

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31.03.2024

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Der Versuch, den Kampf gegen........

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