Man meint, sofort ein Gespür für diesen Film zu haben. „Saltburn“ eröffnet mit einer mitreißenden Montage aus Eindrücken, von stürmischen Studentenpartys und sonnendurchfluteten Sommertagen. Man wandelt rasant zwischen Ort und Zeit, eines aber ist allen Einstellungen gemein: Sie kreisen ausnahmslos um einen jungen Mann, seine braune Lockenmähne, sein strahlendes Lächeln, die kleinen Härchen in seinem Nacken.

Sie kreisen um Felix (Jacob Elordi), wie die Erzählstimme des Hüters dieser Erinnerungen zu erkennen gibt. „Ich liebte ihn, aber war ich auch in ihn verliebt?“, fragt er, der etwa gleichaltrige Oliver (Barry Keoghan), vor einer beigen Wand sitzend, die wirkt, als befände er sich in einem Verhörraum. Je weiter sich die Flut seiner Flashbacks ausbreitet, desto stärker wird der Verdacht, dass sich ein Verbrechen ereignet haben muss. Je länger er sich darüber auslässt, dass Felix stets von anderen Menschen, vor allem von „lästigen“ Frauen umgeben gewesen sei, desto sicherer wird man sich, dass es aus Eifersucht begangen wurde.

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Als Thriller belässt es „Saltburn“ erst einmal bei diesem nasführenden Mysterium und macht stattdessen einen Zeitsprung in die Vergangenheit, ins Jahr 2006. Oliver betritt gerade das Universitätsgelände des altehrwürdigen Oxfords, mit randloser Brille und streng auf dem Rücken getragenem Rucksack überdeutlich als Außenseiter gezeichnet.

Es geht eine Weile so weiter: Beim ersten Abendessen sitzt er am „Loser“-Tisch, er gehört zu den wenigen Studenten, die für ihre Zensuren tatsächlich arbeiten, anstatt vom Renommee der eigenen Familie zu zehren, und auf Partys ist er nicht eingeladen. Auch den Grund für seine Aussonderung betont „Saltburn“ mit Nachdruck: Vor allem an seinem sozialen Status liegt es, dass er keinen Anschluss findet. Anders als die Mehrheit nicht in der aristokratischen oder aber zumindest einer wohlhabenden Klasse aufgewachsen, fehlt es ihm an Kenntnissen zu den Verhaltensweisen in den vornehmen Kreisen. Vor allem aber an deren an Arroganz grenzenden Selbstsicherheit.

Der allseits beliebte Felix aber wird ihm schließlich zur Eintrittskarte in die Welt der Reichen und Schönen: Nachdem Oliver ihm bei einer Fahrradpanne aushilft, nimmt er ihn in seine Freundesgruppe auf und lädt ihn wenig später über den Sommer sogar auf den titelgebenden Familiensitz „Saltburn“ ein. Nach etwa halbstündiger Spielzeit sieht so alles danach aus, als würde es der amerikanischen Regisseurin und Drehbuchautorin Emerald Fennell nach „Promising Young Woman“ ein weiteres Mal gelingen, den Film zur Stunde zu liefern.

Während sich ihr Erstlingswerk als revisionistischer Rape-Revenge-Thriller und einnehmend kompromissloser Kommentar zu #MeToo verstehen ließ, scheint es „Saltburn“ auf eine nicht weniger furiose Abrechnung mit sozialer Ungleichheit abgesehen zu haben, die an „Triangle of Sadness“ oder „Parasite“ denken lässt.

Tatsächlich übt Emerald Fennell unmissverständliche Kritik an durch Erbschaften über viele Generationen hinweg zementierten Vermögensverhältnissen und undurchdringlichen gesellschaftliche Hierarchien, wenn sie in „Saltburn“ auf dem hochherrschaftlichen Anwesen von Felix’ Eltern eine gleichgültige Elite (unter anderen Rosamund Pike, Richard E. Grant) versammelt, die ihre Tage mit Pracht und Prasserei zubringt – garniert mit ein wenig Charity, zur Beruhigung eines höchstens rudimentär vorhandenen sozialen Gewissens.

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Als sich Felix – oder wie sich bald immer weiter herauskristallisiert: sein Lebensstandard – für Oliver zur Obsession entwickelt, kulminieren in „Saltburn“ allerdings die Schwächen, die schon das Debüt der Filmemacherin erkennen ließ: Statt an Anschlussfähigkeit für gesellschaftliche Debatten zeigt sich das Geschehen bald nur noch an Schockmomenten interessiert – und ergeht sich so in psychosexuellen Gewalteskapaden.

Spätestens als sich der eigentlich als Sympathieträger angelegte Oliver als psychopathischer Hochstapler entpuppt, verliert „Saltburn“ obendrein jeden sozialsatirischen Biss. Was bleibt, ist ein Stoff, der mit einem mittlerweile reizlos gewordenen Protagonisten-Klischee à la Bret Easton Ellis zu erschrecken sucht und in seinem Aufbau gerne so raffiniert wäre wie Patricia Highsmiths „Der talentierte Mr. Ripley“, aber dessen Glaubhaftigkeit vermissen lässt. Am Ende erinnert der aufwendig ausgestattete Film so selbst ein bisschen an das, was er zu persiflieren sucht – und veranstaltet viel nihilistischen Pomp um Nichts.

Saltburn. Spielfilm, Amazon Prime Video

QOSHE - „Saltburn“ auf Amazon Prime Video: Ins kalte Herz der britischen Aristokratie - Arabella Wintermayr
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„Saltburn“ auf Amazon Prime Video: Ins kalte Herz der britischen Aristokratie

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22.12.2023

Man meint, sofort ein Gespür für diesen Film zu haben. „Saltburn“ eröffnet mit einer mitreißenden Montage aus Eindrücken, von stürmischen Studentenpartys und sonnendurchfluteten Sommertagen. Man wandelt rasant zwischen Ort und Zeit, eines aber ist allen Einstellungen gemein: Sie kreisen ausnahmslos um einen jungen Mann, seine braune Lockenmähne, sein strahlendes Lächeln, die kleinen Härchen in seinem Nacken.

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