Den einen geht es um Selbstbestimmung, den anderen um den Schutz des ungeborenen Lebens: Seit Jahrzehnten spaltet die Frage, ob eine Frau abtreiben darf, die Gesellschaft. Nun fordern Experten, den Schwangerschaftsabbruch zu entkriminalisieren. Erste Kritiker drohen bereits mit Klagen.

Der Kampf um den Paragrafen 218 hatte im Westen der Bundesrepublik eine lange Geschichte: Es war 1971, als sich 374 Frauen im Magazin Stern offen bekannten, abgetrieben zu haben. Ein Riss ging damals durch die Gesellschaft, doch der Streit dauert bis heute. Im Zentrum der Debatte steht nach wie vor, ob Frauen das Recht auf Selbstbestimmung im Falle einer Schwangerschaft haben oder ungeborenes Leben geschützt werden muss. Es geht um die ethischen und moralischen Grenzen, um Werte und Freiheit.

Das Strafrecht bei Abtreibungen gilt nach wie vor, nach der Wende waren davon auch DDR-Bürger betroffen. Es erlaubt inzwischen allerdings Ausnahmen im Strafgesetzbuch, wo Abtreibungen ansonsten ganz grundsätzlich unter Strafe gestellt werden. Möglich ist danach ein Schwangerschaftsabbruch, wenn dieser in den ersten zwölf Wochen vorgenommen wird.

Um diesen vorzunehmen, muss die betroffene Frau eine Beratungsstelle aufsuchen. Abtreibungen sind ebenfalls möglich, wenn bestimmte medizinische Gründe vorliegen oder nach einer Vergewaltigung. Allerdings ist dies bisher als Ausnahmeregelung im Strafgesetzbuch geregelt, wo Abtreibungen ansonsten ganz grundsätzlich unter Strafe gestellt werden.

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Geht es nach einer von der Bundesregierung eingesetzten Kommission, soll sich das bald ändern. Oder, wie es die vier Professorinnen und Wissenschaftlerinnen am Montag in der Bundespressekonferenz formulierten: Es solle mindestens eine Debatte angestoßen werden, ob die nach wie vor als mögliche Straftat geahndete Abtreibung noch zeitgemäß sei.

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Die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, die sich ein Jahr lang beraten hatte, empfiehlt nun die Entkriminalisierung von Abtreibungen in den ersten Wochen einer Schwangerschaft. „In der Frühphase der Schwangerschaft (...) sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Frau erlauben“, heißt es in der Zusammenfassung des Berichts. Weiter heißt es, dass zudem sicherzustellen sei, dass Frauen den Abbruch zeitnah und barrierefrei in gut erreichbaren Einrichtungen vornehmen lassen können. Am Montag übergaben sie ihren Abschlussbericht der Bundesregierung.

Ferner kommen die Expertinnen zu dem Schluss: Der Paragraf 218 ist so nicht haltbar, der Gesetzgeber sollte handeln. Die für das Thema zuständige Koordinatorin in der Kommission, die Strafrechtlerin Liane Wörner von der Universität Konstanz, sagte: „Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Abbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft (...) ist nicht haltbar. Hier sollte der Gesetzgeber tätig werden und den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig und straflos stellen.“

Ein Abbruch sei momentan zwar unter bestimmten Bedingungen straffrei, „aber er ist nach wie vor als rechtswidrig, als Unrecht gekennzeichnet“, kritisierte auch die stellvertretende Koordinatorin, Frauke Brosius-Gersdorf, die geltende Regel. Eine Änderung sei nicht einfach nur eine Formalie. Für die betroffenen Frauen mache es einen großen Unterschied, ob das, was sie täten, Unrecht sei oder Recht. „Außerdem hat das Auswirkungen auf die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherungen“, fügte sie hinzu.

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Gleichzeitig rät die Kommission aber auch dazu, Abbrüche ab dem Zeitpunkt der Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Mutterleibs nicht zu erlauben. Dabei formuliert sie zwei Ausnahmen: Wenn die Gesundheit der Mutter gefährdet oder die Schwangerschaft Resultat einer Vergewaltigung ist, hält sie Abbrüche auch in einer späteren Phase für zulässig. In der mittleren Schwangerschaftsphase stehe dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu, heißt es weiter in den Empfehlungen. Dabei stehe es ihm frei, ob er an der derzeitigen Beratungspflicht festhalten will.

