Wir waren acht Jahre alt und taten so, als söffen wir. Wir Kinder bekamen nur Mineralwasser, aber uns wurde es wie den Longdrink trinkenden Erwachsenen in einem hohen Glas serviert, mit Eiswürfeln und einer Zitronenscheibe drin. Die Stimmung war gut, selbst die Omi war bester Laune. So lernten wir schon von Kindesbeinen an, wenn wir bei Omi und Opa zu Besuch waren, dass Trinken dazugehört, auch wenn mein Vater davor warnte: „Alkohol ist ein schlimmes Gift“, pflegte er zu sagen.

Ähnlich wird es sich wohl bei den Kindern, deren Eltern nun zu Hause – ganz legal – Cannabis konsumieren dürfen, verhalten. Dass eine solche Entwicklung nicht ganz abwegig ist, ließ sich am vergangenen Samstag auf dem 420 Day – der 20. April ist der internationale Tag des Kiffens – vor dem Brandenburger Tor beobachten. Erwachsene hatten offensichtlich kein Problem damit, vor Kindern zu kiffen. Ein Mann hielt sogar seinen Kinderwagen in der einen Hand und in der anderen einen Joint.

Meine Freundin Henni fragte unseren Chemielehrer einmal, ob sie kurz auf die Toilette gehen könnte. Dort baute sie sich einen Joint. Sie war eine von etwa einem Dutzend Schülerinnen und Schülern in meiner Stufe, die regelmäßig kifften. Alkohol tranken sowieso fast alle, Henni und die anderen gingen nur einen Schritt weiter. Ich empfand sie als weitaus interessanter als mich. Die traute sich was!

Gras rauchen war cooler, als im Chemieunterricht aufzupassen – so viel ist sicher. Rückblickend war das das Problem. Es gab und gibt eine Subkultur, die den Konsum von Cannabis befördert. Die Teillegalisierung der Droge, die seit Anfang April gilt, hält diese Kultur nicht auf – im Gegenteil. Sie wird dazu führen, dass Jugendliche das tun wollen, was Erwachsene schon dürfen: kiffen, bis der Arzt kommt.

•gestern

•gestern

23.04.2024

Prohibition ist nicht die Lösung, das hat die Geschichte gezeigt. Was verboten ist, zieht an. Das gilt für Cannabis ebenso wie für Alkohol. Problematisch ist, dass es eine Rauschkultur bei beiden Substanzen gibt, dass es beinahe zum guten Ton gehört, bei bestimmten Veranstaltungen ein Gläschen oder auch mehrere mitzutrinken. Vielleicht wird es bald in anderen Kreisen ebenso dazugehören, den Joint herumzureichen.

Erinnert sich noch jemand an Alcopops? Sie waren in den Nullerjahren bei Jugendlichen beliebt. Alcopops bestehen aus Limonade und etwa 5,5 Prozent Alkohol. Smirnoff Ice und Bacardi Breezer waren klebrig und süß und sorgten für den ersten Rausch. Der Alcopop-Boom fand ein jähes Ende. Der Grund: Der Staat führte eine Sondersteuer für diese Getränke ein, sodass Jugendliche sie sich nicht mehr leisten konnten. Der Staat hat sich entschieden: Mit dem Eigenanbau von Cannabis und den Cannabis-Clubs kann er keine nennenswerten Steuern einnehmen – ein großes Versäumnis der Politik.

Richterin zur Cannabis-Legalisierung: Warum die Verbotspolitik nicht zielführend ist

24.02.2024

Ist Kiffen in Berliner Kneipen erlaubt? Diese Regeln gelten für den Cannabis-Konsum ab April

26.03.2024

Bleibt das Thema Aufklärung: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) will Kinder und Jugendliche über Cannabis-Konsum informieren. Das könnte funktionieren – wenn die richtige Ansprache gewählt wird. Bei den Zwölf- bis 17-Jährigen ist auch dank intensiver Aufklärungskampagnen seit langem ein starker Rückgang des Rauchens zu erkennen. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2021 liegt die Raucherquote in dieser Altersgruppe derzeit bei 6,1 Prozent – ein historischer Tiefstand. Die Zeiten, in denen wie in der Serie „Mad Men“ vor Kindern, bei der Arbeit, schlichtweg überall geraucht wurde, sind vorbei.

Es gibt also noch Hoffnung, dass Chemieunterricht irgendwann cool sein wird. Dazu müsste allerdings auch das Thema Bildung ganz oben auf dem Fahrplan der Regierung stehen. Die interessiert sich allerdings mehr für die Beliebtheitsskala der Ampel, die das Kiffer-Projekt unbedingt durchdrücken wollte. In seltener Eintracht sangen FDP und Grüne im Chor: „Bubatz bald legal!“

Dass wohl kaum ein Kiffer von „Bubatz“ spricht, wenn er Gras meint, zeigt, wie weit weg die Regierungspolitik von der Lebensrealität dieser Menschen ist. Berliner Politiker haben sich da schon kritischer geäußert. Die Freigabe von Cannabis stellt die Berliner Polizei nach den Worten von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) vor „erhebliche Probleme“. Das wiederum ist etwas kurz gedacht, denn die Drogenproblematik gab es schon vorher. Justiz und Polizei waren schon vor der Cannabis-Freigabe überfordert mit der Durchsetzung von Verboten. Insofern ist es nur folgerichtig, dass das Cannabis-Verbot aufgehoben wurde. Doch auch mit der Legalisierung verschiebt sich die Problematik nur. Es wird Zeit, dass der aufgeklärte Mensch im 21. Jahrhundert in Eigenverantwortung begreift, was Drogen, sei es Alkohol oder Cannabis, anrichten können.

QOSHE - Joints sind die neuen Alcopops: Legalisierung ist Mist, Prohibition aber auch - Carola Tunk
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Joints sind die neuen Alcopops: Legalisierung ist Mist, Prohibition aber auch

12 1
25.04.2024

Wir waren acht Jahre alt und taten so, als söffen wir. Wir Kinder bekamen nur Mineralwasser, aber uns wurde es wie den Longdrink trinkenden Erwachsenen in einem hohen Glas serviert, mit Eiswürfeln und einer Zitronenscheibe drin. Die Stimmung war gut, selbst die Omi war bester Laune. So lernten wir schon von Kindesbeinen an, wenn wir bei Omi und Opa zu Besuch waren, dass Trinken dazugehört, auch wenn mein Vater davor warnte: „Alkohol ist ein schlimmes Gift“, pflegte er zu sagen.

Ähnlich wird es sich wohl bei den Kindern, deren Eltern nun zu Hause – ganz legal – Cannabis konsumieren dürfen, verhalten. Dass eine solche Entwicklung nicht ganz abwegig ist, ließ sich am vergangenen Samstag auf dem 420 Day – der 20. April ist der internationale Tag des Kiffens – vor dem Brandenburger Tor beobachten. Erwachsene hatten offensichtlich kein Problem damit, vor Kindern zu kiffen. Ein Mann hielt sogar seinen Kinderwagen in der einen Hand und in der anderen einen Joint.

Meine Freundin Henni fragte unseren Chemielehrer einmal, ob sie kurz auf die Toilette gehen könnte. Dort baute sie sich einen Joint. Sie war eine von etwa einem Dutzend Schülerinnen und Schülern in meiner Stufe, die........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play