Dass die Expertinnen überhaupt getagt hatten, geht auf den Koalitionsvertrag der Ampel zurück. SPD, Grüne und FDP hatten 2021 beschlossen, durch eine Kommission prüfen zu lassen, inwieweit Schwangerschaftsabbrüche auch außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden könnten.

Nun haben sie den Staffelstab zurückgegeben – doch kurzfristige Neuregelungen zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts sind von der Ampelregierung nicht zu erwarten. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sei daran gelegen, dass diese Diskussion in ruhiger und sensibler Weise geführt werde, sagte eine Regierungssprecherin am Montag. Ähnlich äußerten sich Familienministerin Lisa Paus (Grüne), Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marko Buschmann (FDP).

Trotzdem schlagen die Wogen bereits hoch. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, sprach sich gegen eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus. „Wir halten es nicht für richtig, dem Embryo in den ersten Wochen keinen Schutz mehr zu geben“, sagte sie dem WDR.

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Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, reagierte „mit großer Sorge“ auf eine von der Ampelregierung angestrebte Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Die jetzt vorgestellten Pläne stünden im Widerspruch zu zentralen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Lebensschutz Ungeborener, auf denen die derzeit geltenden Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch beruhten, sagte Bätzing in einer Mitteilung der Bischofskonferenz vom Montag. Die Bischöfe sähen sich hier in Übereinstimmung mit dem obersten Gericht: „Eine Relativierung der fundamentalen Würde jedes Menschen, auch des ungeborenen Kindes, und eine Relativierung, Einschränkung oder Abstufung des damit verbundenen Grundrechts auf Leben halten wir für falsch.“

Erste Klagen sind auch bereits angedroht worden: Die Union hatte dies in der vergangenen Woche angekündigt, sollte die Regierung Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen generell straffrei stellen. Falls sich die Ampelkoalition entsprechende Vorschläge der Arbeitsgruppe zu eigen mache, „würde das zwangsläufig dazu führen“, dass man in Karlsruhe klagen werde, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten, Thomas Frei.

QOSHE - Streit um Abtreibungen: Experten wollen entkriminalisieren, andere dagegen klagen - Anne-Kattrin Palmer
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Streit um Abtreibungen: Experten wollen entkriminalisieren, andere dagegen klagen

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15.04.2024

Den einen geht es um Selbstbestimmung, den anderen um den Schutz des ungeborenen Lebens: Seit Jahrzehnten spaltet die Frage, ob eine Frau abtreiben darf, die Gesellschaft. Nun fordern Experten, den Schwangerschaftsabbruch zu entkriminalisieren. Erste Kritiker drohen bereits mit Klagen.

Der Kampf um den Paragrafen 218 hatte im Westen der Bundesrepublik eine lange Geschichte: Es war 1971, als sich 374 Frauen im Magazin Stern offen bekannten, abgetrieben zu haben. Ein Riss ging damals durch die Gesellschaft, doch der Streit dauert bis heute. Im Zentrum der Debatte steht nach wie vor, ob Frauen das Recht auf Selbstbestimmung im Falle einer Schwangerschaft haben oder ungeborenes Leben geschützt werden muss. Es geht um die ethischen und moralischen Grenzen, um Werte und Freiheit.

Das Strafrecht bei Abtreibungen gilt nach wie vor, nach der Wende waren davon auch DDR-Bürger betroffen. Es erlaubt inzwischen allerdings Ausnahmen im Strafgesetzbuch, wo Abtreibungen ansonsten ganz grundsätzlich unter Strafe gestellt werden. Möglich ist danach ein Schwangerschaftsabbruch, wenn dieser in den ersten zwölf Wochen vorgenommen wird.

Um diesen vorzunehmen, muss die betroffene Frau eine Beratungsstelle aufsuchen. Abtreibungen sind ebenfalls möglich, wenn bestimmte medizinische Gründe vorliegen oder nach einer Vergewaltigung. Allerdings ist dies bisher als Ausnahmeregelung im Strafgesetzbuch geregelt, wo Abtreibungen ansonsten ganz grundsätzlich unter Strafe gestellt werden.

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Geht es nach einer von der Bundesregierung eingesetzten Kommission, soll sich das bald ändern. Oder, wie es die........

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